Bert Hellinger.

Unruhiger Junge
Der Großvater war bei der Waffen-SS

(Auszug aus einem Aufstellungsseminar von und mit Bert Hellinger)

Die hier dokumentierte Aufstellung zeigt nicht nur in beeindruckender Weise die neue Vorgehensweise des systemisch denkenden Helfers beim Familienstellen. Der praktische Umgang mit der bereits im Titel bedrohlich aufscheinenden Thematik des Nationalsozialismus und seiner Folgen verdeutlicht ein weiteres Mal die heutige Bedeutung der systemischen Sicht Hellingers.

Die Auffassungen und Konsequenzen seines Denkens mögen durchaus im Widerspruch zum gegenwärtigen gesellschaftlichen Mainstream stehen. Wie das folgende Beispiel jedoch zeigt, öffnet die Haltung Hellingers zum Verhältnis von Opfern und Tätern auch in Hinblick auf die andauernden Folgen der Nazibarbarei geradezu revolutionäre Perspektiven.

Hellinger lässt seinen unbequemen Überlegungen zu Ursachen und Folgen des in unseren Tagen weitverbreiteten Moralismus auch beim Umgang mit Klienten praktische Konsequenzen folgen. Seine neuen Lösungsansätze funktionieren in der Praxis. Sie stellen Opfer wie Täter in größere, gemeinsame Zusammenhänge und akzeptieren systemisch, d.h. frei jeglicher Resignation, dass individuelle Freiräume häufig wesentlich geringer sind, als bisher angenommen.

Paradoxerweise lässt die daraus resultierende Entlastung die Beteiligten - frei von jeder Verharmlosung schlimmen Geschehens - zur Ruhe kommen. Sie durchbricht den Teufelskreis von Schuld und Verurteilung und macht Menschen auf diese Weise in vielen Fällen wieder handlungs- und lebensfähig.

Die Aufstellung
Erläuterungen zur Vorgehensweise
Die andere Moral
Der andere Gott
Die Täter zieht es zu den Opfern


Die Aufstellung

HELLINGER zu einer Erzieherin Um was geht es?

ERZIEHERIN Ich betreue einen Jungen, der ist 11 Jahre alt. Ich habe mich im letzten Jahr selbstständig gemacht mit systemischer Einzelfallhilfe. Ich habe Erzieherin gelernt und zuvor in einem Kinderheim gearbeitet.

HELLINGER Was ist das Problem des Jungen?

ERZIEHERIN Der Junge ist hyperaktiv. Er hat ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS), und bekommt seit seinem vierten Lebensjahr ununterbrochen Retalin, um die Aggressivität und die...

HELLINGER Ich will nicht viel von dem Jungen wissen. Das Problem ist nie beim Kind. Ich schaue woanders hin. Das ist der systemische Ansatz. Was ist mit seinen Eltern?

ERZIEHERIN Sein Vater hat M.S. Der Großvater war bei der Waffen-SS und lebt noch.

HELLINGER Der Großvater ist der Vater von wem?

ERZIEHERIN Vom Vater.

HELLINGER zur Gruppe Hier eine Wahrnehmungsübung für euch. Wir haben zugehört, was sie gesagt hat. Mit wem werde ich anfangen? Wo ist die größere Energie? Nicht vom Kopf her denken, sondern hier spüren Er zeigt auf sein Herz.

Mit wem fange ich an? Mit wem muss ich anfangen, damit es vorangeht? Das Erste bei dieser Arbeit ist, dass man sofort erkennt, mit wem man anfangen muss. Wenn man mit der falschen Person anfängt, ist man schon verloren. Ich fange mit seinem Vater an.
zur Erzieherin Hast du das auch gedacht?

ERZIEHERIN Ja.

HELLINGER Du hast das auch wahrgenommen.

Hellinger wählt einen Stellvertreter für den Vater und lässt ihn sich hinstellen.

