Aus 5 Wörtern eine Geschichte!

Der kleine Berggeist weinte bitterlich.
„Kein Abschied…“ flehte er leise.
“Nicht schon wieder...“

Aber der Schneesturm tobte unerbittlich, und bald schon hatte das Unwetter den reglos daliegenden Körper unter einer meterdicken Schneedecke begraben.

Natürlich wissen alle Berggeister, und so auch der kleine Uvoli, um den Kosmos, und um die Gesetze des Werdens und des Sterbens. Aber Wissen bedeutet ja noch lange nicht, so voller Ehre mit Abschieden umgehen zu können wie dieses wundersame Kind, welches er von der kleinen Anhöhe aus beobachtet hatte.

Uvoli wusste, dass er eigentlich auch so sein sollte. Er schämte sich für sein Unvermögen, mit dem Tod klar zu kommen. Er versteckte sich in einer winzigen Höhle hoch über dem Tal. Nie mehr wollte er dem Sonnenschein begegnen. Und so weinte er sich in den Schlaf.

Im Traum erschien ihm sein Freund Pah, ein alter und sehr weiser Geist von einem anderen Berg. Ihm könnte man alles erzählen. Auch, was einem selbst die Schildkröte bedeutet und warum das Licht so wichtig ist. Aber es ist gar nicht notwendig, weil Pah das Flüstern vom Bergwind versteht und darum längst schon auch von der Schildkröte weiss.
Pah schlich sich leise und vorsichtig in den Traum des kleinen Geistes hinein und legte einen kleinen goldenen Schildkrötenpanzer vor Uvoli’s Füssen auf den Boden. Und darin versteckte er einen winzigen Schlüsselbund. Mit so hübsch filigran verschnörkelten Schlüsselchen, wie es nur die echten Schmiedekünstler können.
Der Traum verfehlte seine Wirkung nicht.

Als am nächsten Morgen die Sonne aufging, machte sich Uvoli auf den Weg… ob er das Kind noch einmal sehen würde, wenn er noch einmal dahin zurück ginge, wo die Schildkröte ursprünglich herkam?

———-

Spiralen, Lichtsäulen, Pfauenfeder, sterben, fühlen
 
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Das Kind setzte seinen Weg fort, die Laterne tragend. So langsam wurde es dunkel u. kälter. Aber das Licht der Laterne erhellte nicht nur den Weg - den es durch den Schnee fast nicht mehr sah - es erhellte auch seine luftige Kleidung, die dadurch weiterhin, trotz zunehmender Dunkelheit, in allen Regenbogenfarben schimmerte. Und nicht nur das! Jeden Schritt, den es mit der Laterne machte, zeichnete Spiralen auf dem Stoff.

"Hübsch", dachte das Kind. Schade, dass die Schildkröte diesen Effekt nicht miterleben durfte. Aber wer weiß, vielleicht wusste das Tier zu Lebzeiten um diese Besonderheit...

Das Kind dachte über sterben und Transformation nach. Es fühlte, dass es längst nicht alles darüber wusste. Andererseits "musste" man ja nicht alles wissen, sondern man konnte sich bspw. an der Schönheit einer Pfauenfeder erfreuen, ohne diese wissenschaftlich-physikalisch zu zerpflücken.

Sicher war das so ein Erwachsenending, das spätestens dann an der Reihe war, wenn alle Schichten seiner Regenbogenkleidung abgelegt waren.

Es ging eine Anhöhe rauf u. sah den Eingang zu einer Höhle. Wohnte vielleicht jemand dort? Ein Bär, der seinen Winterschlaf hielt? Sie hatte gehört, dass Bären das zu tun pflegen. Möglicherweise konnte es aber auch der Rückzugsort für einen Berggeist sein.

Nun, das Kind traute sich nicht in die Höhle hinein. Es legte jedoch eine Schicht seiner Regenbogenkleidung in den Eingangsbereich. So könnte sich - wer immer da auch drin war - sich dadurch noch intensiver am morgendlichen Farbenspiel der Sonne erfreuen, wenn er/sie hinauskäme. Sie selbst hatte ja noch mehrere Lagen Stoff u. zusätzlich das Licht der Laterne.

Die Sonne stand schon nah am Horizont u. würde bald untergehen. Ein schmaler Lichtsteifen erschien auf einmal. Es sah wie eine Säule aus. Eine Lichtsäule.

Das Kind hielt inne auf seinem Weg, betrachtete diese atmosphärische Erscheinung u. fühlte eine starke Verbindung mit dem Göttlichen.

Wieder nahm es sein Notizbuch aus der Umhängetasche u. schrieb etwas hinein.

