Die Dimension der Zeit

Ich beziehe mich hier auf den Aspekt der ZEIT in Senecas Werk und meine Haltung zur Zeitthematik bei Seneca usw. Allgemein über den Stoizismus und meine Sichtweise dazu habe ich in meinem Stoizismus-Thread geschrieben. Hier geht es nur um den ZEIT-Aspekt bei Seneca und anderen Autoren.

Das Ausschlaggebende ist, dass ich mich in einer Lebenssituation befinde, wo ich mit meiner Kraft und auch mit meiner Zeit haushalten muss, um die Anforderungen des Lebens zu bewältigen und meine Ziele Schritt für Schritt zu realisieren. Die Zeit ist für mich wertvoller als für solche, die nicht damit haushalten müssen. Seneca bilanziert genau diesen haushälterischen Aspekt der Zeit. Man muss das ganze Video bzw. Werk gehört/gelesen haben, da Senecas Vortrag gezielt in einer finalen Schlusserkenntnis schlussfolgernd mündet. Einfach so reinhören oder Abschnitte herausziehen, bringt rein gar nichts. Dann bleibt dem Leser/Hörer dieses komplexe Werk verschlossen. Seneca ist genial und es braucht eine erhöhte Lesekompetenz, um ihn zu verstehen. Es braucht sicherlich auch intrinsisches Interesse, durch ihn lernen zu wollen. Der Stoizismus ist eine Sklavenphilosophie. Es braucht eine angemessene Demut dem Leben gegenüber. Seneca hat übrigens maßgeblich zur Befreiung der Sklaven im römischen Reich beigetragen. Ein großer Mann.

Seneca hat aus seiner Sicht geschrieben, was aber seiner stoischen Lehre nicht abträglich ist. Er war sehr belesen, er lehrte die Stoa, welche damals Staatsphilosophie in Rom war und eine Menge Gutes bewirkte von unten nach oben. Es hat die damalige Gesellschaft des römischen Rechtssystems geprägt. Seneca war ein Mann des römischen Rechts, das auch heute noch im Rechtsstudium von Bedeutung ist. Es sind die Grundpfeiler des heutigen Rechtswesens und der Demokratie. Man kann das nicht genug hoch wertschätzen. Ich bin sehr froh, dass es Männer wie Seneca gegeben hat, deren Werk überliefert ist. Es ist ein Geschenk, das ich gerne annehme, wodurch ich gerne dazulerne. Es macht es umso spannender, die Historie dahinter zu verstehen.
 
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Ich muss gerade schmunzeln, weil ich früher einmal eine müßige Diskussion mit jemandem führte, der nicht glauben wollte, dass sich C. G. Jung auch sehr intensiv mit der ZEIT im Zusammenhang mit der Synchronizität auseinandersetzte. Hier nun der Beweis in Form eines protokollierten Gesprächs zwischen Hans Bender und Carl Gustav Jung im Jahre 1960:
Das ist alles so eigentümlich verschachtelt“. Hans Bender und Carl Gustav Jung im Gespräch über Synchronizität (1960)

ZITAT
"Das Tonband mit der Originalaufnahme des Gesprächs zwischen Bender und Jung befindet sich heute im Archiv des IGPP.
Am 6. Juni 1961, rund ein halbes Jahr nach diesem Gespräch, verstarb Carl Gustav Jung in Küsnacht. Wie Aniela Jaffé Bender persönlich mitteilte, sei Jung „sehr ruhig eingeschlafen.“ Hans Bender betonte ein weiteres Mal die „unschätzbaren Anregungen“ C.G. Jungs für die Parapsychologie und edierte nun posthum und in Gedenken an Jung dessen aussagekräftigen „Brief zur Frage der Synchronizität“ an A.D.Cornell in der ZfP (Jung, 1961). C.G. Jung seinerseits war bis zum Schluss seines wissenschaftlichen Wirkens lebhaft an den Fragen der Parapsychologie interessiert, die er als diejenige Wissenschaft betrachtete, „die sich mit jenen biologischen und psychologischen Vorkommnissen befaßt, die zeigen, daß die Kategorien von Materie, Raum und Zeit (und somit der Kausalität) nicht
axiomatisch sind.“"


