pluto schrieb:
Hallo,
gestern kam in den Nachrichten, das der Bundeskanzler, wen weiß ich nicht mehr, um Verzeihung gebeten hat. Es ging um das Kriegsende vor 60 Jahren.
Nun habe ich mir überlegt, ob es sinnvoller gewesen wäre, er hätte gesagt, ja, wir haben den Krieg mit den zig Tausend Opfern verursacht. Wollen wir jetzt etwas Gutes daraus machen.
Hätte so eine Haltung nicht viel mehr Kraft, als das um Verzeihung bitten? Mir kommt es vor, als ob damit so getan wird, dass jeder tun und lassen kann wie er will, man braucht ja nachher nur den anderen um Verzeihung oder Vergebung zu bitten und damit sei alles ungeschehen und es wird wie gehabt fortgefahren.
Liebe Grüße pluto
Hallo Pluto,
interessantes Thema hast du da angeschnitten. Eigentlich sind es mehrere:
- Was hat es mit Schuld und Vergebung auf sich und wie funktioniert Gewissen?
- Kann Verzeihung funktionieren?
- Hat ein Täter einen Anspruch auf Vergebung?
- Ist Mord ausgleichbar, zumal industriell organisierter Massenmord?
- Kann man einen Schuld, die ein Vorfahr oder sonst ein anderer auf sich geladen hat, stellvertretend ausgleichen?
- Trifft die Schuld unserer Vorfahren zwangsläufig auch die Nachfahren bis ins siebente Glied?
- Was ist angesichts schwerer Schuld eine gemäße und Entwicklungsfördernde Haltung?
- Wie können wir das Schicksal der Opfer am Besten achten?
zu den einzelnen Punkten:
ad 1:
Wenn einer einem anderen etwas Schlimmes angetan hat, so hat das persönliche Gewissen ein Bedürfnis nach Ausgleich von Geben und Nehmen. Das Täter steht seinem Opfer in der Schuld. Diese zeigt sich in Form eines Gefühls von "schlechtem Gewissen". Allerdings ist dies nur der Fall, wenn beide dem gleichen System angehören und die Tat bzw. der mangelnde Ausgleich für den Täter den Ausschluss aus dem System bedeuten würde. Und hier kann man beobachten: was für das eine System als verbrecherisch gilt, das gilt für das andere als unbedingte Voraussetzung der Zugehörigkeit.
In einem Familiensystem einer norddeutschen Beamtenfamilie gilt etwas völlig anderes als Voraussetzung der Zugehörigkeit als in einer süditalienischen Mafiafamilie. Gewissen - zumindest das persönliche - geht immer einher mit dem was im jeweiligen System als gut und richtig bzw. schlecht und verwerflich gilt. Unser subjektives Gewissen zeigt uns als, ob wir noch im Rahmen des eigenen Systems sind oder vom Ausschluss bedroht. Sp kann es sein, dass ein Mord an einem Mitglied eines anderen (als "feindlich" definierten) Systems Voraussetzung ist, um die Zugehörigkeit zum eigenen System zu erhalten. Aus Sicht des Ermordeten und seines Systems sieht die Sache natürlich umgekehrt aus. Beide Systeme sind aus ihrer Sicht zwangsläufig im Recht.
Fast alle Kriege sind aus genau dieser Ebene des Gewissens entstanden. Jeder, der ein anderes Volk (oder eine Gruppe) überfällt, bekämpft oder gar vernichten will, fühlt sich aus seiner Sicht im Recht und ist es so gesehen auch. Er handelt "guten Gewissens". Insofern wird verständlich, wie es angehen konnte, dass die in Nürnberg verurteilten Nazi-Größen ebenso für "nicht schuldig" plädierten, wie sich sämtliche Deutsche, die während des III. Reiches begeistert "Heil" geschrien und sich aktiv beteiligt hatten, sich hinterher keiner Schuld bewusst waren und bis heute in diesem Glauben leben. Aus Sicht des persölcihen Gewissens handelten sie alle im "guten Gewissen" - ebenso übrigens, wie die slebsternannten Retter der Menschehit im guten Gewissen handeln, wenn sie Familienmaufsteller und Bert Hellinger verfolgen und ihnen die Arbeit verunmöghlichen und sie vernichten wollen (selbiges ist mir von Mitgliedern der von ihnen verfolgten Gruppe im Umkehrschluss noch nicht gekannt geworden).