Bild 1



V Vater

Der Stellvertreter des Vaters bleibt völlig unbeweglich.

zur Gruppe Es ist merkwürdig, dass sie gesagt hat, der Junge ist hyperaktiv, und der Vater ist völlig unbeweglich.

zur Erzieherin Was würde das heißen? Du brauchst nicht zu antworten. Ich gebe es nur zur Überlegung. Ich mache die Arbeit hier. Es würde heißen: Der Junge bewegt sich für seinen Vater. Macht das Sinn für dich?

ERZIEHERIN Ja.

HELLINGER Was würde passieren, wenn der Vater sich bewegt? Du hast eine Wahrnehmung gehabt, aber du traust dich nicht, es zu sagen.

ERZIEHERIN Ich nehme an, er würde zusammenbrechen.

HELLINGER Nein, er würde ein Mörder. Die Unbeweglichkeit ist der Schutz gegen diese Impulse. Okay, jetzt wissen wir, wo die Unruh des Jungen herkommt.

Nach einer Weile wählt Hellinger einen Stellvertreter für den Großvater und lässt ihn sich dem Vater gegenüberstellen.

Bild 2



GV Großvater

Der Großvater schaut nach oben. Der Vater wendet seinen Kopf zur Seite.

HELLINGER Der Vater schaut nicht hin. Das ist für ihn gefährlich - meint er. Wo schaut der Großvater hin? Oder genauer: Von was schaut er weg?

zur Erzieherin Nun ja, bei der Waffen-SS weiß man ja, von was er wegschaut, mehr oder weniger.

ERZIEHERIN Der Großvater war in Russland in Gefangenschaft und konnte flüchten. Er ist dann nach Australien ausgewandert.

HELLINGER Das hat jetzt abgelenkt. Zu viele Informationen lenken ab.

Hellinger wählt vier Stellvertreter für die Opfer des Großvaters und lässt sie sich mit dem Rücken wahllos auf den Boden legen.

Bild 3



+O1 Totes Opfer 1, usw.

Der Vater schaut noch mehr zur Seite. Der Großvater schaut weiterhin nach oben.

HELLINGER Da schaut der Vater auch weg. Sofort. Wehe, wenn sich einer von den beiden bewegt. Dann wird es Ernst.

Jetzt nehme ich den Jungen dazu.

Hellinger wählt einen Stellvertreter für den Sohn und stellt ihn dazu.







Bild 4



So Sohn

Der Vater schaut zum Sohn. Dieser bewegt sich unruhig.

HELLINGER zur Gruppe Er wird jetzt unruhig.
nach einer Weile zum Sohn Sag: "Lieber Opa." Schau ihn an.

Der Sohn dreht sich um und will flüchten. Hellinger stoppt ihn und führt ihn zurück.

HELLINGER Komm hierher und sag ihm: "Lieber Opa"

SOHN Lieber Opa.

Er fängt an zu keuchen.

HELLINGER "Ich liebe dich."

SOHN atmet schwer und dann ganz leise Ich liebe dich.

HELLINGER "Ich liebe dich."

SOHN Ich liebe dich.

Er greift sich mit der rechten Hand an den Hals.

HELLINGER Sag es so wie ich: "Ich liebe dich."

SOHN Ich liebe dich. Ich liebe dich

HELLINGER Genau. Jetzt geh mal hin zu ihm. Geh mal hin.

Der Sohn geht ganz langsam und zögernd zu seinem Großvater. Dabei zittern seine Hände. Er fasst den Großvater am Arm, dreht sich und schaut hinunter zu den Opfern. Der Großvater legt die Arme um ihn, doch so, dass er von den Opfern wegschaut. Der Vater hat sich zu den Opfern gedreht und schaut sie an.

Bild 5




HELLINGER Jetzt kann der Vater auch auf die Opfer schauen.

nach einer Weile zum Vater Geh mit deiner Bewegung.

Der Vater legt sich neben die Opfer.





Bild 6




HELLINGER Genau. Das ist die Bewegung.

nach einer Weile zur Gruppe Jetzt muss ich eingreifen, damit es weitergeht. Der Großvater dreht sich weg, das hindert die Lösung. Da gibt es eine Grenze, die nicht überschritten wird.