Quelle mit kostenlosem 49-seitigem PDF zum Gespräch Bender-Jung:
https://www.researchgate.net/public...tav_Jung_im_Gesprach_uber_Synchronizitat_1960
 
Da kommt noch eine Menge! Aber nicht alles auf einmal! :D

https://sciencenotes.de/alles-wird-gut/aus-der-zeit-gefallen/
Zitat: "Ganz ohne Sinn und Ziel neigen Menschen generell zu Depression: »Sie stecken fest in der Zeit.« - »Zukunftsorientierung führt zu Wohlbefinden.« Depressive, aber auch Patienten mit Angststörungen spüren keinen »Flow« mehr, also das beglückende Erlebnis, in einer Beschäftigung ganz aufzugehen."

Zu dieser Aussage des Neuropsychologen Marc Wittmann habe ich nun die wissenschaftliche Quelle gefunden, welche die Aussage relativiert. Es kommt letztlich auf den Patienten an, wie er mit dem veränderten Zeiterleben umgeht, das kann auch achtsam und positiv sein (bei Todkranken), aber eben auch negativ, apathisch, depressiv (bei Angstkranken und Depressiven).

Hier die wirklich sehr lesenswerte, gut verständliche, kostenlose Quelle als PDF-Datei:
Titel: Zeiterleben und Umgang mit Zeit bei Patienten der Onkologie und in der Palliativmedizin.
Autoren: Marc Wittmann, Solveig Dietrich, Stefan Schmidt und Tanja Vollmer.
https://www.researchgate.net/public...ten_der_Onkologie_und_in_der_Palliativmedizin
 
Hier ein Interview zum Thema ZEIT mit Zeitforscher/Neuropsychologe Marc Wittmann:
Wie finden wir die Zeit wieder? Zeitempfinden im Wandel.

ZITAT ab 24:00 Marc Wittmann

"Die Zeit sind wir. Wir definieren, wir wissen unsere Zeit. Mit unserer Körperlichkeit und mit unserem Leben sind wir unsere Zeit. Wir nehmen uns immer weniger wahr und werden immer mehr abgelenkt von uns selbst und unserer Lebenszeit durch Dinge, die unsere Zeit vernichten. Dann habe ich mich nicht erlebt, dann habe ich meine Lebenszeit nicht erlebt."

Quelle: https://www.bibeltv.de/mediathek/vi...n-wir-die-zeit-wieder-zeitempfinden-im-wandel
 
Zum Titel: Zeiterleben und Umgang mit Zeit bei Patienten der Onkologie und in der Palliativmedizin.
Autoren: Marc Wittmann, Solveig Dietrich, Stefan Schmidt und Tanja Vollmer.

ZITAT
"Das Konzept und die Praxis der Achtsamkeit bieten eine Möglichkeit, die oben in den vier Bereichen umrissene Grundhaltung einer gegenwärtigen Präsenz einzuüben. Darüber hinaus bietet das Konzept der Achtsamkeit auch einen wissenschaftlichen Rahmen, der ein noch tieferes Verständnis der Zeitstrukturen und der Handlungsanpassung in der Palliativmedizin ermöglicht. Unter Achtsamkeit versteht man eine innere Haltung, die durch eine bewusste, nicht wertende Präsenz im gegenwärtigen Moment charakterisiert ist. Diese Haltung ist von den Qualitäten Offenheit, Neugier, Zuwendung und Akzeptanz geprägt.

