Antike Stoiker & neuzeitlicher Stoizismus

Beim ersten Zitat geht es um die gestaltende Kunst als Zielerreichung!

ZITATE MARCUS AURELIUS STOIZISMUS
Marcus Aurelius: Selbstbetrachtungen

Selbstbetrachtungen. Sechstes Buch.
http://www.philosophie-der-stoa.de/selbstbetrachtungen-6.php


XVIII.

Was tut man? Die Zeitgenossen mag man nicht rühmen, aber von den Nachkommen, die man nicht kennt noch jemals kennen wird, will man gerühmt werden. Ist das nicht gerade so, wie wenn es dich schmerzte, dass deine Vorfahren nichts von dir zu rühmen hatten?

XIX.

Denke nicht, wenn dir etwas schwer fällt, es sei nicht menschenmöglich. Und was nur irgendeinem Menschen möglich und geziemend ist, davon sei überzeugt dass es auch für dich erreichbar sein wird.
 
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Bei zweiten Zitat geht es um Sport und darum, seinen eigenen Weg zu gehen und sich nicht von anderen bestimmen zu lassen.

ZITATE MARCUS AURELIUS STOIZISMUS
Marcus Aurelius: Selbstbetrachtungen

Selbstbetrachtungen. Sechstes Buch.
http://www.philosophie-der-stoa.de/selbstbetrachtungen-6.php

Die Stoa und der Sport

XX.

Wenn uns in der Fechtschule jemand geritzt oder beim Ringen einen Schlag versetzt hat, so tragen wir ihm das gewiß nicht nach, fühlen uns auch nicht beleidigt und denken nichts Uebles von dem Menschen; wir nehmen uns wohl vor ihm in acht, aber nicht als vor einem Feinde, der uns verdächtig sein müßte, sondern nur so, dass wir ihm ruhig aus dem Wege gehen. Machten wir es doch im Leben auch so! Ließen wir doch da auch so manches unbeachtet, was uns von denen widerfährt, mit denen wir ringen. Es steht uns ja immer frei, den Leuten, wie ich es genannt habe, aus dem Wege zu gehen, ohne Argwohn und ohne Groll.

XXI.

Wenn mich jemand überzeugen und mir beweisen kann, dass meine Ansicht oder meine Handlungsweise nicht die richtige sei, so will ich sie mit Freuden ändern. Denn ich suche die Wahrheit, sie, die niemand Schaden zufügt. Wohl aber nimmt Derjenige Schaden, der auf seinem Irrtum und seiner Unwissenheit beharrt.

XXII.

Ich suche das meinige zu tun: alles übrige, alles was leblos oder vernunftlos oder seines Weges unkundig und verirrt ist, geht mich nichts an und kann mich nicht verwirren.
 
Im Kontakt mit anderen heutigen Stoikern bemerke ich unterschiedliche Positionen und Deutungen des antiken Stoizismus. In der Recherche dazu fand ich ein interessantes Zitat, das eine gute Erklärung liefert für das sich historisch veränderte Gottesbild von der Götterlehre bis zum Allgott, was bei den Stoikern optional spürbar wird.

https://de.wikipedia.org/wiki/Atheismus#Theistische_Gegenpositionen_und_Argumente