Hellinger dreht den Großvater vom dem Sohn zu den Opfern. Der Vater dreht sofort seinen Kopf vom Großvater weg

Bild 7

Der Großvater dreht sich nun zu den Opfern und schaut sie an. Hellinger geht zum Vater, der bei den Opfern liegt und sagt ihm:

HELLINGER Du schaust jetzt rüber zu deinem Vater.

Der Vater schaut zum Großvater. Der Sohn ist sehr unruhig.
Nach einer Weile geht der Großvater in die Knie. Der Sohn wir immer unruhiger.

HELLINGER zum Vater Sag: "Lieber Papa."

VATER Lieber Papa.

Nach einer Weile steht der Großvater auf und geht hinüber zu seinem Sohn.

HELLINGER zum Jungen Du drehst dich um. Einfach umdrehen.

Der Junge dreht sich um. Dann geht er einen Schritt nach vorn. Gleichzeitig geht der Großvater in die Knie und hält seinen Sohn. Beide schauen sich an.
Teil 1 von 2
 
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Teil 2 von 2
Bild 8




HELLINGER nach einer Weile zum Vater Sag deinem Vater: "Ich liege hier für dich."

VATER Ich liege hier für dich.

Der Vater richtet sich, während er noch kniet, etwas auf und schaut hinüber zu den Opfern.

HELLINGER zur Gruppe Jetzt erst schaut auch der Großvater die Opfer an.

Der Großvater rutscht hinüber zu den Opfern.

zum Vater Du stehst jetzt auf und gehst hinüber zu deinem Sohn.

Der Vater geht langsam zu seinem Sohn und schaut dabei immer wieder zurück zu den Opfern und zu seinem Vater. Auch als er neben seinem Sohn steht, schaut er noch zurück.

Bild 9




Nun legt sich der Großvater neben die Opfer. Vater und Sohn umarmen sich innig. Der Vater hält den Sohn fest. Der Sohn schluchzt. So verbleiben sie lange. Der Großvater schaut kurz zu ihnen hinüber. Dann schließt er die Augen.




Bild 10




Nach einer Weile richtet sich der Sohn auf und schaut nach vorn.

HELLINGER zum Vater Sag ihm: "Ich halte dich."

VATER Ich halte dich.

Vater und Sohn schauen sich an.

HELLINGER "Jetzt halte ich dich."

VATER Jetzt halte ich dich.








Bild 11




Der Sohn nickt dem Vater zu und sagt:

SOHN Das ist schön.

Beide lächeln sich an.

HELLINGER Ich glaube, wir haben es jetzt.

zu den Stellvertretern Danke euch allen.



Die Vorgehensweise

HELLINGER zur Gruppe Ich werde das jetzt im Detail erläutern. Diese Art der Vorgehensweise ist vielleicht für einige von euch ungewohnt.
zur Erzieherin Wie geht es dir jetzt?

ERZIEHERIN Gut.

HELLINGER Jetzt hat der Junge eine Chance. Weißt du, wie du vorgehen musst? Ich sag es dir. Du bittest den Vater zu dir und erzählst ihm, was hier abgelaufen ist, ohne Kommentar. Einfach erzählen. Und auf Fragen keine Antworten geben. Nur berichten, dann darf er wieder gehen.

Dem Jungen erzählst du nichts. Du schaust nur auf das, was jetzt passiert.

zur Gruppe Also, zur Vorgehensweise. Statt dass ich eine Familie aufstelle, beginne ich mit der wichtigen Person. Bei der Person, die den Schlüssel hat für den Jungen. Den Schlüssel für den Jungen hat der Vater vor allem. Er kann sich aber nicht bewegen, das konnte man sehen.

Wenn ich eine Person aufstelle, ist diese Person ja sofort in Verbindung mit dem Feld und mit der Familie. Sie zeigt, auf was es ankommt.

zur Erzieherin Was immer du mir sonst über den Vater erzählt hättest, hätte überhaupt nicht weitergeholfen. Man konnte sehen, der Vater konnte sich nicht bewegen. Das war das Entscheidende. Die M.S. dient der Unbeweglichkeit.

