Das Milgram Experiment, oder: wie moralisch ist der Mensch

FIST

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Schalom Alechem

Das Milgram Experiment ist wohl eines der berühmtesten Experimente, was die Psychologie anbelangt - es ging beim Experiment darum, herauszufinden, wie stark Menschen auch gegen ihr Gewissen handeln, wenn ihr Handeln von einer Autoritätsperson befohlen wird.

Der Versuchsaufbau: Es wird vorgegeben, dass es sich um ein Experiment handelt, in dem man herausfinden will, ob mit Aussicht auf Bestrafung bei einer Negativen Leistung die Leistungsfähigkeit beim Lernen gesteigert werden kann. Dabei soll der Schüler eine Reihe von wortkombinationen Lernen, und der Lehrer ihn mit Strohmschlägen von 15 Volt afwährts bestrafen, fals der Schüler diese nicht Lernt. Zu diesem Zweck wird der Schüler auf einen Elektrischen Stuhl gebunden, der Lehrer ist mit dem Versuchsleiter in einem anderne Raum.

Natürlich ist der Elektrische Stuhl nur eine Atrappe und der Schüler ein Schauspieler der in den Versuch eingweiht worden ist, nur der "Lehrer" ist davon überzeugt, dass es sich wirklich um einen Elektrischen Stuhl handelt.
Der Schauspieler hat ein Standertreperoire, dass er bei jeder der angeblichen Spannung spielt, angefangen bei anzeichen von unbehagen, über Schmerzensschreie, über die Bitte, mit dem Versuch aufzuhören bis zur Ohnmacht.

Der Versuchsleiter hat zudem noch ein Standartrepertoire, mit dem er den Lehrer motivieren soll, den Versuch auch dann Vortzuführen, wenn der Lehrer Bedenken über das Experiment äussert, angefangen von: Fahren sie fort über: sie müssen weitermachen, sie haben keine ander Wahl.

Das Ergebniss war (40 Testpersonen)

vor 300 Volt hat keiner der 40 Testpersonen den Versuch abgebrochen
5 Personen haben bei 300 Volt abgebrochen
4 Personen bei 315 Volt
2 bei 330 Volt
1 bei 345 Volt
1 bei 360 Volt
1 bei 375 Volt
und 26 Personen haben bis zum Versuchabbruch durch den Versuchselter bei 450 Volt weitergemacht - und dass obwohl der Schüler eine Ohnmacht simuliert hat, und man annehmen konnte, dass der Schüler wohl Verletzungen von sich trug

Bei Modivikationen des Experiments gab es folgende Statistik

War der Lehrer vom Schüler Akustisch getrennt, haben 65% der Lehrer bis zum Ende weitergemacht, waren die reaktionen des Schülers Akustisch erfahrbar haben 62.5% bis zum Ende weitergemacht, bei Vorhandener Nähe (gleicher Raum) haben 40% bis zum Ende mit gemacht und bei Berührungsnähe (Körperkontakt, der Versuchsleiter bat den Lehrer einen der Gurte, die beim Schüler abgefallen sind wieder zu befestigen) haben 30% bis zum Ende weitergemacht.

Das Experiment wurde später noch in verschiedenen Modifikationen durchgeführt: die Bereitschaft weiterzumachen sank Rapide ab, wenn z.b. zwei Versuchsleiter vorhanden waren, die nicht gleicher Meinung waren, oder wenn es noch andere Nichtautoritätspersonen gab, die dem Versuchsleiter wiederpsrachen...

Wenn sich der Versuchsleiter nicht als Proffesor der Yale Universität ausgabe, sondern angab, für ein Priphates Unternehmen zu arbeiten sankt die Quote der Personen, die bis zum Ende mitmachten von 65% auf 48%

Liebe Grüsse

FIST
 
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Hi Fist :)

Obedience - Gehorsam gegenüber Autoritäten.

Dieses Experiment schockierte die Welt.
Wir haben im selben Atemzug über den Lagerleiter des KZ´s Treblinka, Franz Stangl, gesprochen und wie es dazu kommt, dass Menschen sich auf so einen "Job" einlassen.

Das Milgram-Experiment schockierte die Welt unter anderem nämlich auch deshalb, weil dabei herauskam, dass gewöhnliche amerikanische Staatsbürger - und somit kam heraus, dass so gut wie jeder Mensch dieser Welt - das Zeug in sich haben, um entweder ausführendes Organ bei solchen Folterungen wie beim Milgram-Experiment zu sein oder: der Schritt zum Lagerleiter ist dann kein großer mehr.