"Papst Benedikt XVI, hob als Professor Joseph Ratzinger im Hinblick auf die Gefahr des „Unwesens“ der Religion auch eine positive reinigende Funktion des Atheismus hervor:
„Atheismus ist nicht notwendig Leugnung des Absoluten überhaupt, sondern dessen Rückversetzung in die reine Gestaltlosigkeit, d. h., er ist Protest gegen die Gestalt, mit der das Absolute identisch gesetzt wird. Darin aber liegt die große und unabdingbare Sendung des Atheismus in der Religionsgeschichte. Die Gestaltung des Göttlichen führt ja in der Tat immer wieder zur Vermenschlichung Gottes und damit zur Verabsolutierung des Menschlichen oder ganz bestimmter Einstellungen und Meinungen des Menschen. Aus diesem Grund gibt es nicht nur das Wesen, sondern auch das ‚Unwesen‘ der Religion (Bernhard Welte), ist Religion nicht nur die große Chance, sondern auch die große Gefährdung des Menschen. Weil hier das Absolute begegnet, kann jede Vermenschlichung und Verdinglichung des Absoluten zu den furchtbarsten Konsequenzen führen, indem dann die Gruppe, das System, die Einrichtung sich selbst absolut setzt und alles, was gegen sie steht, als das schlechthin Böse außerhalb jeder Menschlichkeit stellt. Weil vom Wesen des Menschen her jede Gestaltung zur Abschließung und so zur falschen Vermenschlichung Gottes drängt, muss es neben der Gestaltung immer auch ebenso die große Gegenbewegung der Reinigung geben, die immer wieder die Überschreitung der Gestalt und so letzten Endes die Vergöttlichung Gottes besorgt. Man kann gerade als Christ nicht einfach die positiv gestalteten Religionen der Weltgeschichte als das Gute und die atheistische Geisteslinie als den schlechthinnigen Sündenfall hinstellen, sondern beide Linien, die der Gestaltung und die der Reinigung, ergänzen sich gegenseitig, beide tragen Aufschwung und Fall in sich.“
 
Gerade fand ich im Net eine kostenlose wissenschaftliche Schrift zur Theologie der Stoa. Ich habe es als PDF runtergeladen, ist über 400 Seiten lang, sehr lesenswert, jedoch wirklich wissenschaftlich komplex geschrieben. Es hat aber ein ausführliches Sachregister zum Nachschlagen. Hier der Link:
https://dokumen.pub/qdownload/die-theologie-der-stoa-9783110428360-9783110431551-9783110431803.html

Ist auch als Buch im normalen Handel erhältlich.
Stefan Dienstbeck - Die Theologie der Stoa

Was den Austausch mit anderen Stoikern betrifft, nehme ich davon Abstand. Da gibt es einfach zu unterschiedliche Sichtweisen. Die Stoiker selbst waren sich nicht mal einig. Und für mich geht es beim Stoizismus ja letztlich nur um meine subjektive Nutzbarkeit und nicht um eine dogmatische Diskussion über eine längst vergangene Zeit, wo die Menschen ein ganz anderes Weltbild und Gottverständnis hatten. Da wird meiner Meinung nach einfach zu viel hineininterpretiert, um den Stoizismus zu ideologisieren für die eigene Gruppenbildung und als eine Art Religionsersatz. Das entspricht aber gerade nicht dem Minimalismus des damaligen Stoizismus.

Ich brauche das auch nicht, weil ich bereits meinen Gottglauben habe und im Stoizismus nur gerade die Technik der Lebensvereinfachung anstrebe, so wie ein anderer zur Meditation des Buddhismus greift als Life-Style-Technik, ohne jetzt gleich Buddhist werden zu wollen. Der Stoizismus ist derart anschlussfähig für alle Religionen wie auch den Atheismus und Agnostizismus, weil die Technik im Vordergrund steht und die Theorien eher reduziert werden.
 
Der eindrückliche, oscarprämierte Monumentalfilm "Gladiator"(2000) mit Russell Crowe als Maximus behandelt eine fiktive Historie zur Zeit des römischen Kaiserreichs, wo Marcus Aurelius und sein Sohn Commodus zentrale Rollen des Films darstellen. Maximus verkörpert den stoischen Feldherrn, wie Marcus Aurelius ihn in seinen Selbstdarstellungen idealisiert, während der fiktiv entworfene Commodus all das repräsentiert, was Marcus Aurelius zeitlebens bei sich selbst zu beherrschen suchte, nämlich alles Unbeherrschte, Zügellose und Ungeordnete.