Dann war ja nahe liegend, dass die Unbeweglichkeit mit dem Großvater zusammenhängt. Ich habe ihm also den Großvater gegenübergestellt.
zum Stellvertreter des Großvaters Du hast es übrigens großartig gemacht.
zur Gruppe Er war durch nichts zu beeinflussen.

Er ging genau mit den Bewegungen der Seele.

Das Schlimmste ist ja, wenn ein Stellvertreter sich verhält wie ein Therapeut, der etwas gut machen will. Nein, er war ganz bei sich, insofern konnte ich mich total auf ihn verlassen. Es hat auch gezeigt, wie langsam dieser Prozess vor sich geht und dass hier mit billigen Lösungen nichts erreicht werden kann, überhaupt nichts.
Also, ich habe ihn dem Vater gegenübergestellt.

Dann hat der Vater gleich weggeschaut. Er wollte da nicht hinschauen. Da war irgendetwas ganz Schlimmes, das ist von der Bewegung her ganz klar. Wir brauchen da nicht mehr zu wissen. Der Großvater hat nach oben geschaut, nur nicht auf den Boden, weg von etwas. Es ist ja nahe liegend, dass es da Opfer gab. Welcher Art brauchen wir hier nicht nachzuforschen. Es können Feinde gewesen sein, es können auch Zivilisten gewesen sein. Das spielt hier keine Rolle. Es war nur klar, dass der Großvater sich einer Sache nicht stellt.

Waffen-SS heißt Täter. Nicht immer im bösen Sinn. Viele von der Waffen-SS waren keine Verbrecher. Aber sie haben gekämpft. Und da gab es Tote, viele Tote.

zur Erzieherin Dass er nach Australien ausgewandert ist, zeigt, dass er hier keinen Platz mehr hatte. Er war also nicht nur ein Soldat, er war noch etwas anderes.

zur Gruppe Dann war also der nächste Schritt, dass die Opfer vertreten werden. Man wählt einfach welche aus und legt sie auf den Boden. Dann hat der Vater noch mehr weggeschaut. Nur nicht auf die Opfer schauen! Nur nicht dahin schauen!

Jetzt kam die Stunde des Sohns. Man konnte sofort sehen, warum er so unruhig ist. Er spürt das Verdrängte, in ihm kommt es heraus.

zur Erzieherin Er übernimmt es für die Familie. Deswegen ist er ein liebes Kind. Er ist ein liebes Kind. Er muss es aber tragen für die anderen, die sich nicht bewegen.

Dann habe ich etwas Entscheidendes gemacht. Er wollte ja auch flüchten. Seine Unruhe ist ja eine Fluchtbewegung. Ich habe ihn den Großvater anschauen lassen und ihm sagen: "Lieber Opa." Das konnte er nicht, das hat lange gedauert. Dann sogar noch: "Ich liebe dich" im Gegensatz zu anderen. "Ich liebe dich." Was bedeutet das?

Die andere Moral

Ein Mörder kann sich nicht bewegen und er kann sich nicht ändern, bis er geliebt wird. Das ist hier das Revolutionäre. Erst die Liebe bringt hier etwas in Bewegung.

zum Stellvertreter des Großvaters Es hat dich berührt, als er das gesagt hat. Das konnte man sehen.

zum Stellvertreter des Sohnes Dann habe ich dich zu ihm geschickt. Du hast es schwer gehabt zu ihm zu gehen, sehr schwer. Aber vom Großvater kam Kraft.

zur Gruppe Hier wird ja die ganze Moral über den Haufen geworfen. Wo man zum Beispiel sagt: "Diese Bösen, man muss sie ablehnen, sie gehören hinter Gitter.", wird man selbst ein Täter, indem man sie ablehnt. Man hat die gleichen mörderischen Gefühle, die man ihnen zuschreibt. Solange wir diese moralischen Unterscheidungen treffen, kann man hier nichts machen. Man muss auch einem Täter zugestehen, dass er ein Mensch ist wie wir. Wie wir.