Durch verstärkte Achtsamkeit tritt das andauernde Gefühl der Eile und innerer Unruhe in den Hintergrund. In den Vordergrund tritt der gegenwärtige Moment, der durch den Erfahrungsbezug der Gegenwartsorientierung verankert wird. Der gegenwärtige Moment erfährt durch diese zeitliche Orientierung und Verankerung eine zeitliche Ausdehnung und damit verbunden auch ein Gefühl der inneren Ruhe, Verlangsamung und Bezogenheit in der Situation. Durch die bewusste Neuausrichtung der Aufmerksamkeit und der sensorischen Verankerung wird ein veränderter Bewusstseinszustand geschaffen, der mit einer Veränderung des Zeiterlebens einhergeht.

In zwei eigenen Studien mit Meditierenden unterschiedlicher Traditionen konnten wir auch empirisch zeigen, dass für Meditierende im Vergleich zu Kontrollpersonen die Zeit im Alltag subjektiv langsamer vergeht, ausgedehnter empfunden wird und weniger Zeitdruck besteht. Zentral ist hier die Beobachtung, dass sich das subjektive Zeitempfinden im Sinne des Gefühls, nicht genug Zeit zu haben, häufig von einem Kontext in den nachfolgenden überträgt. Das Sich-Beeilen bringt keine freie Zeit hervor, da sich die innere Unruhe der Eile auf eine mögliche freie Zeit fortsetzt. So hat, wer sich den ganzen Tag beeilt, am Abend vielleicht freie Zeit übrig, kann sie aber nicht nutzen, da er innerlich nicht zur Ruhe kommt. Wer sich viel in Achtsamkeitsmeditation übt, wird auch im Alltag achtsamer sein."


Quelle (kostenlos als PDF): Zeiterleben und Umgang mit Zeit bei Patienten der Onkologie und in der Palliativmedizin.
Autoren: Marc Wittmann, Solveig Dietrich, Stefan Schmidt und Tanja Vollmer.
https://www.researchgate.net/public...ten_der_Onkologie_und_in_der_Palliativmedizin
 
Hier wird sehr gut erklärt, WARUM die Zeitwahrnehmung so unterschiedlich ist!
Zum Titel: Zeitwahrnehmung, Autoren: Sebastian L. Kübel & Marc Wittmann

ZITAT
"Im folgenden Kapitel wird das subjektive Zeitempfinden thematisiert, welches der objektiven, physikalisch bestimmbaren Zeit gegenübersteht. Bezogen auf die prospektive Zeitwahrnehmung sind wir dem Gefühl der verstreichenden Zeit nicht fortwährend gewahr. Vielmehr tritt der Verlauf der Zeit schlagartig im Sinn eines Fehlersignals in unser Bewusstsein, wenn Zeitspannen von der erwarteten Dauer abweichen.

Die Erfahrung der prospektiven Zeit ist grundsätzlich abhängig von der Aufmerksamkeit, die ich ihr zuwende: Wenn man durch eine Tätigkeit absorbiert ist, wird die Zeit nicht beachtet und sie verrinnt gefühlt schnell (sog. Flow-Erleben). Wenn man hingegen ungeduldig an einer Ampel wartet, achtet man auf die Zeit und sie vergeht gefühlt zu langsam. Der Fokus liegt dann schlagartig auf der Zeit. Die wahrgenommene Zeit verläuft also nicht gleichförmig: Sie kann subjektiv als beschleunigt oder verlangsamt erlebt werden. In Sekunden vor einem potentiellen Unfall ist die Person bspw. besonders aktiviert, um Wahrnehmungen schneller zu verarbeiten und um schnelle Entscheidungen zu treffen und auszuführen. Die Außenwelt kommt relativ dazu verlangsamt vor, wie in Zeitlupe.