Auf Youtube: Die besten Szenen aus "Gladiator"


Vielleicht haben die Filmemacher von Gladiator bei der Darstellung des Maximus an den von Marcus Aurelius beschriebenen Maximus gedacht:

ZITATE VON MARCUS AURELIUS ANTONIUS
Des Kaisers Marcus Aurelius Antonius Selbstbetrachtungen
Erstes Buch.
https://www.projekt-gutenberg.org/antonius/selbstbe/chap001.html

15.
Beherrsche dich selbst! sagte Maximus, sei fest in den Krankheiten und allen Verdrießlichkeiten, behalte immer die gleiche mit Milde und Würde gepaarte Laune und verrichte die dir obliegenden Geschäfte ohne Widerstreben. Von ihm war jeder überzeugt, daß er so sprach, wie er es meinte, und daß seinen Handlungen ein guter Zweck zugrunde lag. Er zeigte über nichts Verwunderung oder Erstaunen, auch nirgends Übereilung oder Saumseligkeit, war nie verlegen, trostlos oder nur scheinfröhlich, nie war er zornig oder übler Laune. Wohltätig, großmütig und wahrheitsliebend, bot er eher das Bild eines Mannes, der von Natur recht war und keiner Besserung bedurfte. Es konnte sich niemand von ihm verachtet glauben, aber auch ebensowenig sich besser dünken. Im Ernst und Scherz war er voll Anmut und Geist.
 
ZITATE VON MARCUS AURELIUS ANTONIUS
Des Kaisers Marcus Aurelius Antonius Selbstbetrachtungen
Zweites Buch.
https://www.projekt-gutenberg.org/antonius/selbstbe/chap002.html


2.
Lass die Bücher, die Zerstreuung, es fehlt dir die Zeit.

Fußnote: Marcus Aurelius Antonius war durch seine Regentenpflichten so sehr beschäftigt, dass er seine Neigung zum Lesen unterdrücken musste. (Bücher konnten damals nur die Reichen kaufen, die philosophischen Schriften wurden oft mit mehreren Talenten, d. h. mehreren Tausend Talern bezahlt)

Geht mir auch so, als "Regentin" eines modernen Lebens mit viel Verantwortung!
 
Zuletzt bearbeitet:
ZITATE VON MARCUS AURELIUS ANTONIUS
Des Kaisers Marcus Aurelius Antonius Selbstbetrachtungen
Zweites Buch.
https://www.projekt-gutenberg.org/antonius/selbstbe/chap002.html


3.
Den Bücherdurst vertreibe, damit du nicht murrend sterbest, sondern mit wahrem Seelenfrieden und dankbarem Herzen.

Fußnote:
Mehrere Stoiker waren gegen das viele Bücherlesen. Seneca sagt, dass sich selbst zu studieren den Vorzug verdiene vor dem Studium vieler Bücher.

4.
Erinnere dich, seit wie lange du die Ausführung verschiebst. Du solltest es doch einmal empfinden, von welcher Welt du ein Teil bist und von welchem Herrn der Welt dein Dasein seinen Ursprung hat, dass die Zeit für dich schon abgegrenzt ist; und wenn du sie nicht auf die Seelenheiterkeit verwendest, so schwindet sie dahin, und du schwindest selbst dahin, und sie kehrt nie zurück.

5.
Denke zu jeder Tageszeit daran, in deinen Handlungen einen festen Charakter zu zeigen, wie er einem Römer und einem Mann geziemt, einen ungekünstelten, sich nie verleugnenden Ernst, ein Herz voll Freiheits- und Gerechtigkeitsliebe. Verscheuche jeden anderen Gedanken, und das wirst du können, wenn du jede deiner Handlungen als die letzte deines Lebens betrachtest, frei von Überstürzung, ohne irgendeine Leidenschaft, die der Vernunft ihre Herrschaft entzieht, ohne Heuchelei, ohne Eigenliebe und mit Ergebung in den Willen des Schicksals. Du siehst, wie wenig zu beobachten ist.

