Kurze Frage dazu:
Kommst du denn in deinem Alltag überhaupt in entsprechende Situationen, um Genanntes fühlen zu können?
Im stillen Kämmerlein gibt es ja nichts, was unmittelbare 'reine' (affektive?) Gefühle auslöst.
Gute Frage, ja. Ich denke ebenfalls: das Leben eines Erwachsenen löst andere Gefühle aus als das Leben eines Kindes. Daher ist der Versuch, als Erwachsener die Gefühle eines Kindes zu fühlen, prinzipiell vermutlich unangebracht.
Aber darum geht es ja im Grunde dem Cayden *winkewinke* nicht. Sondern was mir vom überfliegenden Lesen des Threads als Wort übrigbleibt, das ist das Wort "Naivität". Und zwar Naivität nicht im Sinne von kindlicher Unkenntnis, sondern im Sinne von reiner, ursprünglicher Natürlichkeit der Sinne.
Für mich ist das ein buddhistisches Thema. Das "pure Sein" findet in der Natürlichkeit der Naivität statt. Naivität zeichnet sich durch Nichtbewertung aus und dadurch durch eine Angstlosigkeit, welche die erlernte Distanz zu den Dingen und Menschen durchbricht. Im Grunde ist sie (die Naivität) also eine Frage der Verortung des eigenen Bewusstseins: wer bin ich? Bin ich vor meiner Erfahrung, oder bin ich hinter ihr? Bin ich das, was lebt, oder bin ich das, was das Leben aus mir gemacht hat?
Diese letzte Frage klingt ähnlich wie "bin ich ein Kind, oder bin ich erwachsen?" Das Kind ist vor seinem Erleben, der Erwachsene ist nach ihm. Üblicherweise.
Es ist ein meditatives Thema, zur Naivität zurück zu finden. In den Raum vor der Erfahrung, in dem alles neu ist - und in dem dadurch auch permanente Erleuchtung stattfindet. Im Hier und Jetzt ist alles neu. In der Vorstellung kann nur das Bekannte gefunden werden. Insofern findet sich auch im Erwachsenen nur die Vorstellung von einem naiven Kindsein, das bereits erlebt wurde und nicht mehr erreichbar ist.
Was aber erreichbar ist, das ist vermutlich dann doch eine "neue" Naivität, eben die geduldete Naivität des Erwachsenen. Auch der Erwachsene darf alles neu erleben, selbst das sich Wiederholende. Gerade durch das unvoreingenommene und aufmerksame Erleben des Ewiggleichen kann ja der Zustand der Wiederholung durchbrochen werden und es kann wieder ein Erleben des Neuen entstehen. Anders als beim Kind "weiß" aber der naive Erwachsene um sein Erleben des Neuen, während es dem Kind nicht auffällt. Nur im Rückblick auf die Kindheit bemerkt man: Mensch, damals war irgendwie alles neu, ich war damals anders.
Von daher geht mein Plädoyer für die Naivität nicht in Richtung Rückkehr in die eigene niedliche Kindlichkeit, die ja auch unkritisch ist und selbst Ungutes gutheisst und dadurch sicherlich auch schlechte Erfahrungen machen musste. Sondern ich plädiere für die Möglichkeit zur unvoreingenommenen Betrachtung, zum "frischen" Sein, zur immer wieder stattfindenden Aktualisierung der eigenen Energie in die Jetztzeit hinein, die das Universum anbietet. Früher ist nicht heute und wird es auch nie werden. Aber heute kann durchaus wie früher sein, wenn man sich ebenso fühlt wie früher. Dennoch wird man nie jemand, der man mal war, sondern man ist immer man selber.
lg
P.s.: Und wie kommt man da nun hin, daß man frisch ist? Darüber gilt es erwachsen nachzudenken. Ein Kind kann es nicht wissen, es ist frisch für sich.