Empirische Studien weisen darauf hin, dass wir den Zeitverlauf erfahren, indem wir die Aufmerksamkeit auf uns selbst richten, über die Wahrnehmung unseres Körpers und unserer Emotionen. Auch Wartezeit wird deshalb als besonders langsam vergehend bewertet, weil sich der Wartende in dieser Situation intensiv bewusst ist, das physiologische Erregungsniveau gesteigert und die Aufmerksamkeit auf die Zeit gelenkt ist. In einer Szenerie mit einer Vielzahl ablenkender äußerer Reize ist die Körperaufmerksamkeit dagegen gesenkt und die Zeit vergeht daher gefühlt schneller.

Das Zeiterleben im Hier und Jetzt ist Körperzeit: Unsere Zeitwahrnehmung spiegelt den zeitlichen Verlauf der eigenen Körper- und Selbstaufmerksamkeit sowie dessen physiologische Aktivierung wider. Erlebte Zeit wird unmittelbar durch das körperlich und emotional erlebte Ich erfahren.

Bei retrospektiven Schätzungen vergangener Zeitspannen spielt der zeitbedingte Zerfall von Gedächtnisspuren eine entscheidende Rolle. Rückblickend sind die Menge und Reichhaltigkeit an Erinnerungen im Gedächtnis dafür entscheidend, ob uns vergangene Zeitabschnitte lange oder kurz vorkommen. So können wir mit verstärktem Gegenwartsbezug und einem abwechslungsreichen, intensiven und tief emotional erlebten Leben den erfahrenen Zeitverlauf im momentanen Erleben relativ verlangsamen."


Quelle (kostenlos als PDF): https://www.researchgate.net/publication/350246078_Zeitwahrnehmung
 
Der gegenwartsbetonte ZEIT-Bezug wird gerade in der stoischen Achtsamkeit optimal umgesetzt (Seneca, Epiktet, Aurelius):

ZITAT von Marcus Aurelius Antonius, Selbstbetrachtungen. X 12+33.

"Ruhig und doch zugleich leicht beweglich,
heiter und doch zugleich gesetzt
– so ist der Mensch, der in allem der Vernunft folgt.
Denn eben als einen Genuss musst du alles auffassen,
was du deiner eigenen Natur gemäß wirken kannst.
Und dies steht überall in deiner Macht.
Steht es ja bei dir zu untersuchen,
was im Augenblick zu tun ist.
Und wenn du das einsiehst,
wohlwollend und festen Schrittes
diesen Weg zu wandeln."


Quelle: https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/antonius.html

Mehr dazu im Stoizismus-Thread: https://www.esoterikforum.at/threads/antike-stoiker-neuzeitlicher-stoizismus.236079/page-9
 
Das ist alles so eigentümlich verschachtelt“. Hans Bender und Carl Gustav Jung im Gespräch über Synchronizität (1960)

C. G. Jung heilte eine in ZEITDRUCK geratene, schlaflose Lehrerin durch folgendes metaphorisches Bild, das sie sogleich spontan erfolgreich für sich verwerten konnte:

"Sehen Sie, beim Segeln,
da kann man sich wunderbar entspannen.
Sehen Sie, wenn man den Wind von hinten hat
und man setzt den Spinnaker
und fährt da leise den See hinauf:
das ist Entspannung."


Quelle: mit kostenlosem 49-seitigem PDF zum Gespräch Bender-Jung über Synchronizität S. 37-38:
https://www.researchgate.net/public...tav_Jung_im_Gesprach_uber_Synchronizitat_1960

Eine ähnliche heilsame Wirkung gegen die Reizüberflutung und den Zeitdruck hatte folgende stoische Metaphorik auf mich:

Marcus Aurelius Antonius, Selbstbetrachtungen. XI 23, XII 22.

"Sokrates nannte die Meinungen der Menge Poltergeister,
Schreckgestalten für Kinder.
Alles ist Meinung, und diese hängt ganz von dir ab.
Räume also, wenn du willst, die Meinung aus dem Wege,
und gleich dem Seefahrer, der eine Klippe umschifft hat,
wirst du unter Windstille auf ruhiger See
in den sicheren Hafen einfahren."


Quelle: https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/antonius.html
 
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