Es gilt nicht, die Gefühle Anderer ignorieren zu lernen. Das wäre die völlig falsche Sichtweise auf die Bedeutung des Gefühls.
Vielmehr gilt es, das Gefühl noch viel besser wahrnehmen zu lernen, dem ersten Eindruck zu entfliehen, und sich mit offenen Augen ein reales Bild vom Gegenüber zu machen. Dann kann man entscheiden, ob man das eigene Gefühl äussert, nämlich daß man das Gefühl wahrgenommen hat.
Die reale Welt bietet als Wahrnehmungskanäle, welche die Gefühlswahrnehmung überdecken können, die Augen, die Ohren, die Nase und den Tastsinn an. Verliert man den Kontakt zu diesen Sinnen, z.B. aufgrund eines Traumas, so kehrt sich der Blick in eine Innenwelt, die den Menschen von der Umgebung entfernt hält.
Der Mensch ist jedoch nicht in der Lage, seine primären Sinneskanäle zu verschliessen. Er kann sich zwar die Ohren zuhalten oder mit den Augenlidern die Augen verdecken, aber trotzdem hat er Gehör und Bild, hört und sieht also.
Das Gehirn hat keine Ahnung davon, was es erfährt und wie es diese Erfahrung verarbeiten könnte. Es will leben. Und daher generiert es sich ausreichend Sinneseindrücke, um sich entwickeln zu können, wie es seine Natur ist.
Verschliesst ein Mensch nun z.B. aufgrund eines Traumas seine primären Sinne, so prägen sich die sekundären Sinne, zu denen die Intuition und die damit verbundene Gefühlswahrnehmung gehören, überdurchschnittlich aus.
Durch Übung kann man lernen, wieder "präsent" zu werden, wie man in den östlichen Ländern sagt, oder auch: das eigene Zentrum wieder finden. In diesem Zentrum ist das Gefühl still, der Mensch blickt und riecht, ist wach und nicht in eine Innenwelt verträumt. Er hat also auch keine Gefühlswahrnehmungen, die er nicht wünscht und hat daher auch nicht das Bedürfnis, das eigene Gefühl und die damit verbundene Wahrnehmung zu unterbinden.
Tricks, um präsent werden und zu bleiben, gibt es Viele. Man könnte sich kneifen, oder sich die Haut bemalen, als eine Art Symbol, daß eine natürliche Grenze zwischen dem eigenen Innen und dem Aussen, in dem die anderen Menschen leben, unzerstörbar existiert. Man muß im Grunde einen Weg finden, sich stets vergewissern zu können, daß man ein Individuum ist.
Der Schlüssel auf dem Weg dahin geht meines Erachtens über das Gefühl des sogenannten Alleineseins. Alleine sein können heisst, nichts zu vermissen, nicht an Andere zu denken, nicht zu fühlen, was Andere in einem auslösen, still sein zu können. Eine gute Übung dafür ist die Sitzmeditation in einem Raum, in dem man sich alleine aufhält. Bei dieser Gelegenheit kann man wahrnehmen, wie die eigene Psyche unruhig ist und Gefühle produziert, Bilder, Ideen des Mitfühlens, die aber nicht real, sondern illusionär sind. Man kann sich mit Augen vergewissern: ich sehe. Mehr ist nicht nötig, man kann es verbessern, indem man eine Kerze vor sich aufstellt, oder eine Blume, die man betrachtet.
Durch das Alleinesein nimmt man mit wachsender Übung den eigenen Körper wahr, als Hülle für einen Geist, der denkt und Gefühle wahrnimmt. Schliesslich entdeckt man so diejenigen Gefühle, die unabhängig vom eigenen Willen in einem entstanden sind, lernt, den eigenen Geist und seine Bewegungen zu kontrollieren und kann so die unerwünschten Gefühlswahrnehmungen unterlassen.
lg