Mitgefühl

Liebe Juppi,

danke für diese Geschichte :umarmen:

Ich habe oft darüber nachgedacht: "Wie kommts, dass ich so fröhlich bin?"...:). Und ich bin zu der Erkenntnis gekommen, es gibt für mich nur eine Erklärung:
Ich habe trotz aller Widrigkeiten doch auch sehr viel Liebe erfahren in meinem Leben.
In erster Linie von meiner Mutter, auch wenn ich nur 10 Jahre bei ihr war als Kind. Aber diese Jahre haben mich geprägt.
Und dann von meinem Mann. 28 Jahre, die mitunter auch sehr konfliktbeladen waren, aber in letzter Konsequenz dennoch geprägt von einer tiefen Liebe, die uns verband.

Dieses "Geschenk" begleitet mich und meine Kinder weiterhin durchs Leben und gibt uns Kraft und Stärke und hält uns verbunden mit denen, die uns vorausgegangen sind und läßt mich Nachsicht üben mit denen, die mir (uns) Unrecht angetan haben.

Das Leben ist zu kurz und zu schön, um es in Verbitterung versinken zu lassen.

lg
Sunny

Hi Sunny,

ich war dir noch eine Antwort "schuldig"....:)

Ja, das Leben ist zu schön und zu bunt, um weiterhin dem Opferdasein zu frönen. Außerdem muß ich gestehen, dass ich mich sowieso nicht gut als Opfer eigne....:D

Nun denn, aber auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass man Vergangenes nicht vergessen darf, solange es noch nicht innerlich verarbeitet ist, aber dann muß jede schmerzliche Episode ad Akta gelegt werden. Man muß loslassen, auch wenn der Schmerz ein so vertrauter Begleiter geworden ist....Wie auch sonst kann man ohne Altlasten wie Bitterkeit, Wut oder Hassgefühle einen inneren Neuanfang starten? Man würde doch ein Leben lang belastet sein......

Ich hatte mein letztes unschönes Erlebnis z.B. mit einem inneren Ritual abgeschlossen. Nachdem ich alles noch einmal Revue passieren ließ und mich ein letztes Mal bedauert hatte :D, habe ich im Geiste die Angelegenheit endgültig "begraben". Ich habe mir einen Sarg vorgestellt, in den ich all die unschönen Gespräche, die Auswirkungen dessen und meine Wutgefühle reingelegt habe. Dann wurde der Sarg in die Erde versenkt und Erde darauf geschaufelt. Zum Schluß habe ich, wie ein Pastor innerlich gesagt: "Ich vergebe Euch und auch mir" und das war´s. Seitdem gehts mir herrlich.......:banane:

Wie kann man einen wirklichen Neuanfang starten, wenn das Alte noch wie ein nasser Lappen an einem herunterhängt und im Schmutz wabert?

Nein, jede Episode muß einmal zu Ende sein. Das Gewesene ist gewesen. Es gehörte einmal zu mir, jetzt aber nicht mehr.......:)


Ganz liebe Grüße
Juppi
 
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Nun denn, aber auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass man Vergangenes nicht vergessen darf, solange es noch nicht innerlich verarbeitet ist, aber dann muß jede schmerzliche Episode ad Akta gelegt werden. Man muß loslassen, auch wenn der Schmerz ein so vertrauter Begleiter geworden ist....Wie auch sonst kann man ohne Altlasten wie Bitterkeit, Wut oder Hassgefühle einen inneren Neuanfang starten? Man würde doch ein Leben lang belastet sein......

Liebe Urajup,

da kann ich mitgehen. Das Leid muss irgendwann vorbei sein dürfen und sich dem Vergessen anvertrauen dürfen.

Ein älterer Herr, den ich sehr schätze, sagte einmal sinngemäß zu mir:

Das Leid hat ein tiefes Bedürfnis - es will vorbei sein. Und das Glück hat auch ein Bedürfnis: es will andauern und mehr werden.

Lassen wir es!

Mancher will aber den leichten Weg und versucht das Leid mit Sekundärgefühlen zu übertünchen. Da wird dann die drüber gelegte Wut oder "Fröhlichkeit", von der man dann bestrebt ist, ständig andere zu überzeugen, zum Schmierentheater (wenn auch aus vermeintlichem "Selbstschutz", das eine wirkliche Lösung, das Lösen verhindert. Und üb er Sekundärgewinne von Sekundärgefühlen muss ich wohl nichts sagen. Also ist es hilfreich hinter die Kulissen zu schauen und den primären Gefühlen erst einmal Raum zu geben.