Es gibt die weit verbreitete Auffassung, als seien die NS-Täter persönlich verantwortlich im Sinne von: Sie waren völlig frei, sich zu entscheiden, und all diese Verbrechen sind ihnen persönlich anzulasten. Das akzeptieren sie nicht. Es stimmt nämlich nicht. Sie waren in Besitz genommen von einer gewaltigen Bewegung.

Das waren die Deutschen zu dieser Zeit, nicht nur die von der NSDAP oder von der SS. Das ganze Volk war erfasst von einer gewaltigen Bewegung, gegen die die Einzelnen sich nicht wehren konnten, die meisten nicht. Nur die konnten sich wehren, die irgendwo anders einen Halt hatten. Sie konnten das, die anderen konnten das nicht.

Der andere Gott

Wo kommt diese Bewegung her? Von Gott. Woher denn sonst? Kann sie von woanders herkommen? Alles andere Denken ist doch absurd. Natürlich kommt sie von Gott. Gott ist hier aber nur eine Chiffre. Sie kommt von der Macht, die alles steuert.

Diese Macht ist nicht gut. Sie ist gewaltig, aber nicht gut in unserem Sinn. Diese Bewegungen sind göttliche Bewegungen. Erst wenn man das anerkennt, kann man auch den Täter im Dienste einer anderen Macht sehen.

Ich habe diese Macht hier nicht aufgestellt. Man hätte sie aber aufstellen können. Der Großvater hat nämlich dahingeschaut, auf die andere Macht auch, der er ausgeliefert war. Die Täter sind nämlich die ärmsten Opfer. Sie haben es am am Ende schwersten.

Die Täter zieht es zu den Opfern

Erst wenn der Großvater als Mensch anerkennt wird und der Enkel ihm sagt: "Lieber Opa", fühlt der sich als Mensch und kann sich als Mensch verhalten.
Aber es ging hier nicht so leicht. Der Großvater hat nicht auf die Opfer hingeschaut. Deswegen habe ich hier eingegriffen.

Es war klar, sein Sohn, der sich nicht bewegt hat, den hat es zu den Opfern gezogen, an Stelle seines Vaters. Denn die Täter, in wessen Dienst sie auch immer standen, zieht es zu ihren Opfern. Erst wenn sie dort angelangt sind, finden sie ihren Frieden. Aber der Großvater konnte da nicht hin. Wieso? Weil sein Sohn es für ihn gemacht hat.

zum Stellvertreter des Vaters Als du ihm dann gesagt hast: "Ich tue es für dich." - das war noch mal ganz entscheidend - erst dann ist er hinüber zu den Opfern und du konntest aufstehen. Dann konntest du dich frei deinem Sohn zuwenden und ihn halten.

zur Gruppe Also das war die Vorgehensweise.



Liebe Grüße Dagmar
 
Die Frau ist gebrochen, wehrlos und mit den Nerven am Ende, bevor die Sache überhaupt angefangen hat. In ihrem inneren Aufruhr würde sie nach jedem rettenden Strohhalm greifen. Also folgt sie dem Therapeuten. Willenlos. Auch die "Stellvertreter" agieren unter Gefühlsdruck.
das ist das urteil einer journalistin, die eben mal hingeschaut hat, über eine arbeit, die in der erfahrung mit vielen tausend klient/innen wurzelt. und selbst in dieser dem thema nicht gerecht werdenden schilderung wird sehr schön deutlich, wie es hellinger gelingt, eine frau mit wenigen präzisen interventionen in die tiefe bewegung zu begleiten, die sie wegbringt vom verdrängenden weglächeln. von diesem punkt aus kann heilung beginnen. die meisten hätten es allerdings lieber unverbindlich-freundlich. und ertragen es nicht einmal, wenn jemand anderer diesen weg geht.

einmal mehr, zauberin: danke für das illustrative zitat.

alles liebe, jake
 
Eine Bekannte schilderte mir mal die Familienaufstellung, bei der sie und ihr Sohn anwesend waren. Die Familiensituation dieser Frau ist sehr schwierig gewesen, der Vater des Jungen wurde schizophren in der Beziehung, bis sie sich trennten. Der Junge regte sich bei der Aufstellung so über seinen Vater auf, bis Blut unter seinen Fingernägel hervorkam. Gibt es sowas und vorallem, können solche schwerwiegenden Fälle nicht eskalieren?

