Könntest du , aus deiner Sicht , ein alltagstaugliches Beispiel bringen ?
Das wird jetzt wohl ein etwas ausführlicherer Kommentar. Die Frage nach Gleichheit /Gleichwertigkeit, der Abbau von Voruteilen und wie Unterschiede bewertet werden ist für mich eine sehr relevante.
Für mich sind die Begriffe Gleichberechtigung, Gleichheit (i.S. Gleichwertigkeit), Diskriminierungsverbot uäm. auf den verschiedensten Ebenen unseres Zusammenlebens notwendig und wirksam.
Im europäischen Staatenverbund dienen unter anderem die europäische Menschenrechtkonvention und, als Vertiefung, Erweiterung und um die Grundrechte für den Einzelnen sichtbarer und transparenter zu machen, die europäische Charta der Grundrechte, als Grundbekenntnis, als Teil des Wertekanons und Richtschnur - obwohl die europäische Union als Rechtspersönlichkeit der EMRK noch nicht beigetreten ist, ist die Konvention gleichwohl bindend.
http://www.europarl.de/resource/static/files/europa_grundrechtecharta/_30.03.2010.pdf
http://institut.wirtschaftsrecht.uni-halle.de/sites/default/files/Heft 9.pdf
Damit das mit Leben gefüllt wird und nicht bloß Lippenbekenntnis bleibt, braucht es beherzte BürgerInnen und Institutionen, die auch per Klagsweg auf Einhaltung der „Spielregeln“ pochen. Das ist mühsam und langwierig, aber es gibt ein paar sehr eindrucksvolle, rezente Beispiele die zeigen, dass es lohnenswert ist:
http://de.wikipedia.org/wiki/Richtlinie_2006/24/EG_über_die_Vorratsspeicherung_von_Daten
Da sich auch die Türkei der EMRK und dem europäischen Menschrechts-Gerichtshof unterwirft hat es auch hier schon Bürgerklagen und Urteile gegeben
z.B. wegen Online-Zensur und Twitter-Sperre
http://www.urheberrecht.org/news/4834/
Zum Thema Homosexualität bzw. Diskriminierung auf Grund von sexueller Orientierung gibt es einige interessante Urteile, die auf längere Sicht auch die nationale Gesetzgebung maßgeblich beeinflusst haben.
https://www.lsvd.de/recht/rechtsprechung/egmr-u-internationale-gerichte.html
Auch die einzelstaatliche Gesetzgebung muss, so sie sich diesen Grundsätzen verpflichtet hat, Gleichberechtigung, Gleichheit, Diskriminierungsverbot uäm. in ihren nationalen Gesetzen berücksichtigen und ich habe als Bürgerin das Recht, Verstöße dagegen einzuklagen.
Überall dort, wo ich als „öffentliche“ Person agiere (was in vielen Berufen der Fall ist), muss ich mich ebenfalls an diesem gesetzlichen, gesellschaftspolitischen Rahmen orientieren (wenn ich als Kellner einen Gast nicht bediene, weil er dunkelhäutig ist, oder es eine Sie ist mit Kopftuch, können sowohl ich als auch mein Arbeitgeber massive Probleme bekommen; wenn ich als Arbeitgeber jemand Qualifizierten nicht einstelle weil er homosexuell ist ebenso).
Im privaten, zwischenmenschlichen Bereich sieht das anders aus. Die Grundwerte die ich vertrete, das Menschenbild das ich habe kann mir kein Gesetzgeber vorschreiben. Weder muss ich jeden Menschen der mir begegnet mögen, noch muss er mir wichtig sein.
Für mich spielen moderne humanistische Werte eine große Rolle, auch sozialistische Ideen haben mein Denken maßgeblich beeinflusst. Und daran versuche ich eben mein tatsächliches Tun immer wieder kritisch zu messen (was mir wirklich nicht immer gelingt!)
Ich war viele Jahre ehrenamtlich beim Roten Kreuz tätig. Dabei kam es natürlich auch zu Kontakten mit MigrantInnen aus der Türkei, aus Afghanistan, Pakistan, Nigeria,…
Der Umgang mit Krankheit, Schmerzen oder Verletzungen unterliegt auch einer erlernten kulturellen Konvention. Ich lief dabei immer wieder Gefahr, meine Sicht im Umgang damit als DIE Richtige zu sehen und z.B. türkischstämmige Patienten, die für meinen damaligen Begriff ziemlich lautstark litten nicht so ernst zu nehmen. Auch die, in meinen Augen damals unbotmäßige Anzahl von Angehörigen die im Rettungsauto mitfahren wollten, verleitete mich schon mal zu einem harscheren Ton bei der Absage als überhaupt notwendig gewesen wäre (dabei gab es nie Problem, wenn nur eine Person als Begleitung mitfahren konnte).
Die eigene Sicht als einzig Richtige zu hinterfragen war ein ziemlicher Lernprozess für mich (und ist es in Wahrheit noch immer).
Am Meisten veränderte sich für mich, als ich immer wieder merkte, dass fremde Menschen auch mir gegenüber Vorurteile hegen und mich durch Klischees betrachten (sei es als autofahrende Frau in der Osttürkei, als Arbeiterkind oder als kinderlose Frau, als beruflich engagierte…).
Diese Empörung, die ich dabei manchmal empfinde, ist immer wieder eine gute Motivation, um meine eigenen Vorurteile zu hinterfragen und Anflüge von Selbstgerechtigkeit einzudämmen.