Aber dann.. da stimme ich überein... muss es vorbei sein. Dann ist Platz für einen kraftvollen Neuanfang. Haben Menschen die etwas "verschmerzt" und dann gelassen haben (was den Abschluss in sich bedingt) nicht eine eigentümliche kraftvolle Ausstrahlung?

Und kann das Vergangene nicht weiter zu mir oder Dir gehören, ohne, dass z.B. alter Schmerz immer wieder aufgewärmt werden muss? Vieleicht verdient Vergangenes einen Platz im Herzen eben gerade als zugehörig zu mir?

Ich hab Eltern von gestorbenen Kindern gesehen, die hatten ach zwanzig Jahren immer noch das Kinderzimmer so wie es war und als ob das Kind noch immer eigentlich am Leben sei. In den Aufstelungen zeigte sich, dass so ein Kind keine Ruhe fand bei den Toten. Erst als die Eltern den Tod anerkannten und das Kind zu den Toten ziehen ließen und sich dem Leben wieder zuwandten, waren alle frei. In einigen Fälen habn sie das Zimmer dann renoviert und ihm eine neue Funktion gegeben. Dann war Frieden.

A.
 
Vielleicht ist es eine gute Anregung in diesem Zusammenhang: können wir auch Hitler schon einen Platz in unseren Herzen als ein Mensch wie wir selbst geben, der auch Täter war und auch erfasst wurde von etwas, das er möglicherweise nicht unter Kontrolle gehabt haben, ja das größer als er gewesen sein mag? Erst dann wären wir frei von ihm, denke ich. Und dann wären wir frei von den Tätern in uns selbst. Wer traut sich zu so viel Mitgefühl?

A.

Ich trau mich !

Wobei ich nicht weiß – ob Mitgefühl das richtige Wort ist.

Ich kann aber manchmal auf eine „Ebene“ gehen, wo ich eine Person wie z.B. auch Hitler einfach nur als Mensch sehe…. und da ist dann kein Vorwurf – nichts…. einfach nur der Mensch. Kann das nicht gut beschreiben – weil da werd ich einfach nur sehr still.

Ob das letztlich völlig frei von ihm und den sehr weitreichenden Wirkungen seiner Täterschaft oder gar eigener Täterschaft macht, wage ich arg zu bezweifeln – ein ganz kleiner Schritt dahin ist es aber vielleicht.

- - - - -

Du stellst also auf der einen Seite eine solche „Anforderung/Frage“.... auf der anderen Seite beklagst DU dich erneut, dass man dir hier nahe gelegt hat, deine Arbeit vielleicht besser aufzugeben (warum jetzt auch immer).

Nur mal angenommen, hier hätten 30 Leute dein Berufsverbot gefordert !

Das hier ist aber nur ein Forum, nicht dein Leben – es hat also real und TATsächlich null Einfluß oder ?

Und trotzdem haderst DU damit – und bringst es in deinen Beiträgen wieder aufs Tapet.

Viele Menschen, die Überlebenden, die Nachkommen der Hitlerzeit hadern noch bzw. haben ganz einfach mit den zahlreichen Verstrickungen und Verschiebungen der stattgefundenen TATSACHEN dieser Epoche zu kämpfen…von allen möglichen anderen Verstrickungen und Verschiebungen mal ganz zu schweigen !

Merkst du den Spagat, von dem, was du anderen hier ans „Herz“ legst, bzw. quasi forderst, aber selbst nicht im mindesten zu leisten im Stande bist - zumal es sich bei dir "nur" auf einer virtuellen Ebene abspielt, aber keine TATsächlichen Auswirkungen hat ?

Kannst du dir dann vielleicht auch erklären, warum deine „Konzepte“ angezweifelt werden !

Gruß
Nizuz
 
So viel Mitgefühl gibt es nicht.
Es gibt bloss Mitgefühl.
Wie kann man es zeigen? :)

Ja da hast du recht !

Manchmal ist so viel Raum, daß es einfach DA ist und manchmal eben nicht.

Und wie es sich zeigt ?

Ich weiß keine "einheitliche" Antwort.

jute Nacht auch !

:)
 
Liebe Alana,

eine Lösung ist eine Lösung, daher gibt es für mich an deiner Sichtweise rein nichts auszusetzen. Wo es keine Schuld gibt, braucht es ja auch keinen Umgang mit ihr.

Für mich bleibt sie dennoch als Phänomen bestehen und ich denke über den Umgang mit ihr deswegen nach, weil ich, genau wie du, nur Unterdrückung und Manipulation darin sehe, Schuld mit Verurteilung des ganzen Menschen und mit Negativausgleichen wie Sühne, einem schlechten Gewissen oder zum Beispiel dem moralischen Kunstgriff, Schuldige hätten alles Schlechte, was ihnen angetan wird oder widerfährt "verdient".