Was, wenn der Junge einen Nervenzusammenbruch dort bekommt?
 
Goldklang))) schrieb:
Was, wenn der Junge einen Nervenzusammenbruch dort bekommt?
was, wenn die lösung vermieden wird und der junge sie darin findet, dem vater in die schizophrenie zu folgen? heißt das dann schicksal?

alles liebe, jake
 
Keine Ahnung, was richtig und falsch ist?

Es wird schon richtig gewesen sein, sonst hätten sie es ja nicht gemacht.

Aber arg irgendwie, wenn dann sogar der Körper reagiert, oder?
 
Eine weitere Aufstellung hat mir eine Freundin erzählt. Sie wollte wissen, woher ihr Tick kommt. Sie hat einen Zwang, der ihr sehr zu schaffen macht.
Wenn sie eine Spinne sieht, dann denkt sie sich, Pfui Teufel, so ein grauslicher "Kragl". Dann sieht sie ein Schutzengelbild, das in ihrer Kindheit über ihrem Bett hing und muss sofort nach oben schauen und sich beim "Schutzengerl" dafür entschuldigen. Dies ist bei jedem schlechten Gedanken so, den sie hat. Das hört sich total witzig an, aber für sie ist es wahnsinnig belastend, weil sie es nicht unter Kontrolle hat.

Nun wollte sie wissen, woher das kommt.
Bei der Aufstellung kam heraus, das ihr Vater während der Beziehung zu ihrer Mutter eine andere Liebe hatte.
Sie wußte davon nichts und konnte auch damit nichts anfangen.
Den Tick hat sie immer noch, es hat sich nichts geändert!

Aber anscheinend hatte ihr Großvater auch einen Tick.

Doch dieser wurde bei der Aufstellung nicht beachtet.

Diese Freundin hat mich schon oft um Rat gefragt, doch ich weiß nicht, wie ich ihr da helfen könnte. Ich sagte zu ihr, na beachte das gar nicht, und lach dich selbst aus. Aber das nützt nichts.

Wißt ihr da Rat?
 
PS: Sie kommt aus einer Gegend in der alles sehr "scheinheilig" ablief.
Ein kleines Dörfchen, mit jeden Sonntag in die Kirche und Gott und Teufel.
Ich hab schon oft versucht, ihr den Teufel zu erklären. Die Polarität. Doch sie will es nicht kapieren.

Naja, muss mal nachfragen ob sie noch immer falsch "tickt".

Sonst ist sie so lustig und sympatisch. Sie hat sogar geschafft, dass sie von 130 kg auf 80 abgenommen hat. Warum schafft sie das nicht?

Kann man einen "Tick" bei einer Familienaufstellung loswerden, oder braucht sie "Tabletten" und Psychiater?
 
Fast nie geschieht es, dass irgendjemand im Saal gegen diese Formen der Nötigung aufbegehrt. Wer erlebt, wie Hellinger seine Aufstellungs-Kandidaten mürbe macht, begreift, warum: Minutenlang seziert Hellinger eine Mittdreißigerin mit seinem Blick, bevor er sie stockend erzählen lässt: Noch nie hatte sie einen Partner. "So lange du noch lächelst, kann ich mit dir nicht arbeiten", fertigt er sie zunächst ab. "Wer lächelt, ist mit der schlimmen Sache einverstanden, die er schildert", erklärt Hellinger den beifällig nickenden Zuschauern. Die Klientin bekommt einen roten Kopf. Keine Chance für eine Erwiderung. Erst als sie anfängt zu weinen, wird er gnädig: "Na gut, ich versuch mal was für dich."

