Hi Ramar!
Das Problem, welches ich hier sehe ist genau jener philosophische Ansatz. Das spirituelle Interpretieren von offensichtlich klaren Aussagen, welche alles andere als spirituell sind.
Ich nehme willkürlich den nächstbesten Koranvers als Beispiel: Sure 4, Vers 89: Sie wünschen, dass ihr ungläubig werdet, wie sie ungläubig sind, und dass ihr ihnen gleich seid. Nehmet aber keinen von ihnen zum Freund, ehe sie nicht auswanderten in Allahs Weg. Und so sie den Rücken kehren, so ergreifet sie und schlagt sie tot, wo immer ihr sie findet; und nehmet keinen von ihnen zum Freund oder Helfer.
Da braucht es schon Brachialphilosophie, um diese klaren Worte zu "vergeistigen" - und spirituell sind die nirgendwo. Das ist kein innerer Kampf, das sind Anweisungen, Ungläubige hinterhältig zu töten. Und das hat "der Islam" bis heute regelmäßig gemacht.
Ähnlich ist es mit der katholischen Bibel - im alten Testament - das war so gemeint, wie es steht - da hilft auch kein vergeistigen oder Augen zudrücken. Da wirst Du Dir schwer tun, solche Aussagen als Metaphern zu deuten und das wird von den islamischen Vorbetern offensichtlich auch nicht so gesehen:
Khamenei, der oberste geistliche Führer des Iran, sagte: Die Christen und Juden sagen: Du sollst nicht töten! Wir sagen, dass das Töten einem Gebet gleichkommt, wenn es nötig ist. Täuschung, Hinterlist, Verschwörung, Betrug, Stehlen und Töten sind nichts anderes als Mittel für die Sache Allahs!" (gleichlautend geäußert von Mohammed Nawab-Safavi in "Dschame'eh va Hokumat Islami" Teheran 1985, 2. Ausg. S. 63. Auf deutsch zitiert aus "Morden für Allah" von Amir Taheri, München 1993, Droemersche, S. 56)
Ja, ich weiß schon was Du meinst. Ich sehe es auch nicht wirklich anders. Es geht mir auch nicht darum, zu behaupten das gewisse Suren nicht äußere Regeln vorgeben und zu Gewalt aufrufen. Ich kenne mich mit dem Koran gar nicht genug aus, um da eine wirklich klar zu sehen. Was ich zu formulieren versuchte, war lediglich meine Meinung, das gerade weil religiöse Texte oft in alle Richtungen gedeutet werden können, ich genau darin ihren Sinn vermute. Der Koran ist offensichtlich wiedersprüchlich, ruft an manchen Stellen zu Gewalt auf, an anderen wiederum zu Frieden, manches ist ganz klar auf das "äußere Leben", manches auf das "Innere" (Psyche, Bewusstsein... etc.) bezogen. Die Bibel ist auf eine andere Art und Weise ähnlich, wie auch sehr viele andere religiöse Texte, etwa die Bhagavad Gita oder das Liber Al vel Legis. Der Sinn eines solchen Textes liegt in der Fähigkeit des Lesers ihm Sinn zu geben. Die Frage der Bedeutsamkeit ist nicht objektiv beantwortbar, keine Frage einer "objektiven Qualität", sondern ob eine religiöse Schrift Bedeutung hat. Ich setze also eine gewisse Bedeutsamkeit und Qualität des Koran voraus, weil ganz offensichtlich genau das sehr viele Menschen darin sehen.