Täter und Opfer gibt es doch auch für dich, oder?
Ich plädiere angesichts der Tatsache, das Menschen Menschen Schaden zufügen und Beziehungen untereinander durch Verhalten oder Unterlassung belasten/zerstören dafür, dass sowohl Opfer als auch Täter das Geschehene, jeder auf seiner Seite in ihr Leben integrieren, es also annehmen. Und es scheint mir wichtig, beide als Menschen zu sehen, die jeweils viel mehr sind als nur ein Opfer oder nur ein Täter, und dass beiden grundsätzlich die Kraft gegeben ist, zu heilen und (unter anderem an schwerwiegenden Einschnitten in ihr Leben) zu wachsen.

Dass Dritte sich der Gewissenslast bemächtigen, sie gar hervorrufen wollen um sie für ihre Zwecke zu nutzen, da bin ich ganz bei dir, ist das, was wir weder annehmen, noch tragen sollten.
Die dafür eingesetzten Konzepte verhindern sogar m.E., dass ein Opfer oder ein Täter in ihre Verantwortung treten.

Da ich deine Sichtweise (noch) nicht nachvollziehen kann, eben wegen des Nicht-Umgangs mit dem was nicht ist, würde mich sehr interessieren, was aus deiner Sicht z.B. Moral, Gewissen, Regeln für zwischenmenschlichen Umgang und Bedeutung und Folgen von Verstößen/Verletzungen ausmacht, oder welche Begriffe und Grundsätze du bevorzugst.

Lieber Gruß,
Eva

Liebe Eva,

Moral an sich ist doch für jeden was anderes bzw. veränderlich, vom Zeitgeist abhängig und auch von der jeweiligen Kultur. Genauso die Ethik und, die Bedeutung von Folgen von Verstößen und Verletzungen (zumindest rechtlicher Art). Und dann gibt es noch diese eine Ethik, die , so denke ich, in jedem Menschen steckt, bei jedem gleich ist und manchmal tief vergraben ist. Und weil das so ist , spürt man wohl auch sein Gewissen, auch wenn man "moralisch" einwandfrei gehandelt hat.
Verstöße und Verletzungen möchte ich nicht mehr mit "Schuld" betiteln. Einfach deshalb, weil , wie wir wissen, auch Täter Opfer sind und Opfer zu Tätern werden können. Es sind einfach Handlungsweisen , die wir nicht verstehen können, die uns wehtun , und oft warten wir (lange und umsonst) darauf, daß der Täter/die Täterin das irgendwann doch erkennen müßte, wie verletzt wir wurden, weil sie es doch waren und weil sie "Schuld daran" sind. Wenn ich aber davon ausgehe, daß der Täter so gehandelt hat, weil er eben so IST - wie kann ich ihm dann irgendeine Schuld geben? Ich kann dann sehen, daß ich verletzt wurde, daß es niemals mehr ungeschehen gemacht werden kann, gleich ob der Täter erkennt was er getan hat oder nicht, daß es auch keine Wiedergutmachung dafür geben wird von ihm - und dann? Dann kann ich weitergehen. Ohne Schuldzuweisung für irgendjemanden.
Das konnte ich lange nicht, ich habe immer gehofft, daß einer der "Täter" in meinem Leben das auch sehen würde und dieses Erlösungswort sprechen würde: "ich habe dir sehr wehgetan". Doch das ist nie passiert. Und das hat mir gezeigt, daß da kein Bewußtsein war von Schuld im anderen, höchstens in mir, weil ich mich so fühlte - denn ohne Schuld, wie hätte mich jemand so verletzen wollen? Doch auch ich hatte keine Schuld, als Kind ohnehin nicht und später war ich eben so, wie ich halt bin .
Und wenn ich das für jeden gelten lassen kann, dann gibt es auf der inneren Ebene keine Schuldzuweisung mehr.
Ich denke ohnehin daß auf der seelischen Ebene Verletzungen und Verstöße gegen die innere Ethik sehr wohl bemerkt werden und auch ein Ausgleich dafür gesucht wird.

Liebe Grüsse, Alana
 
Vieles, was hier geschrieben wurde zum Thema Mitgefühl statt Sühne und Strafe, habe ich - anders formuliert - bereits an vielen anderen Orten angeregt. Schon, dass es nun einen Weg gibt, dem Raum zu geben durch andere hier!