Nach der Wintersonnenwende würde es zur Höhle zurückkehren, seinen ganzen Mut zusammennehmen u. hineingehen. Als Gabe wollte es ein Glas Honig mitbringen. Darüber würden sich sowohl Bär als auch ein anderer Bewohner sicher freuen.
 
Sorry, die nächsten 5 Wörter vorhin vergessen:

Wintersonnenwende - Bär - Berggeist - Triskel - Gabe
 
Der kleine Berggeist hatte allen Mut zusammen genommen und war also zurück gekehrt. Zurück ans Meer, zurück an jenen Strand, wo damals alles seinen Anfang nahm.
Uvoli erinnerte sich an die schönen Begegnungen von damals. Ihm war, als ob das alles erst grad gestern gewesen wäre. Es fühlte sich so vertraut an, als ob er nur kurz weg gewesen wäre, und nun für Weihnachten nach Hause käme.

Er legte sich in den Sand und schaute andächtig in den Nachthimmel. Jetzt, zur Wintersonnenwende, schienen die Sterne besonders klar und hell.

Der Bär wanderte genüsslich über das Firmament und die Wellen erzählten dabei voller Freude die Geschichte von der Gabe. Nur der kleine Berggeist war so müde von der Reise, dass er sie gar nicht verstand, und einfach nur das Rauschen der Wellen genoss.

Als Uvoli am nächsten Morgen aufwachte, da entdeckte er eine Muschel neben sich. Ihr Perlmutt schimmerte in allen Farben. Er fühlte sich verzaubert von dieser Muschel, fast ein wenig verliebt sogar, und ihm entfuhr ein freudiges Glucksen. Was es wohl mit diesem Triskelion auf sich hatte, von welchem er schon sein Leben lang immer wieder träumte…?

***

Muschel, Strukturen, Strümpfe, Sümpfe, Gebete
 
Uvoli sprach seine morgendlichen Gebete, steckte die Muschel ein, klopfte sich den Sand von der Kleidung und zupfte seine Strümpfe zurecht.

Heute wollte er dem Geheimnisvollen auf den Grund gehen. Beim Gedanken an den bevorstehenden Weg durch die Sümpfe wurde ihm zwar etwas flau in der Magengrube. Aber er wollte den Geist der Schildkröte ehren und seinen Instinkten folgen.

Sollte er vorher noch kurz den Inselbewohnern Hallo sagen? Er beobachtete das bunte Treiben am alten Brunnen und entschied sich dann, den geselligen Teil auf später zu verschieben. Auch der Besuch bei der Kristallhüterin und die Brieftaube an seinen Freund Bär in der Heimat musste noch etwas warten.

„Heimat… ? Hm, was ist das überhaupt?„ glitt er für einen kurzen Moment ins Grübeln. Er spürte ein unheimlich starkes Ziehen im Seelenstern. Aber wohin und warum zog es plötzlich so stark an seinem inneren Kompass, wie wenn die inneren Strukturen von einem unsichtbaren Magneten angezogen würden?

Der kleine Berggeist schloss die Muschel fest in seine Faust und betrat entschlossen den Sumpf…

———

Glitzer, Luftballon, Öl, Triskel, Blatt
 
Die Wintersonnenwende war schon einige Tage her. Mittlerweile hatte es noch mehr geschneit, und der Weg zur Höhle wurde von einer Lawine zugeschüttet, so dass er die nächsten Monate voraussichtlich nicht passierbar sein würde.

Das Kind überlegte, ob es vielleicht mit einem Luftballon zur Höhle gelangen könnte. Und beim Gedanken an das Abenteuer überkam es grosse Freude.

Es packte ein Glas Honig und eine Flasche duftendes Öl in seine Tasche, steckte sein Notizbuch ein und wollte gerade vor die Türe treten, als ihm ein Blatt Papier vor die Füsse schwebte.

Das Kind hob das Papier schnell auf und betrachtete es neugierig. Das ganze Papier war von einem seltsamen Glitzer. In der Mitte war ein grosses Triskel gezeichnet.
Und darunter war ein Gedicht geschrieben.

***

Gott, spielen, Schwert, Freunde, entzweit
 
Das Gedicht:

Liebes Kind,
so frei wie der Wind.
Noch bist du es und darfst es bleiben.
Bedenke jedoch dein Tun.
Deine Regenbogenkleidung macht dich immun.
Wer und was du bist, wird sich zeigen,
wenn sich die Schichten zu Ende neigen.


Erschrocken ließ das Kind das Papier fallen. Ihm fröstelte.
Konsequenzen! Ein Wort, das nicht in seinem aktivem Wortschatz vorhanden war, kam ihn in den Sinn.
Sie meinte es gut mit dem teilen. Aber war es das? So einfach hinlegen und weitergehen? Wie im Falle von der Schildkröte zudecken u. einfach vor dem Eingang der Höhle ausbreiten?