Hart, so etwas zu hören und zu erkennen. Eine erschreckende Erkenntnis, man verstummt und erstarrt - und doch ist es nicht von der Hand zu weisen.

Das Experiment kann man psychologisch zerpflücken bzw von mehreren Seiten beleuchten, wie es dazu kommt, dass das so ist.

Ein Teilaspekt ist, dass der Mensch immer bemüht ist, ein positives Selbstbild zu wahren. Das klingt jetzt grotesk, aber es spielt eine große Rolle.

Außerdem ist er bemüht konsistentes Verhalten an den Tag zu legen. Der Mensch möchte, dass sein Verhalten für ihn "logisch" ist, dass es schlüssig und kontinuierlich ist.

Bei diesem Experiment wurde ja nicht mit 450 Volt begonnen.
Sondern anfangs gab es ganz kleine, leichte Stromstösse.

Mit der Zeit wurde der Stärkegrad gesteigert - und da es immer noch im "aushaltbaren" Bereich war, und außerdem die Möglichkeit da war, das eigene Verhalten - nämlich die Ausführung der Anweisung der Versuchsleiter - extern zu rechtfertigen: es diente ja einem wissenschaftlichem Experiment - hatte also einen Sinn, wurde weitergemacht. Das im Nebenzimmer ein Mensch sich vor Schmerzen gewunden hat, mit dem Fuss gegen die Wand tritt und schreit, wurde ignoriert.

Ab einer gewissen Stromstärke mussten sich die Versuchspersonen natürlich fragen, was sie da eigentlich tun. Und hier beginnt nun der verhängnisvolle Teil: Eskalation ist ein Selbstläufer.
Um das eigene Bild halten zu können - nämlich ja "nur im Dienste der Wissenschaft zu handeln" - konnte die VP´s nicht mehr aufhören, sondern mussten weitermachen. Weitermachen bedeutete: Stromstärke erhöhen.

Und mit jedem Mal Stromstoß erhöhen wurde die Selbstverpflichtung immer größer, die "Not", selbst unter diesen Umständen das Bild zu erhalten.
Ein Abbruch bedeutet zu erkennen. Wie so oft im Leben ein sehr harter Vorgang - egal in welcher Lebenslage.

So kam und wird es immer wieder dazu kommen, dass Menschen so an die Grenzen gehen und über die Grenzen gehen.

Das ist unter anderem auch ein Grund, warum Menschen in unglücklichen Beziehungen, unaushaltbaren Jobs und was sich sonst noch so bietet, verharren.

Man kann also eigentlich nur den Ratschlag geben: was immer man auch tut: man sollte sich immer ganz genau fragen, ob man wirklich fest der Überzeugung ist, dass man das wirklich möchte.

Den jedes kleine "Ja" ist ein Schritt in Richtung Selbstverpflichtung. Nach außen ist es vielleicht nur ein Zugeständnis. Unbewusst kann es sehr viel mehr sein und ein Schritt in Richtung Eskalation. :)

Liebe Grüße,
Chimba
 
Schalom Chimba

Ein Teilaspekt ist, dass der Mensch immer bemüht ist, ein positives Selbstbild zu wahren. Das klingt jetzt grotesk, aber es spielt eine große Rolle.

das ist gar nicht so grotesk - wenn man mittem im Experiment abbricht gibt man damit zu verstehen, dass es ja gegen die eigenen Moralvorstellungen verstösst - gleichzeitig aber kommt dann er Gedanke: ich hab mitgemacht, ich hab selber gegen meine Moralvorstellungen verstossen, ich bin der Täter - Ironischerweise wird dadurch ein Abbruch immer schwieriger, je länger das Experiment vortgeschritten ist

Macht man aber bis zum Ende weiter kann man die Schuld auf die Autoritätsperson abwälzen (wie bei den Nürnberger Prozessen ja durchs Band geschehen: Man hat einen Befehl ausgeführt, es ist angeordnet worden, es kam von oben) und man kann damit seine Moralische Integrität vor sich selber aufrecht erhalten und hat zudem noch den Bonus: Pflichtbewusst

Liebe Grüsse

FIST
 
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Hi Fist :)

ja, genau:

Abgabe der Verantwortung, man war ja gehorsam bzw pflichtbewusst.

Das geht bis zur Verleugnung der Tatsachen.

Stangl zB trug im Lager einen schneeweißen Anzug.

Wie pervers eigentlich - aber ein Bild dessen, was wir hier besprechen:

"Ich wasche meine Hände in Unschuld".

Liebe Grüße,
Chimba
 
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