Täter sind zwar Täter (und das muss auch gesehen werden) aber auch Opfer (die müssen noch mehr gesehen werden und wer sich an ihre Stelle stellt, der lenkt den Blick ab von ihnen) - zum Beispiel Opfer der Empörten allerorten, die meinen an Stelle anderer Opfer über sie richten zu dürfen. Daher kommt es leider, dass, wenn das Wort "Schuld" fällt, viele da hinein lesen: "hängt sie/ihn höher!". dabei habe ich zumindest dieses Wort nie so verwendet. ICh sprach oft von "Schuld(-igkeit)" im Sinne von jemandem einen Ausgleich schulden (der evtl. nicht mehr zu erbringen ist).

So auch leider das Missverständnis einiger meiner Beiträge in anderen Threads. Schade!

Interessant auch, wie hier im Forum versucht wird, mit denselben Moralmechanismen, Zugehörigkeit zu schaffen und auszuschließen - sogar ein Verbot zu arbeiten wurde in Bezug auf mich nahe gelegt und Zugehörigkeit am Grad der Unterstützung der Empörung gegen mich zu messen begonnen. Wir sind nicht frei von diesen Mechanismen.

Vielleicht ist es eine gute Anregung in diesem Zusammenhang: können wir auch Hitler schon einen Platz in unseren Herzen als ein Mensch wie wir selbst geben, der auch Täter war und auch erfasst wurde von etwas, das er möglicherweise nicht unter Kontrolle gehabt haben, ja das größer als er gewesen sein mag? Erst dann wären wir frei von ihm, denke ich. Und dann wären wir frei von den Tätern in uns selbst. Wer traut sich zu so viel Mitgefühl?

Ich gestehe: wenn ich Glatzköpfe in unserer Straße sehe, von denen ich befürchten muss, dass sie meine Frau verprügeln, weil sie für sie eine Fremde ist, dann muss ich daran noch arbeiten, an meinem Mitgefühl. Aber ich arbeite daran.

Leider habe ich momenan nicht die Zeit zu weiteren Ausführungen und bitte daher, sich einmal über die Funktion des persönlichen Gewissens und der "Moral" in Bezug auf das Regeln von Zugehörigkeit von Systemen sowie die gegenlaufenden Funktionen des systemischen Gewissens an geeigneter Stelle zu informieren. Ein sehr interessanter Bereich in Bezug auf Euer Thema hier!

So... ich muss wieder.
Ciao
A.

Hallo A.,

deinen letzten Absatz verstehe ich wirklich schlecht - was genau soll das heißen? Daß das Gewissen im Familiensystem oft ganz anders ist als das eigene Gewissen und daß einiges geschieht, das wir nicht verstehen können, weil das Systemische Gewissen eben stärker ist?

Ich habe das Buch gelesen über die letzen Tage im Bunker. Wo Hitler und seine engsten Gefolgsleute langsam sahen, daß sie verloren hatten. Wo sie immer noch nicht sehen konnten, was sie anderen schreckliches angetan hatten, sondern eher noch sich selbst leidtaten. Das ist nun schon lange her und mir fällt es schwerer, Mitgefühl mit den Mitläufern zu haben als mit ihm selbst - denn was wäre gewesen, man hätte ihn ausgelacht und seine Ideen nicht ernst genommen? Mir fällt das Mitgefühl mit dem Arzt, der Juden bei lebendigem Leib sezierte schwerer, denn er tat es ganz direkt. Mir fällt das Mitgefühl mit denen, die die Juden verhungern ließen, die Kinder vergasten und all die anderen Grausamkeiten selbst verrichteten, sehr schwer.
Aber ich arbeite dran, ich denke, jeder einzelne Mensch verdient auch Mitgefühl.
Ganz konkret sind es bei mir die Jäger, bei denen ich eher Wut empfinde als Mitgefühl, oder Menschen, die Kinder quälen und mißbrauchen.

Ich denke, du weißt, daß du manchmal provozierend wirkst und warum sich dann über Reaktionen wundern oder empören?

Liebe Grüsse, Alana
 
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So viel Mitgefühl gibt es nicht.
Es gibt bloss Mitgefühl.
Wie kann man es zeigen? :)


Hi Sayalla!

Mitgefühl zeigt man nicht, es zeigt sich von selbst, indem man mit seinen Mitmenschen unwillkürlich mitweint, mitlacht, sich mitempört usw.!
Das ist jedenfalls meine Erfahrung! Mitgefühl kann man auch nicht bewusst herbeiführen, genausowenig, wie man Primärgefühle selbst bestimmen kann. Man kann nur feststellen, dass sie da sind!
In einem Forum ist das natürlich schwer rüberzubringen.


Liebe Grüße

believe :)


Nachtrag: Mir fällt grade auf, dass man auch mitfühlt, wenn man bei einem Mitmenschen, der grade aggressiv ist - auch, wenn 's unbewusst ist - selber hochgeht! :D
 
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