Spielte es Gott? Das durfte es nicht. Nein! Niemals!
Aber Gott hatte ihm doch diese Kleidung geschenkt... Brachte das eine Verantwortung mit sich? Warum hatte er (oder sie?) ihm nichts davon gesagt?

Ein Gedanke durchzuckte es, wie ein schneidendes Schwert. Das war die Freiheit! Gott gab ihm die Freiheit, seine Gaben sinnvoll einzusetzen oder zu verschwenden.

Bedächtig hob das Kind das glitzerne Papier auf und verstaute es in seiner Umhängetasche.
Nicht ohne vorher die Triskel zu betrachten. Dieses Symbol hatte sich auch gezeigt, als es die Laterne der Schildkröte an sich nahm. Es fand es damals hübsch, fühlte, dass es mehr als nur "hübsch" bedeutete, war diesem jedoch nicht nachgegangen. Hinterfragen! Wieder so ein Erwachsenending! Die Erwachsene die es kannte, waren entzweit. Doch eigentlich musste das ja nicht für es selbst so werden. Sicher waren nicht alle Erwachsene entzweit sondern es gab auch Freundschaft. Freunde!

Da die Lawine den Weg zur Höhle versperrt hatte, war ihm die Idee des Luftballons gekommen um zu ihr zu gelangen.
Nur: wehte der Wind in diese Richtung? Was, wenn nicht?

Das Kind ließ es darauf ankommen und flog los. Anfangs stimmte die Richtung, aber dann änderte diese sich und der Ballon schwebte Richtung Meer, welches das Kind bereits aus der Ferne sehen konnte.

Auf dem Weg zum Meer lag jedoch ein Sumpf, und auf einmal war Windstille. Langsam senkte sich der Ballon und das Kind blieb in einem Baum, genau über dem Sumpfgebiet hängen.



Sonne, Sumpf, Geister, Kristall, Berg
 
Uvoli irrte nun schon seit Tagen durch den Sumpf. Er wusste, dass er durch eine unsichtbare Kraft von allen guten Geistern abgeschnitten worden war.

Nicht zum ersten Mal widerfuhr ihm eine solche radikale Trennung aller Verbindungen zu all jenen Geistern, die ihm am Herzen lagen. Sogar die Verbindung zu seiner Heimat, dem Berg, war gekappt. Und selbst der Kristall in seiner Hand schien völlig bedeutungslos geworden zu sein.

War das jetzt ein Fluch oder ein Segen? Der kleine Berggeist war sich nicht so sicher. So sehr er sich auch bemüht hatte, Freunde zu finden in all den vergangenen Jahren; immer wieder kam ein unsichtbares Schwert und trennte alle zarten Banden zu andern Geistern. Dieses Schwert zerstörte jede Freundschaft, bevor sie überhaupt aufkeimen konnte.

Vielleicht wäre es schlau, für immer vom Rest der Welt abgeschnitten zu bleiben. Zu akzeptieren, dass es diese vernichtenden Kräfte und Schwerter in seinem Leben auf immer geben wird. Und seinen Frieden zu schliessen damit, dass Berggeister einfach keine Freunde finden.

Eine Träne fiel zu Boden und verdunstete in der Mittagssonne.

Vielleicht war er auch gar dumm, im Sumpf zu wandern und dem Pfad der Schildkröte zu folg… - ein Geräusch unterbrach Uvoli’s Gedankengänge! …

***

Zittern, Spuren, Knochen, Notizbuch, Liane
 
Da! Der Baum hinter ihm! Gedankenversunken war er an ihm vorbeigegangen u. nun sah er, dass oben in der Krone etwas hing. Uvoli machte kehrt um sich das genauer anzuschauen.
Das sonderbare Kind, das er von der Schildkröte her kannte, hing in der Krone fest. Ein großer, weißer Luftballon schwebte zu Boden. Zu leicht, um im Sumpf zu versinken.
Vorsichtig u. zitternd suchte sich Uvoli seinen Weg zum Baum hin, darauf achtend, festen Boden zu behalten.

Das Kind war mit dem Ballon abgestürzt. Es zappelte in der Baumkrone, die seinen Sturz zu Boden abgebremst hatte u. konnte sich nicht befreien. Die Schichten seiner Regenbogenkleidung waren zu sehr in den Ästen verhakt. Nun wurde es müde, sehr müde u. fiel in einen tiefen Schlaf.

Durch den Sturz hatte sich eine Schicht der Kleidung über seinen Kopf gelegt. Das war gut so, denn diese würde es vor der winterlichen Kälte schützen. Es war ja ein besonderer Stoff, der sich tagsüber in der Sonne erwärmte u. Nachts die Hitze wieder abgab.