6.
Schmähe dich, ja schmähe dich, Seele! Dich zu ehren, wirst du keine Zeit mehr haben. Unser Leben ist flüchtig, das deinige ist fast schon am Ziele, und du hast keine Achtung vor dir, denn du suchst deine Glückseligkeit in den Seelen anderer.

Fußnote:
Nach den Lehren der Stoiker soll der Mensch nach einem naturgemäßen Leben trachten und das Urteil anderer verachten.

7.
Warum dich durch die Außendinge zerstreuen? Nimm dir Zeit, etwas Gutes zu lernen und höre auf, dich wie im Wirbelwind umhertreiben zu lassen. Hüte dich noch vor einer andern Verirrung, denn es ist auch Torheit, sich das Leben durch zwecklose Handlungen schwer zu machen; man muss ein Ziel haben, auf das sich alle unsere Wünsche, alle unsere Gedanken richten.

Fußnote:
Marc Aurel sagt, dass die Seele des Menschen sich mit Schmach bedeckt, wenn sie bei ihrer Handlung kein Ziel verfolgt, sondern ihr Tun dem Zufall überlässt.

8.
Es ist noch nie jemand unglücklich geworden, weil er sich nicht um das, was in der Seele eines andern vorgeht, gekümmert hat; aber diejenigen, die nicht mit Aufmerksamkeit den Bewegungen ihrer eigenen Seele folgen, geraten notwendig ins Unglück.

Fußnote:
Wer sich immer nur um andere kümmert und nicht um sich, lernt nie sich selbst erkennen.

9.
Halte dir immer gegenwärtig, welches die Natur des Weltalls und welches die deinige ist, welche Beziehungen diese zu jener hat und welch einen Teil von welchem Ganzen du ausmachst, und dann, dass niemand es dir verwehren kann, dasjenige zu tun oder zu sagen, was mit der Natur, von der du selbst ein Teil bist, übereinstimmt.

11.
All dein Tun und Denken sei so beschaffen, als solltest du möglicherweise im Augenblick aus diesem Leben scheiden.

12.
Was ist der Tod? Wenn man ihn für sich allein betrachtet und in Gedanken das davon absondert, was in der Einbildung damit verbunden ist, so wird man darin nichts anderes erblicken als eine Wirkung der Natur. Wer sich aber vor einer Naturwirkung fürchtet, ist ein Kind. Noch mehr, der Tod ist nicht bloß eine Wirkung der Natur, sondern eine für die Natur heilsame Wirkung. Betrachte endlich, wie und durch welchen Teil seines Wesens der Mensch mit Gott in Berührung steht und in welchem Zustande er sich dann befindet, wenn dieses Körperteilchen zerstäubt ist.

13.
Nichts ist jämmerlicher als ein Mensch, der alles ergründen will, der die Tiefen der Erde, wie jener Dichter sagt, durchforscht und, was in der Seele seines Nebenmenschen vorgeht, zu erraten sucht, ohne zu bedenken, dass er sich genügen lassen sollte, mit dem Genius, den er in sich hat, zu verkehren und diesem aufrichtig zu dienen.

16.
Die Seele des Menschen bedeckt sich vornehmlich dann mit Schmach,
... wenn sie bei ihren Handlungen und Bestrebungen kein Ziel verfolgt, sondern unbesonnen ihr Tun dem Zufall überlässt, während die Pflicht gebietet, selbst die unbedeutendsten Dinge auf einen Zweck zu beziehen.

17.
Was kann uns da sicher leiten? Nur eins: die Philosophie. Und ein Philosoph sein heißt: den Genius in uns vor jeder Schmach, vor jedem Schaden bewahren, die Lust und den Schmerz besiegen, nichts dem Zufall überlassen, ... alle Begebenheiten und Schicksale als von daher kommend aufnehmen, von wo wir selbst ausgegangen sind, endlich den Tod mit Herzensfrieden erwarten.
 
