inspiriert durch den letzten Thread kam mir die Idee, mal die Verachtung genauer anzuschauen.
Hallo liebe Pluto,
ein interessantes Thema!
Meiner Beobachtung nach geht man in die Verachtung, wenn man sich verletzt fühlt. Man macht den Verursacher klein und hässlich um so den Schmerz zu mindern. Ob ein anderer Weg nicht versucht wird, oder ob er nicht möglich ist? Auf der Beziehungsebene entsteht ein Schaden. Man kann die Beziehung beenden, man kann Ausgleich einfordern, man kann ausgleichen, indem man selbst Schaden zufügt.
Verachtung ist ein Weg, diese drei Lösungsmöglichkeiten nicht anzuwenden und findet wohl dort Anwendung, wo sich der Verletzte abhängig fühlt oder ist. Nur nebenbei bemerkt: sich verletzt fühlen ist ein ganz und gar subjektiver Vorgang, der auch wesentlich von Erwartungen und Vorstellungen beeinflusst wird. Darum muss oft erst darüber verhandelt werden, ob eine Verletzung vom Verursacher als solche gesehen und bedauert werden kann. Letzerer müsste also ein Interesse und Mitgefühl zeigen und sich für die Erneuerung der Beziehung engagieren wollen und können.
Die Verachtung macht aber nicht nur den Gegner klein, sondern auch den eigenen Schmerz, die Beschädigung. Die Verletzung müsste aber ganz gefühlt werden, damit sie integriert werden kann. So wird das Ursprungsereignis zum Ungelösten und so zum systemisch wirksamen Faktor werden.
Es ist leicht vorstellbar, dass es zwischen Frauen und Männern sehr viele Verletzungen gab. Tendenziell waren Frauen im Patriarchat das abhängige, mit wenig Rechten und persönlichen Verfügungsmöglichkeiten ausgestattete Geschlecht. Und darüber hinaus: bist du erst mal schwanger oder hast die Verantwortung für Kinder, dann sitzt du in einer Falle und bist auf die Loyalität und Treue deines Mannes angewiesen. Das ist selbst heute noch so. Alleinerziehend zu sein ist das Armutsrisiko schlechthin und ohne gute männliche Unterstützung sind auch die Kinder gegenüber solchen aus intakten Familien benachteiligt.
Wie mag es da den Frauen in früheren Zeiten ergangen sein? Ich sehe reichtlich Anlässe für Bitterkeit und Verachtung.
Als Frau ist mir diese Perspektive näher, aber natürlich gibt und gab es auch für die Männer Gründe und Anlässe.
Wie oft sind Männer von Frauen benutzt worden, gerade in Zeiten , da diese sich persönlich nicht verwirklichen konnten? Wie viele Männer waren mit dem Ekel und der Abscheu von Frauen vor dem körperlichen, vor dem animalisch männlichen konfrontiert? Wie viele Männer haben Kukukskinder aufgezogen?
An dieser Stelle würde mich die Perspektive der Männer interessieren...
Du fragst auch nach Söhnen. Ja, Frauen haben als Mütter einen großen Einfluss. Wie reagieren sie, wenn ihr kleiner Junge zum Mann wird? Wie schauen sie ihren Sohn an, wenn sie in ihm die Züge seines Vaters erkennen?
Das Problem ist alt, sehr alt, und in vielen Systemen, auch deinem vielleicht, gibt es Schlimmes, das noch nicht versöhnt ist und sich vielleicht als Verachtung vor dem anderen Geschlecht erhalten hat.
......
Wieso wird nie in aufstellungen auf die Verachtung der Ehepartner gegeneinander eingegangen?
ich habe viel zu oft sehen müssen, dass diese ignoriert wurde.
......
DAS kannst du jetzt nicht ernst meinen. Aufstellungsarbeit hat so viel mit achten zu tun, dass sie schon allein deswegen von manchen abgelehnt wird.
Allerdings müsste ein Thema zwischen Ehepartnern auch tatsächlich für das Anliegen des Fokus relevant sein. Wenn es das ist, und dennoch übersehen wird, dann vielleicht, weil auch Aufstellungsleiter blinde Flecken, in dem Fall unerkannt eigene Verachtung, haben. Ja, sollten sie nicht haben, klar, aber ich gebe hier mal zu bedenken, dass sich jeder seinen Aufstellungsleiter sehr genau auswählt und die Anziehung oft genug darauf beruht, dass man dieselben blinden Flecken hat
.......
Was nützt es mir, mich mit meinen Eltern auszusöhnen, wenn das Verachtungsthema von Generation zu Generation weiter gegeben wird und nicht aufgelöst wird. Wozu brauche ich dann überhaupt eine Aufstellung?
Selbst wenn Männer weniger oft in FA zu sehen sind, müsste für die Frauen eine gute Lösung des themas erarbeitet werden, finde ich.
Nun: wenn es dir nicht gelingt, mit der Aussöhnung auch respektvoll als die Kleine ihrs bei ihnen zu lassen und in Liebe und Achtung frei zu sein, dann gibt es vielleicht tatsächlich noch ein viel älteres, weiterhin ungelöstes Ursprungsereignis, welches du dann in deinem eigenen Interesse und mit Achtsamkeit aufstellen und zu erlösen suchen kannst. Gerade mit einer FA und nur so sind nicht mehr bekannt Ereignisse über Generationen hinweg noch lösbar!
Ich finde nicht, dass für "die Frauen" eine gute Lösung des Themas erarbeitet wersen muss, sondern vielmehr, dass jede Frau für sich selbst viel tun kann, um ihre eigene und die ererbte Verachtung durch einen alternativen Umgang mit ihren Themen überflüssig zu machen.
Ich kann dich ja sehr gut verstehen. Als mir vor vielen Jahren in einer Aufstellungsgruppe ein Versöhnungsritual für Männer und Frauen vorgeschlagen wurde, war ich fast zu verbittert um darauf eingehen zu können. Warum sollten wir Frauen anfangen, wo die Männer doch so viel schlimmer waren und überdies noch schwach in der Gruppe vertreten. Mussten immer die Frauen...? Ich bin aber der Aufstellungsleiterin heute noch dankbar für diese Initiative, denn sie hat einen zwar immer wieder schwierigen, aber wunderschönen Weg aufgezeigt, wie Liebe und Wertschätzung in die Beziehung zwischen Männern und Frauen kommen kann. Heute sehe ich vor allem den Schmerz, wenn Menschen, gleich welchen Geschlechtes sich abfällig über das andere äußern. Männer und Frauen sind sich ebenbürtig, was die Fähigkeit und Bereitschaft angeht, sich gegenseitig was anzutun. Nur die Mittel unterscheiden sich etwas.
Mit dem Weg, die Versöhnung bei mir selbst und in mir zu suchen, hat sich die Welt sehr verändert
, denn ich sehe die Männer heute anders und kann mich allein an der Tatsache erfreuen, dass es sie gibt.
Kommt mir einer dumm, dann bin ich eher verwundert, kann mich gut abgrenzen und wehren wenn nötig und verarbeite unangenehme Begegnungen leicht und schnell, ohne mein gutes Bild vom Mann an sich zu verlieren. Im Gegenteil: ich kann in männlicher Feindseligkeit oder Herabwürdigung des Weiblichen sehr gut den tiefen Schmerz über den Verlust und das Fehlen von guter männlicher Selbstachtung erkennen.
Beide Geschlechter brauchen Heilung - für sich selbst und damit die Kinder in gute Geschlechteridentitäten kommen können.
Beste Grüße,
Eva