Liebe Kinnarih,
Diese Sätze sind mir bekannt. Das sind die, die unsere Elterngeneration so gern rund um uns gepflanzt hat
Nein, von dieser Art Zorn ist bei den tibetischen Lehrern nicht die Rede. Das ist nicht die Art Zorn, die ein Mahakala verkörpert. Da geht es um elementare Wucht. Geshe Tashi hat uns das wunderschön erläutert: daß nicht alles, was wir uns an Hindernissen um uns aufgebaut haben, mit sanftem Lächeln aufzulösen ist. Daß man, wie eine gute Mutter, eben gelegentlich streng sein muß. Daß ein guter Lehrer erkennt, wann ein Schüler diese Strenge braucht. Diese Art von Zorn ist gemeint. Die Art von Zorn, mit der Yeshuah die Händler aus dem Tempel geworfen hat. Die hätten sich von lichtundliebedurchtränktem Gesäusel nicht sonderlich beeindrucken lassen, oder?
Es widerstrebt uns ein wenig, hab ich das Gefühl, die Tatsache anzunehmen, daß nicht immer der mein bester Freund und bester Lehrer ist, der mich die ganze Zeit übers Kopferl streichelt und mich nur ja nicht unter Druck setzt... damit ich mich frei entwickeln kann. Gelegentlich ist einer, der mir die bittere Wahrheit mitteilt, wie vernagelt ich mich anstelle, und mich mit entsprechender Vehemenz damit konfrontiert, was die Folgen meiner Vernagelung sind, der wesentlich hilfreichere Lehrer - auch wenn das kurzfristig ein bissl wehtut. Das ist zornvolle Liebe... wenn ich mein kleines Kind anbrülle, weil es auf die Straße laufen will, wo die Autos fahren, dann ist das Liebe, Energeia - die sich zornvoll äußert... es kennt die Gefahr noch nicht, es muß erschrecken, damit es begreift, da ist Gefahr, die einzige Möglichkeit, es erschrecken zu lassen, ist mein Zorn - denn den begreift es. Das ist aber nicht der Zorn, von dem du oben sprichst.
Konnte ich den Unterschied klarmachen?
Ich hatte dein Zitat zitiert, ohne den Kontext des Gespräches zu berücksichtigen. Das war mir nicht klar - und dennoch spreche wir nicht über verschiedene Dinge.
Der Unterschied ist klar geworden - und dieser steckt auch im Kern meines Beitrages, wie mir scheint.
Allerdings glaube ich, dass du etwas vielleicht vermischt - aber das lässt sich ja klären.
Ich hatte geschrieben, dass ein Mensch, der sich selbst liebt, eben nicht immer nur einfach die Mitgefühls-Rolle spielt, dass er nämlich auch Grenzen setzen kann. Und dieses Grenzen-Setzen kann auch ein Konfrontieren sein, wenn es z.B. auf einen anderen gerichtet ist. Genau dies sprichst du jetzt an.
Wenn du dies
Es widerstrebt uns ein wenig, hab ich das Gefühl, die Tatsache anzunehmen, daß nicht immer der mein bester Freund und bester Lehrer ist, der mich die ganze Zeit übers Kopferl streichelt und mich nur ja nicht unter Druck setzt...
auf meinen Beitrag beziehst, dann hat du mich vielleicht falsch verstanden, denn dies wäre ja lediglich das gespielte Mitgefühl, das die eigenen Impulse unterdrückt und keine Grenzen zieht.
Du beschreibst also - genauso wie ich - das wirkliche Mitgefühl.
Das ist zornvolle Liebe... wenn ich mein kleines Kind anbrülle, weil es auf die Straße laufen will, wo die Autos fahren, dann ist das Liebe, Energeia - die sich zornvoll äußert...
Wenn du dein kleines Kind anbrüllst, weil es auf die Straße laufen will, dann IST das nicht notwendig Liebe, sondern es kann Liebe sein - scheint es mir. Nicht jeder Mensch, der zornig zu seinem Kind ist, liebt sein Kind. Dein Beispiel lässt hier etwas unausgesprochen - vielleicht vermischt du auch etwas.
Die entscheidende Frage scheint mir, WIE ich das tue. Lasse ich an dem Kind meine eigene Wut aus, benutze ich es einfach zur Abreaktion, ohne mich dabei für es zu öffnen? Oder bin ich dabei wirklich immer noch liebevoll offen und zeige meinem Kind, dass ich dies aus Liebe tue.
Liebe Kinnarih, ich betone diesen Unterschied, weil meiner Ansicht nach viele Eltern genau diesen Unterschied nicht sehen - und ihn verleugnen. Viele Eltern verwenden das Kind dann doch als Sündenbock und rationalisieren die Tat dann hinterher als "Liebe".
Ob es aber wirklich Liebe ist, das zeigt sich auch daran, ob das Kind dennoch offen für mich bleibt oder ob sich der Zugang zu meinem Kind aufgrund meiner Lieblosigkeit allmählich verschließt.
Ich würde dies auch nicht als "Zorn" beschreiben. Und wenn man dies als "Zorn" bezeichnet, dann vermute ich hier immer eine Idealisierung. Aus Liebe und Mitgefühl entsteht kein Zorn. Zorn entsteht aus Identifikation. Aus Liebe und Mitgefühl kann ich aber sehr wohl "in der Art eines zornigen Menschen" mit einem anderen Menschen sprechen, so lange ich hierbei auch liebevoll bleibe. Ansonsten ist es eben keine Liebe: wer im Zorn aufgeht und nicht offen bleibt, der liebt nicht.
Liebe hat aber nichts mit Kuscheln, Nettigkeit, etc. zu tun - es kann etwas damit zu tun haben, muss es aber nicht, je nach Situation. Liebe ist ein "Offensein". Und manchmal muss man eben auch offen "zornig" sein, um den anderen zu konfrontieren.
Liebe Grüße,
Energeia