Wir wissen nicht, was Jesus "wirklich" gesagt hat. Die vier kanonischen Evangelien sind schon unterschiedlich und oft widersprüchlich genug, die Sprüchesammlungen der zahlreichen apokryphen Evangelien noch viel mehr.
Diese Aufzeichungen sind nicht im Bewusstsein entstanden, der Nachwelt historische Berichte überliefern zu wollen, sondern es sind Propagandaschriften, Texte, die Menschen zu etwas bewegen wollten. Dabei mischen sich Zitate aus alten Quellen (Aussage: "Schaut - er ist der Messias. In ihm hat sich erfüllt, was die Alten verkündeten!") mit zeitgenössischen Einflüssen - der Vordere Orient war damals ein Schmelztiegel der östlichen und westlichen Philosophien ("Ich aber sage euch..."), dabei werden Sätze vor den politisch-umstürzlerischen Karren gespannt ebenso wie vor den politisch Macht erhaltenden ("Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist...").
Scorceses Vision von einem Jesus, der vom Kreuz wieder heruntersteigt, steht vor dem Hintergrund einer Theorie, wonach Jesus durch die "Inszenierung" seiner Auferstehung - und nachdem er am Kreuz nicht wirklich gestorben war - vor der Verfolgung durch die Römer gerettet worden ware. Anschließend sei er mit seiner Mutter und mit Maria Magdalena nach Indien geflüchtet und dort im hohen Alter in Kaschmir beigesetzt worden. An den Büchern mit "Beweisen" und "Gegenbeweisen" für diese These haben einige Verlage gut verdient
Die Darstellung eines verzweifelten, mit sich und Gott ringenden Jesus in dem Film ist eindrucksvoll inszeniert, aber durchaus auf biblischem Boden: "Lass diesen Kelch an mir vorübergehen..." - "Mein Gott, warum hast du mcih verlassen!?" Und letzten Endes mündet auch Scorcese im "Es ist vollbracht!" - und alles andere wäre auch enttäuschend gewesen und ebenso sinnlos wie all diese Überlegungen, was wohl wäre, wenn Jesus heute... mit "hättiwari" (hätte ich, wäre ich...) ist die Welt schon so oft theoretisch gerettet worden. Leben tut sie im Indikativ, nicht im Konjunktiv.
Was die Inszenierung des historischen Füllmaterials betrifft, ist Scorcese ebenso authentisch wie Monty Python's "Das Leben des Brian". Auch ein Beitrag zur Frage, wie Bedeutung entsteht.
Tiana, die Theorie, dass Judas der eigentliche Retter der Menschheit wäre, konnte ich in dem Film nicht erkennen. Er war der enttäuschte politische Revolutionär, der als "Handlanger des Schicksals" in die Pflicht genommen wurde... soweit alles nix Neues. Und was wäre darüberhinaus hinzugekommen? Alles andere ist ja nur Vision, ist "die letzte Versuchung", der William Defoe nicht erliegt.
Was ich wirklich interessant gefunden habe, war, dass Satan so nahtlos und glaubwürdig als Schutzengel auftreten konnte... das macht mich nachdenklich hinsichtlich Luzifer und Lichtarbeiter und so...
Alles Liebe, Jake