Menschenrechte, Graz und der verlorene Sohn
Haltung oder Raushalten bei Todesstrafen - Eine Analyse von Colette M. Schmidt
Trennlinie
Foto: APA/Kolb
Am Dienstag, als man im fernen Kalifornien versuchte, die richtige Vene am Arm des Delinquenten Tookie Williams zu treffen, brach in Graz eine emotional geführte Diskussion los und hielt die ganze Woche an. Von den Gemeinderatsfraktionen der Grünen, ÖVP, SPÖ, KPÖ und FPÖ erörtert wurden die Todesstrafe, aber auch der Stellenwert von Symbolen.
Die Grünen fordern vom kalifornischen Gouverneur Arnold Schwarzengger die Rückgabe des Ehrenrings der Stadt und eine Umbenennung des nach ihm getauften Stadions. SPÖ und KPÖ gehen dabei mit der Grünen Clubchefin Sigi Binder d’accord und führen dies auf ihre Ablehnung der Todesstrafe zurück, die einem Stadion als einem De-facto-Denkmal widerspreche.
ÖVP dagegen
Der ÖVP-Bürgermeister der „Stadt der Menschenrechte“ Graz, Siegfried Nagl betonte am Freitag erneut, ebenfalls „ein absoluter Gegner der Todesstrafe zu sein“. Er ist aber – selbst für den Fall, dass sich ein Sponsor für das Stadion fände – gegen einen neuen Namen. Menschenrechtsverletzungen in der Türkei waren für Nagl zuletzt wiederholt ein Grund, sich gegen den türkischen EU-Beitritt zu verwahren.
Den Grünen glaubt Nagl das Engagement für Menschenrechte, die durch jede Exekution verletzt werden, nicht: Die „unbemerkteste Fraktion des Gemeinderates“ wolle sich wichtig machen. „Mir ist es lieber, der Name bleibt und wir bleiben mit Arnie im Gespräch“, schließt der überzeugte Katholik Nagl, der glaubt, Schwarzenegger müsse sich „das mit dem Herrgott“ ausmachen. Ansonsten habe man sich rauszuhalten.
Das Gespräch mit „Arnie“ aber ist seit Jahren ein Monolog. Die Briefe Nagls, in denen er Schwarzenegger bat, die Todesstrafe auszusetzen, wurden ignoriert. Der berühmte Auslandsösterreicher bringt seine Grazer Wurzeln seltener zur Sprache als Kreise der ÖVP.
Nicht geladen
Als im Oktober 2003 der kalifornische Recall der triumphale Einstieg Schwarzeneggers in die Politik wurde, veranstaltete die ÖVP in Graz ein Fest. Die geplante Reise Waltraud Klasnics zur Inauguration Schwarzeneggers scheiterte aber an einer nicht vorhandenen Einladung. Ex-Wirtschaftslandesrat Herbert Paierl samt Delegation wurde vom „Terminator“ in Sacramento kurz darauf versetzt.
Für das „Raushalten“ ist auch Sportstaatssekretär Karl Schweitzer (BZÖ), der Unterschriften gegen eine Stadion- Umtaufe sammelt und der rotrot- grünen Allianz vorwirft, „die Rechtsordnung eines anderes Landes in Frage zu stellen“. Amnesty International tut so etwas seit 1961 ständig. (DER STANDARD Printausgabe, 17./18.12.2005
Hintergrund: In 25 Staaten werden Todesurteile vollstreckt
Allein in Texas seit 1977 mehr als 350 Exekutionen
Trennlinie
In 25 Staaten weltweit werden Todesurteile vollstreckt. Davon entfielen nach Zahlen von amnesty international im vergangenen Jahr 97 Prozent auf lediglich vier Länder: China, Iran, Vietnam und die USA. In Amerika wurde die Todesstrafe 1977 wieder aufgenommen, nachdem ein zehnjähriges Moratorium ausgelaufen war. In 38 der 50 US-Staaten werden Menschen hingerichtet. Allein in Texas fanden seit 1977 mehr als 350 Exekutionen statt.
Am 2. Dezember wurde in North Carolina Kenneth Lee Boyd mit einer Giftspritze getötet. Er war das 1000. Opfer dieser Praxis seit 1977. Unter den hingerichteten Straftätern waren auch mindestens 20 Ausländer. Von mehr als 3.400 bereits zum Tode verurteilten Straftätern sitzen 118 Ausländer in einer Todeszelle ein. Unter ihnen sind zwei Deutsche. (APA/AP)
Menschenrechte, Graz und der verlorene Sohn
und hier sieht man noch, welche politischen kräfte relativieren:
(die fpö unter dem burschenschafter strache hat in wien 15% zustimmung für einen wahlkampf erhalten, dessen einziges thema primitivster ausländerhaß war..)
Wien - "Große Heuchelei und künstliche Empörung" ortet der Bundesobmann der FPÖ, Heinz-Christian Strache, bei der Diskussion über die Hinrichtung von "Tookie" Williams in den USA.