Der Baum, in dem es hing, war kein gewöhnlicher Baum - auch wenn man dies auf den ersten Blick nicht erfasste. Selbst im Winter hatte er Knospen u. diese sonderten ein nahrhaftes klebriges Sekret ab. Das Kind schlief, sein Mund war leicht geöffnet. Das Sekret tropfte nun in regelmäßigen Abständen hinein. Das war gut so, denn auf lange Dauer im komatösen Schlaf würde das Kind sonst verhungern u. verdursten.

Auch die Tiere des Waldes begaben sich im Winter - wenn der Hunger übermächtig wurde - wegen dieses Sekrets ab u. zu in den Sumpf. Bären, Hirsche, Hasen u. anderes Getier standen dann einträchtig unter dem Baum u. leckten das Sekret. Sie hatten ein stilles Abkommen, einander in dieser Situation nicht als Beute- od. Raubtier zu betrachten.
Das Sekret war süß u. schmeckte nach Apfel u. Mandel.

Uvoli sah die vielen unterschiedliche Tierspuren unter dem Baum u. wunderte sich. Was in aller Welt bedeutete dies?

Am Baum hingen Lianen u. Uvoli kletterte an einer davon zur Baumkrone hinauf. Ja, es war das wundersame Kind! Kein Zweifel! Es schlief. Uvoli versuchte es aufzuwecken, aber sein Schlaf war tief u. fest.

Nicht schon wieder! Uvoli hatte gehofft, das Kind kennenlernen zu können, u. nun das! War es nicht schon schlimm genug, dass immer wieder aufkeimende Freundschaftsbande zu anderen Geistern getrennt wurden? Hier konnte Uvoli nicht mal ansatzweise ein neues Wesen kennenlernen!

Enttäuscht, aber auch in Sorge um das Wohlergehen des Kindes, strich es über dessen Regenbogenkleidung und sah die Umhängetasche. Vielleicht war ja etwas darin, um das Kind zu erwecken. Vielleicht Riechsalz od. eine Feder zum wachkitzeln?

Uvoli öffnete die Tasche u. fand einen Knochen, eine Feder u. ein Notizbuch. Durfte er das Notizbuch öffnen od. war das übergriffig? Etwas ratlos betrachtete Uvoli die Gegenstände.


Feder - Entscheidung - Wunderbaum - Winter - Apfel
 
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Unterdessen spielten sich in den Bergen ganz andere Dinge ab. Eine alte Frau erwartete den Besuch eines Schamanen und bereitete den Tee vor.

Sie mochte es gerne, seinen Geschichten zu lauschen und freute sich auf die bevorstehende Begegnung.
Normalerweise lauschte sie dem Wind, oder hielt Zwiesprache mit den Pflanzen und den Tieren, aber manchmal mochte sie auch etwas menschliche Gesellschaft. Sie war etwas nervös. In letzter Zeit sah sie nur selten Menschen. Selbst das Mädchen aus dem Dorf hatte sich nun schon lange nicht mehr blicken lassen. Kein Wunder, es war ja auch tiefster Winter und draussen war es bitterkalt.

Die Alte legte einen Apfel und eine Feder neben die Teekanne auf den Tisch und setzte sich vor den wärmenden Kamin.

~

Im Sumpf war es ebenfalls bitterkalt. Uvoli kletterte, von einem Geistesblitz getroffen, in windeseile vom Wunderbaum runter und sammelte alle Haare von all jenen Tieren zusammen, die sich hier öfters zum Fellwechsel aufzuhalten schienen. Und dann fing er an, die Haarbüschel von Bären, Hirschen, Elchen, Eichhörnchen, Füchsen und all den anderen Tieren ineinander zu verknüpfen und zu verweben.
Er dachte dabei an die Alte in der Höhle, die er vor langer Zeit einmal beobachtet hatte. Sie verzwirnte, verknotete und verfilzte damals Bärenhaare zu einer Decke. Und nun hatte er sich da oben beim Kind plötzlich daran erinnert und eine Entscheidung getroffen!

Es dauerte bloss ein paar Minuten, und schon kletterte Uvoli wieder zum Kind hinauf und umhüllte es mit der warmen Felldecke. Später wickelte er einen dicken Zwirn um die Tasche mit den sieben Sachen und steckte diese zum Kind unter die Decke. „Keine Sorge, liebes Kind, ich werde auf dich aufpassen, solange Du schläfst. Und auch deine Geheimnisse sind bei mir gut aufgehoben...“

***

Kontakt, Mosaik, Schildkröte, Nebel, Glas
 
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