Die Frau ist gebrochen, wehrlos und mit den Nerven am Ende, bevor die Sache überhaupt angefangen hat. In ihrem inneren Aufruhr würde sie nach jedem rettenden Strohhalm greifen. Also folgt sie dem Therapeuten. Willenlos. Auch die "Stellvertreter" agieren unter Gefühlsdruck.
wirklich ein schönes beispiel. ich lade ein, es mal punkt für punkt durchzugehen und unter die oberfläche zu schauen.
"Fast nie geschieht es, dass irgendjemand im Saal gegen diese Formen der Nötigung aufbegehrt."
fast nie heißt, dass es schon hier und da geschieht. dass es sich um "formen der nötigung" handelt, ist ein urteil der journalistin. offenbar empfindet sie kommunikation ab einer gewissen intensität als nötigung - was vermutlich eher mit ihr zu tun hat als mit der situation, die sie beurteilt.
"Wer erlebt, wie Hellinger seine Aufstellungs-Kandidaten mürbe macht, begreift, warum: "
auch das ist ein weiteres abwertendes urteil, bevor überhaupt geschildert wird, was sache ist. der leser soll schon in die richtige stimmung gebracht werden, um das folgende auch mit der brille der journalistin zu lesen. was hier als "mürbe machen" denunziert wird und suggeriert, dass hier mit taschenspielertricks leute gefügig gemacht werden, zeigt sich zum glück in der beschreibung der folgenden interaktion zwischen hellinger und klientin:
"Minutenlang seziert Hellinger eine Mittdreißigerin mit seinem Blick, bevor er sie stockend erzählen lässt: Noch nie hatte sie einen Partner."
da bekommt eine frau aufmerksamkeit, die es sonst nicht gewohnt ist. mit dem blick "sezieren"? nein, einfach genau hinschauen, nicht in journalistischer oberflächlichkeit rasch mal einen überblick verschaffen. es ist schwer, den wahrnehmenden blick eines anderen auszuhalten, klar. es tut aber auch gut, gesehen zu werden. wer "minutenlang" aufmerksam wahrgenommen wird, spürt: ich habe gewicht. ich werde nicht übersehen. es geht mir nahe ... vielleicht sogar sehr nahe im augenblick, und ich würde mich lieber verstecken, aber ... ich bin ja hier, um weiterzukommen ... und wenn der mich so genau anschaut, wenn der meint, dass ich wichtig genug bin, dann erzähle ich halt mal...
"So lange du noch lächelst, kann ich mit dir nicht arbeiten", fertigt er sie zunächst ab. "Wer lächelt, ist mit der schlimmen Sache einverstanden, die er schildert", erklärt Hellinger den beifällig nickenden Zuschauern.
so ist es. das verlegene lächeln ist verständlich, aber es signalisiert auch: ich bin noch auf distanz zu dem, was mich bewegt. ich lasse mich noch nicht auf die tiefe ein. und wenn die begegnung mit der tiefe verweigert wird, wie sollte an einer tiefgreifenden lösung gearbeitet werden? und: hellinger fertigt sie ab? er sagt: so kann ich - ich! - nicht mit dir arbeiten. er sagt nicht: du bist schuld daran, dass ich nicht mit dir arbeite. was er hier klar, ehrlich und direkt auf den punkt bringt ist: "für meine art zu arbeiten ist es erforderlich, dass du das risiko eingehst, dich dem zu stellen, was dich aus der tiefe heraus bewegt. wenn du das nicht möchtest, sondern es vorziehst, dein schicksal als eine belanglosigkeit zu betrachten, über die du lieber lächelst, dann kann ich dir nicht helfen." damit ist der klient auch in seine eigene verantwortung gestellt (ohne die ihm niemand helfen kann).
"Die Klientin bekommt einen roten Kopf. Keine Chance für eine Erwiderung. Erst als sie anfängt zu weinen, wird er gnädig: "Na gut, ich versuch mal was für dich."
