ZITATE VON MARCUS AURELIUS ANTONIUS
Des Kaisers Marcus Aurelius Antonius Selbstbetrachtungen
Drittes Buch.
https://www.projekt-gutenberg.org/antonius/selbstbe/chap003.html
3.
Was will ich damit sagen? Du hast dich eingeschifft, bist durch das Meer gefahren, bist im Hafen: steige nun aus! ... so enden deine Schmerzen und deine Vergnügungen, deine Einschließung in ein Gefäß, das um so unwürdiger ist, als derjenige, der darin lebt, weit edler ist. Denn dieser ist die Vernunft, dein Genius, jener nur Erde und Verwesung.
4.
Verbringe den Rest deines Lebens nicht in Gedanken an andere, wenn sie keine Beziehung zum Gemeinwohl haben. Denn du versäumst damit die Erfüllung einer anderen Pflicht, wenn du deinen Geist damit beschäftigst, was dieser oder jener tut und warum, was er sagt, was er denkt oder vorhat usw., was dich von der Beobachtung deiner regierenden Vernunft abzieht.
Du musst also aus deiner Gedankenreihe jeden Zufall, jedes Unnütze, jede Neugier und jede Arglist verbannen, musst dich gewöhnen, nur solche Gedanken zu haben, dass, wenn man dich plötzlich fragt, woran du denkst, du freimütig antworten kannst: An dies oder das; so dass man an deinen Gedanken erkennt, dass alles Einfachheit und Wohlwollen ist, wie es einem geselligen Wesen geziemt.
Indem er sich selten und nur im Hinblick auf das allgemeine Beste mit dem beschäftigt, was ein anderer sagt, tut oder denkt, wendet er seine ganze Tätigkeit seinen eigenen Angelegenheiten zu, und die Bestimmung, die ihm die ewigen Naturgesetze auferlegen, ist der beständige Gegenstand seines Nachdenkens. Jenes verrichtet er so gut er kann, dieses hält er mit fester Überzeugung für gut, denn das uns zugeteilte Los ist für jeden entsprechend. Er erinnert sich, dass jedes vernünftige Wesen mit ihm verwandt ist und dass es der Menschennatur angemessen ist, unseresgleichen zu lieben, dass man nicht nach der Anerkennung der Menge, sondern nach der Achtung derjenigen, die der Natur gemäß leben, trachten müsse. Er erinnert sich stets, wie diejenigen, die nicht so leben, zu Hause und außer dem Hause, sowohl nachts als bei Tage sich benehmen und mit was für Leuten sie sich herumtreiben. Das Lob solcher Leute, die mit sich selber nicht zufrieden sein können, achtet er für nichts.
5.
Tue nichts mit Unwillen, nichts ohne Rücksicht aufs Gemeinwohl, nichts übereilt, nichts in Zerstreuung. Kleide deine Gedanken nicht in zierliche Worte, sei nicht weitschweifig in deinen Reden, noch tue vielgeschäftig. Vielmehr sei der Gott in dir der Führer eines gesetzten, erfahrenen, staatsklugen Mannes, eines Römers, eines Kaisers, eines Soldaten auf seinem Posten, der das Signal erwartet, eines Menschen, bereit, ohne Bedauern das Leben zu verlassen, und dessen Wort weder eines Eidschwurs noch der Zeugenschaft anderer bedarf. Dann findet man die Heiterkeit der Seele, wenn man sich gewöhnt, der Hilfe von außen her zu entbehren und zu unserer Ruhe anderer Leute nicht zu bedürfen. Man soll aufrecht stehen, ohne aufrecht gehalten zu werden.
6.
Wenn du im menschlichen Leben etwas findest, was höher steht als die Gerechtigkeit, die Wahrheit, die Mäßigkeit, der Mut, mit einem Worte, als ein Gemüt, das in Hinsicht seiner vernunftgemäßen Handlungsweise mit sich selbst und hinsichtlich der Ereignisse, die nicht in seiner Gewalt stehen, mit dem Schicksal zufrieden ist, wenn du, sage ich, etwas Besseres findest, so wende dich dem mit der ganzen Macht deiner Seele zu und ergötze dich an diesem höchsten Gute.
Wenn sich aber deinen Blicken nichts Besseres zeigt als der Geist, der in dir wohnt, der sich zum Herrn seiner eigenen Begierden gemacht hat, sich genau Rechenschaft über alle seine Gedanken gibt, der sich, wie Sokrates sagte, von der Herrschaft der Sinne losreißt, sich der Leitung der Götter unterwirft und den Menschen seine Fürsorge widmet, wenn alles andere dir gering und wertlos erscheint, so gib auch keinem andern Dinge Raum.