ZITATE VON MARCUS AURELIUS ANTONIUS
Des Kaisers Marcus Aurelius Antonius Selbstbetrachtungen
Drittes Buch.
https://www.projekt-gutenberg.org/antonius/selbstbe/chap003.html

3.
Was will ich damit sagen? Du hast dich eingeschifft, bist durch das Meer gefahren, bist im Hafen: steige nun aus! ... so enden deine Schmerzen und deine Vergnügungen, deine Einschließung in ein Gefäß, das um so unwürdiger ist, als derjenige, der darin lebt, weit edler ist. Denn dieser ist die Vernunft, dein Genius, jener nur Erde und Verwesung.

4.
Verbringe den Rest deines Lebens nicht in Gedanken an andere, wenn sie keine Beziehung zum Gemeinwohl haben. Denn du versäumst damit die Erfüllung einer anderen Pflicht, wenn du deinen Geist damit beschäftigst, was dieser oder jener tut und warum, was er sagt, was er denkt oder vorhat usw., was dich von der Beobachtung deiner regierenden Vernunft abzieht.

Du musst also aus deiner Gedankenreihe jeden Zufall, jedes Unnütze, jede Neugier und jede Arglist verbannen, musst dich gewöhnen, nur solche Gedanken zu haben, dass, wenn man dich plötzlich fragt, woran du denkst, du freimütig antworten kannst: An dies oder das; so dass man an deinen Gedanken erkennt, dass alles Einfachheit und Wohlwollen ist, wie es einem geselligen Wesen geziemt.

Indem er sich selten und nur im Hinblick auf das allgemeine Beste mit dem beschäftigt, was ein anderer sagt, tut oder denkt, wendet er seine ganze Tätigkeit seinen eigenen Angelegenheiten zu, und die Bestimmung, die ihm die ewigen Naturgesetze auferlegen, ist der beständige Gegenstand seines Nachdenkens. Jenes verrichtet er so gut er kann, dieses hält er mit fester Überzeugung für gut, denn das uns zugeteilte Los ist für jeden entsprechend. Er erinnert sich, dass jedes vernünftige Wesen mit ihm verwandt ist und dass es der Menschennatur angemessen ist, unseresgleichen zu lieben, dass man nicht nach der Anerkennung der Menge, sondern nach der Achtung derjenigen, die der Natur gemäß leben, trachten müsse. Er erinnert sich stets, wie diejenigen, die nicht so leben, zu Hause und außer dem Hause, sowohl nachts als bei Tage sich benehmen und mit was für Leuten sie sich herumtreiben. Das Lob solcher Leute, die mit sich selber nicht zufrieden sein können, achtet er für nichts.

5.
Tue nichts mit Unwillen, nichts ohne Rücksicht aufs Gemeinwohl, nichts übereilt, nichts in Zerstreuung. Kleide deine Gedanken nicht in zierliche Worte, sei nicht weitschweifig in deinen Reden, noch tue vielgeschäftig. Vielmehr sei der Gott in dir der Führer eines gesetzten, erfahrenen, staatsklugen Mannes, eines Römers, eines Kaisers, eines Soldaten auf seinem Posten, der das Signal erwartet, eines Menschen, bereit, ohne Bedauern das Leben zu verlassen, und dessen Wort weder eines Eidschwurs noch der Zeugenschaft anderer bedarf. Dann findet man die Heiterkeit der Seele, wenn man sich gewöhnt, der Hilfe von außen her zu entbehren und zu unserer Ruhe anderer Leute nicht zu bedürfen. Man soll aufrecht stehen, ohne aufrecht gehalten zu werden.

6.
Wenn du im menschlichen Leben etwas findest, was höher steht als die Gerechtigkeit, die Wahrheit, die Mäßigkeit, der Mut, mit einem Worte, als ein Gemüt, das in Hinsicht seiner vernunftgemäßen Handlungsweise mit sich selbst und hinsichtlich der Ereignisse, die nicht in seiner Gewalt stehen, mit dem Schicksal zufrieden ist, wenn du, sage ich, etwas Besseres findest, so wende dich dem mit der ganzen Macht deiner Seele zu und ergötze dich an diesem höchsten Gute.

