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Haris
Guest
Quargelbrot schrieb:Da gerade die Astronomie von Beobachtungen lebt, brauchst Du Dich ja nicht ausklinken.![]()
Ok, da Du mich so freundlich ermunterst will ich Deine Einladung gern annehmen und weiter meinen Senf dazugeben. Allerdings bin ich gänzlich unbedarft, was Physik und Astrologie angeht. Ich verlasse mich darum ganz auf meinen eigenen beschränkten Wahrnehmungsapparat, der in diesem Augenblick in den nächtlichen Himmel guckt und dort z.B. das fahle Licht eines hinter Wolkenschleiern durchschimmernden Halbmondes erfasst.
Mein Fragen geht nun so: Hier bin also ich, der Beobachter und da ist also der Mond, das Beobachtete. Ist ja eigentlich eine klare Angelegenheit, oder? Hier ich, da der Mond. Jetzt will ich aber wissen, ob das wirklich der Mond dort oben ist, oder ob ich nicht vielleicht grade im Bett liege und sehr lebhaft von einem Mond träume. Zum Beweis, daß ich nicht träume könnte ich jetzt meine Frau, die grade neben mir sitzt und ihre Zeitung liest fragen, ob sie dasselbe sieht, wie ich. Sie wird mir meine Beobachtung natürlich bestätigen und somit ist alles in Butter. Doch in mir regt sich der Zweifler, dieser Plagegeist, der immer weiter und weiter alles hinterfragen und in Einzelteile zerlegen muss. Was, wenn ich auch das nur träume, nämlich, daß da in meinem Traum meine Frau sitzt und mich zwickt, weil ich sie nämlich aus dem mir eigenen und ununterdrückbaren, zwanghaften Drang heraus, alles anzuzweifeln soeben aufgefordert habe, mir zwickenderweise zu beweisen, daß ich wirklich existiere. Tatsächlich fühlt sich der Schmerz sehr lebhaft an und wiederum bin ich für einen Moment überzeugt, daß ich nicht träume, weil ich den spitzen Schmerz im Oberarm spüre und meine Frau noch dazu anfängt mich durchzukitzeln. Und doch, und doch, auch wenn ich mich krümme und biege vor Lachen, das Zweifeln hört nicht auf. Was, wenn ich auch das nur träume. Wo ist der endgültige Beweis, daß ich mir das alles nicht nur einbilde?
Solcherart in meinem Fragen angestachelt untersuche ich nun genauer meine Wahrnehmung. Da ist also eine Lichterscheinung, die ich kraft meiner Augenwahrnehmung als Mond interpretiere, eine weitere optische Erscheinung, die ich als meine Frau klassifiziere und noch eine weitere, die ich kraft meines Schmerzemfpindens als Zwicken empfinde. Ich stelle fest, daß ich all diesen Empfindungen Namen geben kann und daß innerhalb meiner Erfahrung Klassikationen dieser Wahrnehmungen hinzukommen: hell - dunkel, angenehm - unangenehm, belebt - unbelebt, nett, doof usw. Daraus folgere ich, daß mein Verstand offenbar in der Lage ist, Dingen eine bestimmte Bedeutung und Funktion hinzuzufügen. Ob sie diese Eigenschaft wirklich haben oder ob ich mir sie nicht nur dazureime, kann ich nicht mit Gewissheit herausfinden, weil am Ende immer die Ungewissheit bleibt, wie es objektiv ausserhalb meiner Wahrnehmung aussieht. Selbst die Feststellungen, daß ich eine Wahrnehmung habe, daß ich sehe, daß ich spüre usw. bleibt letztlich unbewiesen, weil das alles sich in meiner eigenen Vorstellung abspielt. Daraus folgere ich wiederum, daß es offenbar einen Zusammenhang zwischen mir als Beobachter und den Dingen, die in meinem Geist als Beobachtetes erscheinen geben muss und ich komme zu dem Schluss, daß ich das Beobachtete keineswegs von mir als Beobachter getrennt sehen kann. Wie die Welt ausserhalb meiner Beobachtung aussieht, ja, ob sie überhaupt existiert, kann ich nicht mit letzter Gewissheit sagen. Selbst wenn ich zum Beweis andere heranziehe und mir von ihnen meine Beobachtungen bestätigen lasse, muss ich eingestehen, daß auch die Wahrnehmung der anderen nicht ausserhalb meiner Beobachtung geschieht. Somit bleibt nur der Schluss, daß es unmöglich ist, eine Aussage über die Welt ausserhalb meiner eigenen Beobachtungen und Interpretationen zu machen. Und auf ein Mal erinnere ich mich, daß genau das schon die Vorsokratiker festgestellt haben und selbst diese gloreichen philosophischen Gedanken nicht auf meinem ureigenen Mist gewachsen sind.
Dies erschüttert mein Weltbild nun aber doch nachhaltig, denn ich bin es gewöhnt hier mich und da die Welt zu sehen und basta. Wenn ich aber nun eingestehen muss, daß die Welt, wie ich sie sehe, von mir nicht getrennt ist, sondern im Gegenteil, NUR kraft meiner geistigen Aktivitäten so existiert, wie sie erscheint, kommen mir grosse Zweifel an der Objektivität meiner Wahrnehmung und noch schlimmer: meine Zweifel darüber, ob es überhaupt eine Welt ausserhalb meiner Wahrnehmung gibt wachsen ins Unermessliche. Vollkommen rasend vor Selbstzweifeln wende ich nun meine Aufmerksamkeit den geistigen Prozessen zu, die meinen Wahrnehmungen zugrunde liegen. Dort finde ich so eine Art Kommandozentrale oder Beobachtungswarte, in der alle Beobachtungen zusammenlaufen und ausgewertet werden. Es muss so sein, sonst könnte ich nicht davon berichten. Aber au weia: wenn ich nun genauer suche um diese Beobachtungswarte ausfindig zu machen, also den eigentlichen Beobachter, zerfällt er in tausend Einzelaspekte: da gibt es einen Apparat, der Sinnesimpulse aufnimmt, ein anderer bündelt sie und führt sie einer ersten Auswertung zu, ein weiterer ettiketiert die Wahrnehmung und bildet Begriffe, ein weitere unterteilt in gut, schlecht, neutral usw. Es gibt unendlich viele Elemente, die dazu beitrgen, diesen Beobachter zu formen - und doch kann ich ihn selbst nicht finden. Wie also kann ich glauben, daß die Welt "da draussen" wirklich existiert, wenn ich nicht einmal mich selbst "da drinnen" finden kann?
Aber da diese Fragerei unendlich, unheimlich anstrengend und für das Alltagsleben doch recht unpraktisch ist, lasse ich das Fragen einfach sein, lehne mich zurück und guck mir ganz naiv und ohne Hintergedanken das unbekannte Lichtdings da oben an, daß irgendein Nervenreflex in mir als "Mond" bezeichnet. Und plötzlich wird das Leben ganz einfach.