Es kommt ja aber sehr darauf an: um was für ein Konzept handelt es sich? Das ist ja hier keine philosophische Grundsatzdiskussion, sondern ein Individualproblem, das es zu klären gilt.
Da geh ich mit - welche Sorte von Konzept ist da beteiligt. Und da mag ein philosophischer Klärungsansatz durchaus hilfreich sein, bevor's ans individuelle Klären geht. Wenn man Begriffe verwendet, ist es nützlich zu beschreiben, wie man sie verwendet. Das ist die Philosophie. Selbstredend ist mir klar, dass niemand einen Begriff lebt. Ein Konzept ist auch nur ein Konstrukt, um Leben gedanklich zu strukturieren und daraus Handlungsoptionen abzuleiten.
Und als Familienvater machst Du dir selbstverständlich ein Konzept, und als Mutter von Kindern machst Du dir am besten auch eines. Sonst klappt nämlich in Deinem Leben und im Leben der Kinder mal überhaupt nichts.
Weitgehend einverstanden - freilich dienen Konzepte der Orientierung, wie oben schon erwähnt. Meine bewussten Konzepte und vor allem die unwillkürlichen Abläufe. Solche Konzepte heißen dann besser Muster. Die bewussten Konzepte sind - Binsenweisheit - nicht unabhängig von den Mustern, wie GreenTara ja anhand ihrer Beziehungsmuster einsichtig dargelegt hat. Ich kenne kaum jemand, der ohne Ehrenrunden direkt an die Modifikation seiner Muster gelangt wäre. Keine Frage, dass Muster und Konzepte in der orientierenden Funktion ihre Meriten haben - Sicherheit, Entscheidungfähigkeit u.dergl. mehr. Ich kann ja nicht jedes Mal das Rad neu erfinden - da ist das "Konzept Rad", auf das ich zurückgreifen kann, schon hilfreich.
Eigene Erfahrungen, Systemtheorie oder Erkenntnisbiologie (Maturana) lehren, dass Systeme in der Regel dort wachsen, dass Evolution dort stattfindet, wo Störungen auftreten und Konzepte angepasst werden. "Störungen sind willkommene Helfer!" heißt es.
Wenn ein Konzept so rigide ist, dass es dazu verführt, auf Störungen nicht adaptiv zu reagieren, sondern im Gegenteil zum Versuch, die Störung anzupassen ("Was nicht passt, wird passend gemacht!"), dann führt das zwangsläufig zu destruktiven Krisen: Während rundherum Entwicklung stattfindet, dominiert in der eigenen Sphäre die Erstarrung.
Als faszinierendes Modell des systemischen Wechselspiels von Konzepten und vitalen Störungen erlebe ich immer wieder die Art und Weise, in der Kinder lernen. Es taucht eine Herausforderung auf, das Kind versucht, auf die bisher erlernte Art zu reagieren. Klappt nicht? Dann wird ein neuer Versuch unternommen. Klappt wieder nicht? Wie machen es andere? Probieren... und etwas Neues wird erlernt.
Ich bin dankbar, dass die Mutter unserer Kinder damals das Konzept verfolgt hatte, unsere Kids in Kindergarten/Schule zu stecken, die nach Montessori/Wild arbeitete, nach pädagogische Konzepten, in denen Störungen als Entwicklungsmotoren höchst willkommen waren.
Auch die neuere Hirnforschung belegt, wie drastisch Konzepte/Muster uns im Griff haben: Jeder von außen eindringende Reiz wird gleich von einem ganzen Strom qualifizierter neuronaler Aktivitäten, etwa Adressierung der Amygdala, gefolgt, es gibt also offensichtlich jede Menge innerer Schablonen, mit denen wir Reizantworten geben. Jede Menge Erlerntes, und was als Spitze des Eisbergs ins Bewusstsein ragt, sieht dann wie ein Konzept aus. Ich bin dankbar, wenn es gelingt, hier und da ein wenig zu ent-lernen und den unwillkürlichen Strömen etwas bewusstere Bewegungen an die Seite zu stellen.