Wenn sich aber deinen Blicken nichts Besseres zeigt als der Geist, der in dir wohnt, der sich zum Herrn seiner eigenen Begierden gemacht hat, sich genau Rechenschaft über alle seine Gedanken gibt, der sich, wie Sokrates sagte, von der Herrschaft der Sinne losreißt, sich der Leitung der Götter unterwirft und den Menschen seine Fürsorge widmet, wenn alles andere dir gering und wertlos erscheint, so gib auch keinem andern Dinge Raum.

Denn hast du dich einmal hinreißen lassen, so steht es nicht mehr in deiner Macht, dich wieder los zu machen und dem einzigen Gute, das in Wahrheit dein eigen ist, den Vorrang zu geben. Es ist durchaus nicht erlaubt, jenem Gute, das sich auf die Vernunft und das Handeln bezieht, irgend etwas Fremdartiges, wie das Lob der Menge oder Herrschaft oder Reichtum oder Sinnenlust an die Seite zu stellen. Alle diese Dinge werden, wenn wir ihnen auch nur den geringsten Zugang gestatten, die Oberhand bekommen und uns vom rechten Wege abbringen.

Wähle also, sage ich, ohne Zaudern und wie ein freier Mann das höchste Gut und halte mit aller Macht fest daran. Das höchste Gut ist auch das Nützliche. Ja das, was dem vernünftigen Geschöpfe nützlich ist, musst du dir bewahren; ist es dir aber nur als tierischem Wesen nützlich, so lass es fahren und erhalte dein Urteil frei von Vorurteilen, damit du alles gründlich prüfen kannst.

7.
Derjenige, der seiner Vernunft, dem Genius in ihm und der Ehrerbietung für die Tugend den Vorrang lässt, ergeht sich nicht in tragischen Ausrufen, stößt keinen Seufzer aus, sehnt sich weder nach der Einsamkeit noch nach Umgang mit einer zahlreichen Menge; er wird, und darin liegt ein hohes Gut, leben, ohne das Leben weder zu suchen noch zu fliehen, vollkommen gleichgültig, ob für einen längeren oder kürzeren Zeitraum seine Seele von der Hülle seines Körpers umgeben sein wird. Ja, sollte er auch in diesem Augenblick scheiden müssen, er wird ebenso gern scheiden, wie bei Erfüllung irgendeiner andern, mit Ehre und Anstand übereinstimmenden Handlung. Nur darauf ist er einzig und allein bedacht, seine Seele vor jeder Richtung zu bewahren, die eines denkenden und geselligen Wesens unwürdig ist.

10.
Schiebe alles übrige beiseite, halte nur an jenem wenigen fest. Bedenke unter anderem, dass wir nur die gegenwärtige Zeit leben, die ein unmerklicher Augenblick ist; die übrige Zeit ist entweder schon verlebt oder ungewiss. Unser Leben ist also etwas Unbedeutendes, unbedeutend auch der Erdenwinkel, wo wir leben, unbedeutend endlich der Nachruhm, selbst der dauerndste, er pflanzt sich fort durch eine Reihe schnell dahinsterbender Menschenkinder, die nicht einmal sich selbst kennen, geschweige denn jemanden, der längst vor ihnen gestorben ist, kennen sollten.

11.
Bei jedem Ereignisse muss man sich sagen: Dies kommt von Gott, dies von der durchs Schicksal gefügten Verkettung der Dinge und auch von einem zufälligen Zusammenflusse von Umständen, dies endlich rührt von einem Genossen unseres Stammes, Geschlechtes, von einem Freunde her, der jedoch nicht weiß, was für ihn naturgemäß ist. Aber mir ist das nicht unbekannt. Daher behandle ich ihn, wie es das natürliche Gesetz der Gemeinschaft verlangt, wohlwollend und gerecht.

