Joey
Sehr aktives Mitglied
Die Karmadiskussion ist immer die schwerste von allen, habe ich festgestellt.
Da alles im Universum (der berühmte Flügelschlag des Schmetterlings) Wirkung ist, hat alles was ich denke, fühle und tue eine Auswirkung, eine Folge. Das ist zusammengefasst in der Bibel unter "Ihr werdet ernten, was ihr sät".
Wenn man von Reinkarnation ausgeht bedeutet das, es wird für alles früher oder eben später geerntet.
Es sind aber einfach Folgen, keine Strafen.
Viele Auswirkungen sind allerdings nicht wirklich absehbar bzw. in ihrer Art nicht festgelegt.
Du erwähnst ja den Schmetterlings-Effekt: Ein Flügelschlag eines Schmetterlings kann einen Wirbelsturm auslösen oder verhindern. Der Effekt wurde vom Mathematiker und Meteorologen Edward Lorenz entdeckt, der Wetter-Simulationen programmierte und laufen ließ. Er ließ dabei u.a. Simulationen mit nur sehr leicht unterschiedlichen Startbedingungen laufen - die sich quasi nur durch einen metaphorischen Flügelschlag eines Schmetterlings in den Startwerten untereinander unterschieden haben - und stellte fest, dass sie sich nach einiger Zeit sehr stark auseinander differenzierten und schlussendlich komplett unterschiedlich verliefen - also in einigen tauchte dann ein Wirbelsturm auf, und in anderen nicht.
Diese mittelbaren Folgen einer Handlung sind also damit:
... in einer anderen - mitunter größeren - Größenordnung als die Handlung selbst.
... nicht absehbar - es ist absolut unklar, ob ein Schmetterling, der gerade vorbei fliegt, einen Wirbelsturm mit-verursacht oder ihn möglicherweise verhindert
... und in ihrer Bewertung/Beurteilung unabhängig von der Bewertung/Beurteilung der ursprünglichen Handlung. Den Flügelschlag eines Schmetterling sehen wir ja als ethisch wertneutral (bzw. ich finde es ästhetisch schön). Die mittelbaren Folgen können aber sowohl negativ sein (Wirbelsturm mit-ausgelöst, viel Zerstörung, möglicherweise Tote) oder positiv (wirbelsturm verhindert, oder einen schönen sonnigen Tag am Strand mit-verursacht). Und so wäre dann auch denkbar, dass sogar auch eine Tat, die wir unmittelbar als negativ bewerten, mittelbar positive Auswirkungen hat, die wir nur nicht absehen konnten und deswegen auch nicht mit der Tat in Verbindung bringen.
Mit diesem Karma-Begriff treffen die Folgen der eigenen Handlungen nicht automatisch einen selbst, sondern automatisch sehr viele andere Menschen mit, und die Stärke und Art, wie man vom eigenen oder fremden "Karma" betroffen ist, ist auch unklar und unabhängig davon, wie wir die Handlung selbst bewerten.
Demgegenüber wird der Bibelspruch gerne in der Art verwendet, dass die Folgen immer gerecht und gleichartig ausfallen würden. Wie man es in den Wald hinein ruft, so ruft es auch heraus. Wer "böses" tut, soll unterm Strich negative Folgen zu tragen haben, wer "gutes" tut oder ungerechtfertigt Leid erfährt, soll "gutes Karma" dafür kriegen und ernten können.
Diese biblische (und gewünschte) ausgleichende Gerechtigkeit ist nicht automatisch gegeben, wenn man Karma auf "alles hat seine Folgen" runterbricht.
Die Folgen sind dafür da, dass der Mensch auf Dauer erkennt, was lebensfördernde, universelle Gesetze sind und was nicht.
Und wie lernt er das meist am besten? Durch das Erleben von Leid am eigenen Leib.
Wäre es dazu nicht sinnvoll(er), dass der Mensch sich auch an die "Ursache" erinnern kann?
Ich kann mich beispielsweise sehr glücklich schätzen, dass ich in Europa lebe, keine allzu großen existenziellen Sorgen habe, sehr liebe Menschen in meinem direkten Umfeld habe, die mir in meinen (aktuell vergleichsweise großen) Alltags-Sorgen helfen und mich unterstützen. So gesehen geht es mir deutlich besser als der Mehrheit der Menschen weltweit? Womit habe ich das verdient? Was habe ich im letzten Leben richtig gut gemacht?
Hier im Thread hat ja auch jemand erklärt, dass Behinderungen dazu da wären, um schwere Verbrechen in vergangegen Leben zu sühnen. Wenn das so ist: Warum ist das nicht erkennbar? Warum diese Amnesie bzgl. (angeblicher) Vorleben? Wäre es für den Lerneffekt nicht deutlich sinnvoller, wenn man sich auch jetzt, während man sein Karma erntet, auch weiß, wofür man es bekommt?
Aber es hat kein Mensch im real life ungefragt darüber zu befinden, ob ein Kriegs- oder Missbrauchopfer Karma erlebt oder nicht.
Insofern ist es mindestens irrelevant bis hin zu anmaßend oder gefährlich, damit anzufangen in den meisten Fällen.
Das bringt irgendwie nichts.
Man hat einem Opfer zu helfen und einen Täter zu verurteilen, wenn man sehen und beweisen kann, dass und was er Unrechtes getan hat, das ist dann definitiv auch dem göttlichen Willen entsprechend.
Warum fängt man dann überhaupt damit an? Was bringt oder erklärt einem der Glaube an Karma?
Insofern ist Humanismus im Sinne der Aufklärung immer gutes Karma, daran kann man sich in jedem Fall kollektiv halten.
Kant´s Handlungsmaxime ist die beste Karma-Anleitung, die es gibt, finde ich zumindest.
Finde ich auch (ohne dabei das Wort Karma oder göttlichem Willen gebrauchen zu wollen). Es ist ein guter Grundgedanke für eine säkulare Ethik: Einfach so handeln, dass ein vernünftiges und friedliches Zusammenleben möglich ist, wenn alle so handeln würden - wenn man also eine Maxime draus machen könnte - und andere nicht schlechter behandeln, als man in vergleichbarer Situation behandelt werden will bzw. anderen zubilligt, dass sie einem gegenüber handeln. Das bestenfalls aufgrund der Einsicht, dass eine solche Welt für alle Beteiligten deutlich angenehmer ist als das metaphorische anarchistische Haifischbecken, wenn man nicht so agieren würde.
Insofern, man muss sich da gar nicht in die Quere kommen- das wollen aber viele, weil sie halt recht haben wollen und andere unrecht haben sollen.
Je nachdem, wie man den Karma-Begriff auffasst, ist es mehr oder weniger "nur" eine akademische Diskussion, die man führen kann, aber nicht unbeding muss, wenn man keine Lust hast. Soweit stimme ich Dir in diesem Satz zu. Leider tauchen dann zwischendurch doch immer wieder Äußerungen auf, in denen mit dem Karma-Begriff sehr viel Schindluder getrieben wird.