Jetzt so zu tun, als sei es völlig neu, dass in den USA die Todesstrafe als taugliches Mittel angesehen werde, sei in höchstem Maße heuchlerisch und verlogen. Man sollte die Hinrichtung von Williams als das betrachten, was sie schlussendlich war: der Vollzug der formellen Rechtsprechung in großen Teilen der USA. Im Übrigen stelle sich die Frage, so Strache, "wo die Empörung etwa der heimischen Grünen für die vier ermordeten Opfer gewesen" sei.
Williams, Gründer der berüchtigten "Crips"-Gang in Los Angeles, wurde 1981 schuldig gesprochen, einen Supermarktangestellten sowie zwei Motelbesitzer und deren Tochter erschossen zu haben. Seine Schuld ist bis heute nicht bewiesen.
Seit er von seiner Zelle aus eine Kampagne gegen Gewaltanwendung startete und in einer Serie von Kinderbüchern vor einem Leben auf der schiefen Bahn warnte, wurde der Afroamerikaner sechs Mal für den Friedens- und vier Mal für den Literaturnobelpreis nominiert. (APA)
und hier noch deutsche pressestimmen.
ressestimmen: "Gift statt Gnade"
"Dem staatlichen Töten ein Gesicht gegeben" - Schwarzeneggers "Gratwanderung auf dem Weg zur Wiederwahl"
Trennlinie
Berlin - Die spektakuläre Hinrichtung von Stanley "Tookie" Williams, einem verurteilten Mörder, später Kinderbuchautor und Anti-Gewalt-Aktivisten, dessen Begnadigung der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger verweigert hat, beschäftigt am Mittwoch Pressekommentatoren:
Frankfurter Rundschau
"Williams hat dem staatlichen Töten ein Gesicht gegeben: Da war ein Mensch, der mit seinem Wandel vom Schwerkriminellen zum Gewaltgegner sogar jene Läuterung vollzogen hat, zu der die US-amerikanische Gesellschaft nicht in der Lage ist. Trotzdem oder gerade deshalb steht das makabre Schauspiel seiner Hinrichtung in der Todeszelle von San Quentin ganz grundsätzlich für ein falsches Prinzip. Mit Stanley 'Tookie' Williams wurde nicht der Falsche hingerichtet, weil einer wie er vielleicht Gnade verdient hätte. Die Todesstrafe selbst ist falsch - weil eben immer unmenschlich."
Neue Zürcher Zeitung
"Als Schwarzenegger es am Montag in einem ungewöhnlich langen Schreiben ablehnte, Williams zu begnadigen, war darin keine Spur mehr von Unsicherheit zu spüren. Vielmehr zeugt das Schreiben davon, dass Schwarzenegger trotz - oder gerade wegen - seiner politischen Gratwanderung auf dem Weg zur Wiederwahl im kommenden Jahr keine faulen, von parteipolitischen Kompromissen geprägten Entscheidungen treffen will."
Der Tagesspiegel
"Nein, er musste nicht so handeln, er hat damit vielmehr eine politische Entscheidung getroffen. Dem Gnadengesuch nachzukommen, wäre eine Möglichkeit gewesen, die Unterstützung der Liberalen zu gewinnen. Schwarzenegger scheint aber dazu entschlossen, eine stringent konservative Linie zu vertreten, um damit Stärke zu demonstrieren. (...) Der Gouverneursposten ist eine Anlehnung an traditionelle royale Strukturen, die man als Gegengewicht gegen möglicherweise zu radikal demokratische Entwicklungen behalten wollte, als man vor rund 230 Jahren in den USA die Verfassungen der Einzelstaaten entwarf. Williams hat bis zuletzt seine Unschuld beteuert. Wie sieht es in solchen Fällen mit der Unschuldsvermutung aus? Natürlich gibt es auch in den USA eine Unschuldsvermutung. Die Verfahrensvorschriften sind aber relativ eng."
taz
"Arnold Schwarzenegger hat sich entschieden, und Stanley 'Tookie' Williams ist tot. Innerhalb des Denkschemas, das der Todesstrafe zu Grunde liegt, konnte Schwarzenegger kaum anders entscheiden - das zeigt die menschliche Verkommenheit dieses Systems auf. Von den Staatsanwälten bis zum Henker erfüllen alle nur ihre Aufgabe, die ihnen ihre Vorschriften so mundgerecht zerlegt hat, dass niemand Verantwortung, ja Schuld am Tod eines Menschen empfindet. Schwarzenegger hat für sich da keine Ausnahme gemacht, die ihn hätte souveräner erscheinen lassen, als er sein will. Die Hinrichtung des Verurteilten ist der Normalfall, mit dem die Verantwortung abgeschoben wird. Für eine Begnadigung hätte er selbst gerade stehen müssen. Das passt nicht zur politischen Lage: Schwarzenegger muss noch seine Niederlage bei den jüngsten Volksabstimmungen verkraften und steht unter starkem Druck seiner republikanischen Rechten. Pech für Stanley Williams..." (APA)
Menschenrechte, Graz und der verlorene Sohn