12.
Wenn du bei all deinem Tun immer der gesunden Vernunft folgst, dasjenige, was dir im Augenblicke zu tun obliegt, mit Eifer, Kraft, Freundlichkeit betreibst und, ohne auf eine Nebensache zu sehen, den Genius in dir rein zu erhalten suchst, als ob du ihn sogleich zurückgeben müsstest, wenn du so ohne Furcht und ohne Hoffnung handelst, dir an der jedesmaligen naturgemäßen Tätigkeit und heldenmütigen Wahrheitsliebe in deinen Reden und Äußerungen genügen lassest, so wirst du ein glückliches Leben führen, und es gibt niemanden, der dich hindern könnte so zu handeln.

14.
Schweife nicht mehr ab! Denn du wirst keine Zeit haben, weder deine eigenen Denkwürdigkeiten noch die alten Geschichten der Römer und Griechen noch die Auszüge aus Schriftstellern durchzulesen, die du für dein Alter zurückgelegt hast. Strebe also zum Ziele, gib leere Hoffnungen auf und komm, solange du es noch kannst, dir selber zu Hilfe, wenn du dich selbst einigermaßen lieb hast.

16.
So bleibt als eigentümlich für den Guten nur das übrig, dass er zu allem, was ihm als Pflicht erscheint, die Vernunft zu seiner Führerin habe, alles, was ihm durch die Verkettung der Geschicke begegnet, mit Liebe umfasse, den im Innern seiner Brust thronenden Genius nicht bestecke noch durch ein Gewirre von Einbildungen beunruhige, sondern ihn heiter erhalte, anspruchslos der Gottheit unterworfen, und ebenso wenig etwas rede, was der Wahrheit, als etwas tue, was der Gerechtigkeit widerstreitet.
 
In Teil 3 und 4 des Imperium-Romanum-Films wird anschaulich deutlich, wie Kaiser Marcus Aurelius durch seine Philosophie des Stoizismus die notwendige Kraft entwickelte, um im Gefecht gegen die Feinde des römischen Reichs zum Gewinner zu werden, nachdem er vorher viele Verluste hatte.

Nachdem ich das ganze Werk von Marcus Aurelius aufmerksam gelesen und zusätzlich über Youtube gehört habe, verstehe ich jetzt, wie er sich durch die Niederschrift seiner Selbstbetrachtungen innerlich optimal ausrichtete, um in die Handlung zu kommen.
 
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Es lohnt sich, auch die Hörbücher zu den Schriften von Epiktet und Aurelius anzuhören. Da werden die Schriften so richtig lebendig. Ich hörte es mir gestern Nacht stundenlang an und schlief dann irgendwann ein und träumte davon, wie Marcus Aurelius durch seine stoizistischen Selbstbetrachtungen an Kraft gewann und sich verjüngte, dessen Einfluss auch mich belebte, aber trotzdem fühlte ich mich gleichzeitig alt und musste lernen, mit meiner Schwäche und Hinfälligkeit umzugehen. Ich fühlte mich jedenfalls viel älter neben dem verjüngten Marcus Aurelius und wünschte mir, mich auch verjüngen zu können, um Kraft zu haben.

Ich sah im Traum noch die Hausmauer unter meinem Fenster, wo ich wohne. Diese hat einen großen Riss (auch real), wo viele hübsche Eidechsen Unterschlupf finden (auch wahr). Der Mauerriss wurde auf einmal tödlich bedroht. Tatsächlich rief meine Vermieterin zwischenzeitlich einen Auftraggeber an, der die Eidechsen-Mauerrisshöhle zumauern soll. Dadurch wird der Bestand "meiner Eidechsen" (meine Kraft- und Totemtiere) bedroht.

Es gibt in der Bibel einen Vers in Sprüche 30,28: "Die Eidechse kannst du mit den Händen fangen, und sie findet sich doch in den Palästen der Könige."

Marcus Aurelius ist römischer Kaiser, damit wäre auch der biblische Schlossgartenbezug der Eidechse vorhanden.
 
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