Denn hast du dich einmal hinreißen lassen, so steht es nicht mehr in deiner Macht, dich wieder los zu machen und dem einzigen Gute, das in Wahrheit dein eigen ist, den Vorrang zu geben. Es ist durchaus nicht erlaubt, jenem Gute, das sich auf die Vernunft und das Handeln bezieht, irgend etwas Fremdartiges, wie das Lob der Menge oder Herrschaft oder Reichtum oder Sinnenlust an die Seite zu stellen. Alle diese Dinge werden, wenn wir ihnen auch nur den geringsten Zugang gestatten, die Oberhand bekommen und uns vom rechten Wege abbringen.
Wähle also, sage ich, ohne Zaudern und wie ein freier Mann das höchste Gut und halte mit aller Macht fest daran. Das höchste Gut ist auch das Nützliche. Ja das, was dem vernünftigen Geschöpfe nützlich ist, musst du dir bewahren; ist es dir aber nur als tierischem Wesen nützlich, so lass es fahren und erhalte dein Urteil frei von Vorurteilen, damit du alles gründlich prüfen kannst.
7.
Derjenige, der seiner Vernunft, dem Genius in ihm und der Ehrerbietung für die Tugend den Vorrang lässt, ergeht sich nicht in tragischen Ausrufen, stößt keinen Seufzer aus, sehnt sich weder nach der Einsamkeit noch nach Umgang mit einer zahlreichen Menge; er wird, und darin liegt ein hohes Gut, leben, ohne das Leben weder zu suchen noch zu fliehen, vollkommen gleichgültig, ob für einen längeren oder kürzeren Zeitraum seine Seele von der Hülle seines Körpers umgeben sein wird. Ja, sollte er auch in diesem Augenblick scheiden müssen, er wird ebenso gern scheiden, wie bei Erfüllung irgendeiner andern, mit Ehre und Anstand übereinstimmenden Handlung. Nur darauf ist er einzig und allein bedacht, seine Seele vor jeder Richtung zu bewahren, die eines denkenden und geselligen Wesens unwürdig ist.
10.
Schiebe alles übrige beiseite, halte nur an jenem wenigen fest. Bedenke unter anderem, dass wir nur die gegenwärtige Zeit leben, die ein unmerklicher Augenblick ist; die übrige Zeit ist entweder schon verlebt oder ungewiss. Unser Leben ist also etwas Unbedeutendes, unbedeutend auch der Erdenwinkel, wo wir leben, unbedeutend endlich der Nachruhm, selbst der dauerndste, er pflanzt sich fort durch eine Reihe schnell dahinsterbender Menschenkinder, die nicht einmal sich selbst kennen, geschweige denn jemanden, der längst vor ihnen gestorben ist, kennen sollten.
11.
Bei jedem Ereignisse muss man sich sagen: Dies kommt von Gott, dies von der durchs Schicksal gefügten Verkettung der Dinge und auch von einem zufälligen Zusammenflusse von Umständen, dies endlich rührt von einem Genossen unseres Stammes, Geschlechtes, von einem Freunde her, der jedoch nicht weiß, was für ihn naturgemäß ist. Aber mir ist das nicht unbekannt. Daher behandle ich ihn, wie es das natürliche Gesetz der Gemeinschaft verlangt, wohlwollend und gerecht.
12.
Wenn du bei all deinem Tun immer der gesunden Vernunft folgst, dasjenige, was dir im Augenblicke zu tun obliegt, mit Eifer, Kraft, Freundlichkeit betreibst und, ohne auf eine Nebensache zu sehen, den Genius in dir rein zu erhalten suchst, als ob du ihn sogleich zurückgeben müsstest, wenn du so ohne Furcht und ohne Hoffnung handelst, dir an der jedesmaligen naturgemäßen Tätigkeit und heldenmütigen Wahrheitsliebe in deinen Reden und Äußerungen genügen lassest, so wirst du ein glückliches Leben führen, und es gibt niemanden, der dich hindern könnte so zu handeln.
14.
Schweife nicht mehr ab! Denn du wirst keine Zeit haben, weder deine eigenen Denkwürdigkeiten noch die alten Geschichten der Römer und Griechen noch die Auszüge aus Schriftstellern durchzulesen, die du für dein Alter zurückgelegt hast. Strebe also zum Ziele, gib leere Hoffnungen auf und komm, solange du es noch kannst, dir selber zu Hilfe, wenn du dich selbst einigermaßen lieb hast.
16.
So bleibt als eigentümlich für den Guten nur das übrig, dass er zu allem, was ihm als Pflicht erscheint, die Vernunft zu seiner Führerin habe, alles, was ihm durch die Verkettung der Geschicke begegnet, mit Liebe umfasse, den im Innern seiner Brust thronenden Genius nicht bestecke noch durch ein Gewirre von Einbildungen beunruhige, sondern ihn heiter erhalte, anspruchslos der Gottheit unterworfen, und ebenso wenig etwas rede, was der Wahrheit, als etwas tue, was der Gerechtigkeit widerstreitet.