der rote kopf signalisiert, dass hier nicht nur das gehirn erreicht wurde, sondern tieferes - der körper reagiert. die arbeit hat schon längst begonnen... und selbstverständlcih hätte sie die chance zu einer erwiderung. sie zieht es aber offensichtlich vor, sich auf die begegnung mit den tieferen bewegungen ihres lebens einzulassen. sie ist über eine hohe hürde geklettert, aber darum ist sie schließlich gekommen... warum sollte sie jetzt opponieren? und was hier als "gnädig werden" denunziert wird, ist der einstieg in die nächste stufe - die tränen signalisieren: es kommt in fluss. es kann sich wirklich bewegen. und auch da sagt er nicht: ich tu etwas für dich - sondern: ich versuche. denn das wär die große versuchung: etwas für die weinende zu tun, sie in den arm zu nehmen und zu trösten, "ist doch nicht so schlimm..." ... und alles bleibt wie gehabt. nein, "ich versuche" bedeutet: die klientin bleibt weiterhin in ihrer verantwortung, es liegt auch an ihr, am ergebnis dieses versuchens mitzuwirken.
"Die Frau ist gebrochen, wehrlos und mit den Nerven am Ende, bevor die Sache überhaupt angefangen hat. In ihrem inneren Aufruhr würde sie nach jedem rettenden Strohhalm greifen. Also folgt sie dem Therapeuten. Willenlos. Auch die "Stellvertreter" agieren unter Gefühlsdruck."
einmal mehr ein urteil der journalistin. sie erträgt es schwer, eine weinende, mit den geschicken ihres lebens konfrontierte frau zu sehen. zu oft hat sie vermutlich selber schon mit den emotionen ihrer leser/innen gespielt und die verbale und bildliche darstellung fremden leidens für ihre stories genutzt... damit kann man spielen und auflage machen, aber sich dem wirklich stellen? wer ist hier mit den nerven am ende? der innere aufruhr, der griff nach dem rettenden strohhalm ... nun, hier gibt es nicht jeden strohhalm, hierher ist diese frau gekommen, um eine ganz konkrete, spezifische hilfe in anspruch zu nehmen. ist es nicht journalistische entmündigung, wenn nun dieser frau unterstellt wird, sie wäre quasi zu dumm, sich um sich selbst zu kümmern? und die stellvertreter agieren unter gefühlsdruck ... wie denn sonst? es ist die aufgabe der stellvertreter, das auszudrücken, was sie im feld empfinden - sie haben keine interpretationen, keine bewertungen der situation abzuliefern, sondern durchaus den mehr oder weniger starken druck der situation wiederzugeben. dieser letzte satz zeigt überdeutlich, was die journalistin von der methode des familienstellens begriffen hat: nichts. sie sieht nur eine oberfläche. und die hält sie für die wirklichkeit. davon lebt der intellektuellen-boulevard des "spiegel". sich an der entrüstung über fremde schicksale aufgeilen. emotionalen mehrwert aus der ausbeutung des schicksals dritter lukrieren.

nochmals danke für das zitat, zauberin. es hat vieles deutlich gemacht!

alles liebe, jake
 
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Goldklang))) schrieb:
Aber arg irgendwie, wenn dann sogar der Körper reagiert, oder?
Es wäre arg, wenn er nicht reagiert ... es geht um ein "nehmen", das ganzheitlich ist, um eine einsicht, die weit über einen "durchblick" des verstandes hinausreicht. das körperbewusstsein ist immer beteiligt - nicht zuletzt darum wird "gestellt", geht es vor allem um den ausdruck der körperlichen empfindungen, um die räumliche (an)ordnung...

vielen wird es unheimlich, wenn der körper reagiert ... kontrollverlust ... sich nicht mehr im griff haben ... gute aufsteller/innen, die ich kenne, bereiten aufstellende und stellvertreter darauf vor, machen vielleicht auch erst mal ein paar allgemeine übungen zur körperwahrnehmung - und darum sage ich auch allen immer wieder: bevor ihr selber aufstellt, besucht erst einmal ein paar aufstellungen. dann lenken bei der eigentlichen aufstellung solche äußerlichkeiten nicht mehr davon ab, dem zu begegnen, was einen bewegt.

alles liebe, jake
 
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