Das stimmt, ich hab den Zahn wirklich vernachlässigt. Dann hat er irgendwann Probleme gemacht und ich habe mich von ihm getrennt, mich trennen müssen und ich war gottfroh, als er dann draußen war. In dieser Trennung liegt für mich ein Segen, kein Problem also. Ein anderes Beispiel dafür, das Trennung nicht per se problematisch sein muss ist die Trennung von jemandem, mit dem man nicht mehr klar kommt. Ja, sollen wir denn auf Teufel komm raus zusammen bleiben, auch wenn es zwischen uns einfach nicht mehr passt, es nur noch Streit gibt und wir allmählich sogar krank werden deshalb? Also trennen wir uns doch lieber und hören auf uns gegenseitig zu quälen.
Ich nehme aber an, dass hier noch eine andere Art der Trennung gemeint ist, die Trennung nach spiritueller Denkart, die darin bestehe, es gäbe ein grundlegend problematisches Trennungsgefühl zwischen Ich und Umwelt. Wer das empfinde könne nicht eins sein mit der Welt und bleibe demnach in einem Zustand des Leids oder Mangels. Die Aufhebung dieses Trennungsgefühls durch spirituelle Praxis führe zum Einssein und Einssein sei Liebe, was wohl als so eine Art wohlig- warmes Verbundenheitsgefühl mit allem und jedem vorgestellt wird.
Ich habe für mich gefunden, dass dies nichts weiter als Vorstellungen sind. Nicht das Vorstellungen nichts sind, das sie unwichtig wären oder gar Täuschungen. Wenn solche Vorstellungen da sind, sind sie total wirklich, sie können einen das ganze Leben lang beherrschen. Wir erfahren Leid und möchten es loswerden und dazu kreiieren wir diese großen Ideen von der allumfassenden Liebe, von Befreiung und vom Paradies - und wenn das Leiden besonders stark ist, ja, da ist es doch absolut verständlich, diese Vorstellungen zu haben . Ich mag diese Gedanken vom Paradies und der Befreiung in ewiger Liebe auch sehr, ich mag schöne Märchen einfach und mag es an sie zu glauben - aber es sind halt doch dann bloß Gedanken. Ich sage nicht, das Gedanken nichts wert sind. Sie können unheimlich tröstlich sind, grad auch diese hoffnungsvollen Gedanken von der Liebe und der Befreiung von der Dualität. Solche Gedanken können einem sehr schöne Gefühle bereiten. Erwartungsvolle Hoffnung, süße Sehnsucht auf große Geschenke am Ende des Leidensweges. Doch was ist denn jenseits dieser Gedanken, was ist, wenn sie aufhören? Gibt es so ein Jenseits? Ja natürlich! Andauernd enden Gedanken, wir denken nicht ununterbrochen. Auch haben wir doch nicht andauernd großartige Gefühle. Wenn ich meine Zähne putze, was ich seit Neuestem verstärkt tue, denke ich nicht ununterbrochen, schon gar nicht ans Paradies und an die Liebe udn auch fühle ich dabei nichts besonderes. Es wird einfach Zähne geputzt. Ich putze die Zähne und da ist nichts anderes, nicht mal ein Ich, kein Körper der etwas tut, kein Gehirn, das etwas denkt - nur die Zahnbürste im Mund und der ganze mit dem Zähneputzen verbundene Vorgang. Punkt. Dann kommen vielleicht wieder Gedanken: ach hätt ich doch den Stockzahn mehr geliebt, dann hätte ich ihn jetzt noch. Von nun an will ich meine Zähne besser pflegen usw. Inzwischen passiert da draußen vielleicht irgendwas anderes, was weiß ich, die Sirene eines Krankenwagens ertönt - die Gedanken richten sich darauf: oje, was ist da wohl passiert. Dann klingelt das Telefon, die Mutter ist dran und jammer wieder was von Schmerzen. In der Küche brennt das Essen an, hab zu lang mit der Mutter telefoniert, die Zahnbürste noch im Mund. Das Kind kommt von der Schule heim und ist total verschnupft. Mit T-Shirt bei 5 Grad. Ich hab doch gesagt: zieh Dir was warmes an. Draußen geht ein Sturm. 5 Leute tot. Flugzeugabsturz, Krise in Griechenland. Der Schwiegervater war beim Friseur. Die Oma hat ne Warze an der Hand. Usw. So geht es doch, das ist doch, was passiert, andauernd. Hier folgen die Ereignisse, seien sie nun als getrennt von mir gefühlt oder ohne dass ich überhaupt etwas von mir selber merke, eins nach dem anderen in allerdichtester Folge. Ich sehe da keine Sonderstellung für die Gedanken - seien es auch so "hochwertige" Gedanken wie die Idee der Liebe oder die Idee von Gott und Einssein usw. Gedanken haben doch einfach ihren Platz, aber das Zähneputzen genauso, die Schwiegermutter genauso, die Nachrichten im Fernsehen genauso, das Sitzen auf einem Stuhl genauso, genauso auch das Gefühl von Getrenntsein, das Gefühl Nciht-Getrenntsein, schöne warme Gefühle, hässliche Gefühle, Hoffnungen und halt einfach die ganze bunte Pallette der Spielarten des Seins.