Bedenklich ist vor den größeren Ebenen des Gewissens, die viel weiter reichen und wirken aber, wenn sich ein System dem anderen überlegen fühlt und im Recht. Das hat Folgen "bis ins siebte Glied" - systemische Verstrickungen. EIn Mord oder gar Massenmord ist - blicken wir auf die langfriastigen systemischen Folgen -unausgleichbar. Selbst durch den Tod nicht. Oft aber ist im System erst Frieden, wenn die Täter und die Opfer vereint im Tode sind. Der Tod macht alle gleich. Leider haben es manchmal die Nachfahren schwer, diesen Frieden zu nehmen und die Toten ihrem Schicksal zu überlassen und damit in Ruhe. Dann gibt es neue Konflikte.
ad 2:
Was bedeutet Vergebung bzw. Verzeihung? Sie bedeutet, das der, welcher einen Anspruch auf einen Ausgleich aus einem Schaden hat, den ein anderer ihm zugefügt hat, auf diesen verzichtet und zudem ihm sein Gefühl von Schuldigkeit abnehmen will. Verzeigung suggeriert, dass das Opfer die Macht hätte, in das Gewissen des Täters einzugreifen und es zu entlasten. Der Verzeihende erhebt sich über den Täter und will besser wissen als dessen Gewissen, was für ihn gut und richtig ist und will ihn der Folgen seiner Tat entheben. Dabei kann er sich besonders "gut" fühlen und überlegen. Insofern ist Verzeihen überheblich und anmaßend gegenüber dem Täter und achtet ihn nicht.
Verzeihen hat nach meiner Beobachtung zumindest - auch keinerlei Wirkung auf das Gewissen des anderen auf der Ebene des systemischen Gewissens, welches weiter reicht, als das individuelle und nicht persönlich spürbar ist. Opfer und Täter bleiben dennoch aneinander gebunden. Da sie aber diese Bindung leugnen - eine weitere Absicht des leichtfertigen Verzeihens - wirkt sie auf nachfolgende Generationen fort. So kommt es, dass Enkel für ihre Großeltern tragen und sühnen wollen.
Aus gutem Grund hat der Satz eines Opfers: "Ich werde dir das nie verzeihen." gegenüber dem Täter - wo es um Schweres geht, das nicht ausgleichbar ist für beide eine befreiende Wirkung. das OPfer mischt sich cniht in das Gewissen des Täters und seines Systems ein und wird dennoch frei von dem Anspruch, für den Täter einen Ausgleich zu schaffen (was eh nicht ginge)..
Nun läge der Umkehrschluss vielleicht nahe, dass Opfer den Tätern immer gram sein müssten und von ihnen ein Leben lang einen Ausgleich fordern. Aber das ist ein Irrtum. Man kann es an Überlebenden des Holocaustr sehen: jene, die diese schlimme Zeit hinter sich gelassen und die Schuld bei den Tätern gelassen haben und sich wieder auf das Leben ausgerichtet haben, die hatten noch oft ein gutes Leben hernach. Jene, die aber bis heute in Prozessen einen Ausgleich fordern, sind krank und unglücklich geworden. Das Opfer kann sich dem größeren Schicksal anvertrauen, indem auch der Täter aufgehoben ist und vor dem sie beide einander gleich sind. Und gemeinsam können sie sich - ohne Anklage - dem Schweren stellen und dem Schmerz über das was sie beide verbindet.
Bei lässlicheren, ausgleichbaren Schuldigkeiten allerdings MUSS das "Opfer" auf dem Ausgleich bestehen - ja ihn sogar qua Handlung herbei führen - und mitunter sogar selbst zum Täter dem Täter gegenüber werden (ein bisschen weniger als ihm angetan wurde), wenn sie weiter miteinander leben wollen - z.B. bei Paaren. da darf sich der Geschädigte nicht zu fein sein, auch zum Täter zu werden. Zwei Sünder haben es leichter miteinander. Versöhnung scheitert meist an den Opfern, die sich ihrer eigenen Täterenergie nicht stellen und auf dem hohen Opfer-Ross bleiben wollen.
To be continued.
Christoph