Das ändert aber nichts daran, das ich mir eine persönliche Meinung bilde, den Text mit Sicherheit anders deute als ein Fanatiker es tut. Für mich geht es ja gerade darum: Es gibt keine objektiv-richtige Deutung. Meiner Meinung nach ist das ein offensichtlicher Verweis auf einen selbst, sozusagen der Aufruf dazu die Sicht zu hinterfragen die man selbst hat. Denn man liest ja einen Text nicht, ohne sich im selben Moment eine Meinung darüber zu bilden die auf dem basiert, was "schon da ist", den Überzeugungen die man schon hat. Wenn es nun offensichtlich ist, das ein religiöser Text einen ziemlich im Stich läßt was das "richtig" und "falsch" angeht, weil er wiedersprüchlich ist, gibt es meiner Meinung nach nur zwei Arten damit umzugehen (wenn man es denn tut): Man sucht sich heraus was die eigenen schon bestehenden Überzeugungen unterstützt, egal ob man z.B. den Koran ablehnt oder an ihn glaubt, oder man hinterfragt diese Überzeugungen. Ersteres ist in gewisser Weise ein "äußerer Weg" und der Koran wie auch die Bibel geben dort keine klare Richtung vor... oder/und jede... und daher keine. Die eigenen Überzeugungen zu hinterfragen, einen Text absolut persönlich zu deuten, ist eine Art "innerer Weg".
Und die Qulität einer religiösen Schrift liegt meiner Ansicht nach darin, das sie in jedem Fall auf das "Innere" verweist, da sie auch im Fall einer Deutung die auf das "Äußere" abzielt eine Art extreme Wirkung entfaltet. Damit meine ich durchaus Leid und das mag zynisch klingen und ich würde nicht sagen, das ich das "gut" finde. Aber ich glaube, das darin der Sinn liegt. Denn im Äußeren ist es immer Leid das auf das "Innere" verweist und wer nicht direkt lernt, lernt indirekt und indirekt läuft solange auf Leid und Extrem zu, bis es zu direkt wird.
So paradox dies sein mag, hier stimme ich Dir zu und auch wieder nicht. Mit Gewalt lassen sich auch noch so klare Texte philosophisch-esoterisch-spirituell auslegen und manchmal ist das auch angebracht.
Manchmal aber eben nicht. Die "Fanatiker" wollen nicht Gottlose töten, sie töten sie mit dem Koran in der Hand und dem winkenden Paradies, ebenso wie die Inquisitoren der katholischen Kirche dies einst taten.
Hier geht es nicht um Theorie und Philosophie, religiöse Auslegungen, hier geht es um tatsächliche Vorgänge. Das macht jedoch einen Unterschied.
Ja, natürlich geht es um tatsächliche Vorgänge. Und ich sehr darin auch ganz klar einen Unterschied. Aber es ist eben beides möglich: Ich kann den Koran nehmen und mich fragen, wie andere ihn deuten und was daraus folgt, kann mich fragen, ob ich das für richtig halte oder nicht. Und ich kann den Koran lesen und mich fragen, was er für mich selbst bedeutet und das kann ich auch dann, wenn ich ihn ablehne, mich z.B. fragen warum ich ihn ablehne etc. Und ich glaube, das es immer richtig ist, einen Text auf das eigene "Innere" hin zu deuten, weil einen nur das weiterbringt. Es bringt mir schlicht gar nichts, den Koran deshalb abzulehnen weil es Menschen gibt die ihn dazu benutzen, Handlungen zu rechtfertigen die ich für falsch halte. Ob ich ihn für besonders wertvoll halte ist auch wieder eine andere Frage, ich persönlich habe mich ja nie wirklich damit beschäftigt. Ich glaube aber, das er wertvoll für mich sein könnte, wenn ich das will.
Gerade das tolerante Verhalten, das Vergeistigen einer Brachialreligion, das Wegschauen und Nicht-Sehen -Wollen steigert die Gefahr enorm, da sie eben verniedlicht, verkleinert bis negiert wird.
Da nützen auch hochstehende philosophische Gedanken wenig, wenn Du einem islamistischen Attentäter gegenüberstehst, der von den Jungfrauen im Paradies träumt und für seinen Allah ein paar hundert wertlose Ungläubige mit in den Tod reißt.