Was bringt das für die zu klärenden Individualprobleme? Viel. Ich meine, jedes bewusst gewordene Konzept bietet die Chance, auch bewusst mit ihm umzugehen, es abzuklopfen auf seine Inhalte und seinen Nutzen (für wen? Für mich? Für andere?), und es gegebenenfalls zu modifizieren oder zu ersetzen. Und ich kann lernen, auf die Reibungsflächen zu achten, wenn meine Konzepte mit den Konzepten anderer Menschen zusammentreffen. Wie gehe ich damit um? Wie agiere/reagiere ich, wenn jemand mich ent(-)täuscht, wenn ich sehe, dass ich mich getäuscht habe oder sie/er sich getäuscht hat? Wenn die Bewegung einer jungen Liebe schon zum Konzept geworden ist, das für eine Perosn der Liebenden auf einmal zum Gefängnis zu werden droht? Wenn die bis dahin erlernte Kommunikationspraxis (beider) nicht hilfreich ist, um in dieser neuen Situation miteinander klarzukommen? Wenn in dieser Hilflosigkeit die unwillkürlichen Konzepte, sprich: Muster, dominieren Flucht in die Weite, Flucht in Glaubenssysteme (auf beiden Seiten), Flucht zu neuen Menschen, die einen halten, Flucht in endlose Kommunikationsspiralen... da bricht der Boden unter den Füßen weg, das ist eine fürchterliche Situation, und da kann ich schon nachvollziehen, dass die Konzepte, die mich einmal getragen haben, zum Strohhalm werden, an den ich mich klammere. Und es braucht viel Zeit und Mut, um neue Experimente zu riskieren. Um den Strohhalm loszulassen und zu sehen, dass ich schwimmen kann in diesem Meer, dass ich neues Land gewinnen kann. Und dass beides trägt, das Meer und das Land.
Du ich bemitleide ganz oft die armen konzeptlosen Kreaturen um mich rum, die nicht in der Lage sind, ihr Ding ganz einfach durch zu ziehen und für sich selber im Leben Ziele zu erreichen und zufrieden zu werden. Das muß ich Dir ehrlich sagen. Und mein Ex war so jemand und seine Ex ist ja nun auch so jemand, wie es scheint. Denn sonst hätte sie ja nichts Anderes gesucht, als sie hatte.
Naja, ich glaube nicht an diese Konzeptlosigkeit oder sagen wir, an die Musterlosigkeit. Vielleicht ist das, was von den Beteiligten oft so schmerzhaft erlebt wird, auch die Suche nach jener Störung, die endlich dazu führt, dass Entwicklung stattfinden kann. Und ich meine, das mag umso eher in konstruktive Prozesse münden, je größer die Bereitschaft ist, meiner Muster gewahr zu werden (in dem bescheidenen Ausmaß, in dem das möglich ist) und meine Konzepte flexibel zu halten.
Und diese Unehrlichkeit, das ist glaube ich die eigentliche Verletzung. Dass man quasi mit einer Puppe zusammen gelebt haben soll, mit einer leeren Hülle. So ist die gesamte Vergangenheit, und vor allem: die eigene Wahrnehmung in Frage gestellt.
Ja, und da stellt sich dann auch die Frage: Gebe ich (vielleicht einmal mehr, weil es mir damit jetzt noch besser geht) die Wiederkehr der immer gleichen Antwort, oder lasse ich mich von der Frage wirklich einmal berühren und sehe, ob ich sie als Störung nehmen kann, die Evolution in meinem System bewirkt? Vielleicht wäre ein erster Schritt, die Apostrophierung als Unehrlichkeit wegzulassen und einfachmal zu akzeptieren, dass andere Menschen genauso beschränkt in ihren Möglichkeiten sind wie ich selbst?
Alles Liebe,
Jake