Ich schaue ja nicht weg. Das sehe ich durchaus auch alles. Ich glaube aber, das nicht der Koran die Ursache für Gewalt ist. Eine Person, die ihn als Aufruf zur Gewalt versteht, muss diese "Gewalt" schon in sich tragen. Wäre das nicht der Fall, würde sie den Koran anders lesen. Ob Du ihn liest und darin die Ursache für Handlungen anderer siehst, die Du für falsch hälst und ihn daher ablehnst, oder ob ihn ein Fanatiker liest, ihn zum Aufruf zu Handlungen versteht, die er für richtig hält und ihn daher "anbetet", interessiert ja den Koran nicht. Und etwas für falsch halten, was andere tun oder lassen, führt ja auch nicht dazu, das sie sich ändern. Die eigene Einstellung ist für einen selbst von Interesse, was andere darin sehen ist ja wieder deren eigene Einstellung. Und wenn die Geschichte etwas lehrt, dann ja doch schon recht offensichtlich, das ein "dagegen" nie das gebracht hat was man sich wünschte, im Persönlichen wie auch Gesellschaftlichen.
Schön, wie Du das philosophisch siehst - leider hat sich das zu den Gläubigen und deren Vorbetern nicht durchgesprochen und es bleibt zu befürchten, daß sich das kaum ändern wird.
Ja, das sehe ich auch nicht anders. Aber mich persönlich interessieren die Fanatiker und Vorbeter nicht. Ich bin der Meinung, das sie ohne den Koran etwas anderes finden würden, das sie für ihre Zwecke nutzen können, und das der Koran sehr viel tiefer gesehen werden kann, als er von den Fanatikern wie auch den "Gegnern" (des Koran) gesehen wird. Ich kann mich nur auf meine Sicht der Dinge "beschränken" und mich fragen, welche mir eher das bringt was ich wünsche. Es geht mir ja nicht mal darum "dafür" zu sein, also den Koran zu verteidigen. Nur darum, nicht "dagegen" zu sein. Wäre es so, das "gegen etwas sein" dazu führt das es sich ändert, wäre ich es. Für mich ist es ganz simpel eine Frage was "zielführend" ist und was ich will. Wenn es "Frieden" ist, dann ist es für meinen eigenen, sinnvoller diese Dinge philosophisch zu betrachten

Damit bringe ich vielleicht anderen noch keinen Frieden, höchstens innerhalb meines engen Umfeldes, aber auch nicht das Gegenteil. Und genau das tut eben auch niemand der seinen eigenen Frieden von anderen stören läßt und der Meinung ist gegen sie ankämpfen zu müssen. Gegen Fanatismus zu sein, macht ja nicht gerade immun gegen den Angriff eines Fanatikers, und solange man gegen etwas ist, hat dieses "etwas" immer noch eine gewisse Macht über einen, selbst dann wenn gar kein äußerer Angriff stattfindet, fühlt man sich im Inneren angegriffen. Und genau das ist für mich der Punkt, weil ich glaube das man selbst einen Fehler macht, wenn man z.B. etwas liest wie den Koran und das auch nur in irgendeiner Weise ein "negatives Gefühl" in einem hervorruft. Der Weg den ich für richtig halte dreht sich darum, das "dagegen" zu erkennen und "aufzulösen". Das heißt nicht, das man dadurch "für etwas" wird. Aber das wogegen man war, betrifft einen nicht mehr, und meiner Meinung nach, ist das die einzige Einstellung die wirklich funktioniert, und damit meine ich nicht nur das "Innere", sondern auch das ganz alltägliche Leben. Man kann an diesem ganzen Thread sehr gut sehen, das es leicht ist, auf der vermeintlich richtigen Seite zu stehen und sie zu begründen, dabei ist es sogar egal auf welcher Seite man steht. "Recht haben" ist eher eine Frage des kreativen Umgangs mit Überzeugungen, als eine Frage dessen auf welcher Seite man wirklich steht. Will man aber persönlichen Frieden finden, geht es nur noch darum, was diesem Frieden dient und was ihm abträglich ist.
VG,
C.