Hi Pluto!
Aus meinem Leben kenne ich auch solche erduldete Anpassung. Da gibt (gab) es dann in mir so Selbstgespräche, wie: Da darf ich mich nicht einmischen, da darf ich nichts tun, das muss ich aushalten, der andere weiß es eh besser als ich. Warum? Im eigenen Leben wurde von Eltern etc. gefordert, sich anzupassen, unterzuordnen. Später tut dies dann der Erwachsene, weil er es so gelernt hat. Da ist dann nichts mehr mit freier Willensentscheidung drin. Die gelernte Anpassung wieder aufzugeben erfordert harte und stete Arbeit an sich, viel Beobachtung und dann den Mut, Neues zu leben, anders zu handeln.
Du sprichst ja selber von gelernter Anpassung - das sehe ich als Status quo eines Stroms von Austauschprozessen zwischen Individuum und Kontext.
Unbewusste Anpassungen geschehen ja laufend, und ich seh das keineswegs nur negativ - eher im Gegenteil. Da haben wir im Unbewussten ja auch einen reichen Schatz an Wissen gespeichert, der uns weite Bereiche eines fraglosen Alltags ermöglicht. Hinterfragen und überprüfen lohnt sich erst dann, wenn Probleme auftauchen ... und kann ansonsten eher Probleme bedingen, siehe das berühmte Beispiel des Tausendfüßlers, wenn der nachzudenken und bewusst zu entscheiden beginnt, wie er seine Schritte setzt. Der ist unbewusst besser dran, und wir in vielem auch. Wo unbewusste Anpassung - vielleicht eher: Integration - stolpert, gibt es die Haus-6-Troubles.
Beim "Erdulden" von Anpassung sehe ich in der Formulierung, dass da schon ein hoher Grad des Bewusstseins beteiligt ist. Das wären eher die Haus-8-Themen, das Plutonische, die Auseinandersetzung um Macht und Ohnmacht der Leitbilder. Auf der bewussten Ebene erkenne und unterscheide ich, dass das, was von mir erwartet und gefordert wird, zwar nicht dem entspricht, was ich selbst gern möchte, aber ich füge mich. Ich treffe eine Entscheidung: Ich füge mich. Das ist mein aktiver Anteil daran: ich leiste keinen Widerstand. Etwas weiter formuliert: Anpassung sehe ich immer auch als einen Prozess des Austauschs, an dem ich durch eine Entscheidung beteiligt bin. Das ist dann für mich schon etwas anderes als ein rein passives Erdulden, das ist ein kalkuliertes oder auch zähneknirschendes Einverstandensein. Wobei solche Entscheidungen ja durchaus nachvollziehbar und vernünftig sein können - wenn etwa der Preis für die Durchsetzung der eigenen Vorstellungen so hoch wäre, dass die Anpassung als das geringere Übel gewählt wird.
Humberto Maturana, der als Erkenntnisbiologe etliche revolutionäre Sichtweisen in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht hat, bekennt ganz offen, dass er, als Allende von Pinochet gestürzt worden war, mit seiner Familie nur deshalb in Chile überleben konnte, weil er geheuchelt hat. Anpassung als Überlebensmittel, eine Entscheidung.
Schwierig wird es, wenn ich mich gleichzeitig moralisierend damit prügele, dass ich ja eigentlich hätte ... was weiß ich, zum Helden werden müssen, Rückgrat zeigen, für das Bessere kämpfen müssen, was auch immer. Damit kann ich mich dann ein Leben lang lustvoll quälen, in der Vorstellung, ja selber eigentlich der/die Bessere zu sein, nur die anderen lassen mich ja nicht... und da übersehe ich dann auch ganz leicht, dass die Beweggründe, die damals für meine Entscheidung gegolten haben, ja womöglich längst nicht mehr bestehen. Ich kann erkennen, dass ich ein "Es-ist-schwer-ein-pass-auf-dich-selbst-auf-Erwachsener-zu-sein" (Sheldon B. Kopp) bin. Dass ich meine früheren Entscheidungen sehen und nachvollziehen und würdigen - und hier und heute andere treffen kann, nach den Umständen die hier und heute maßgeblich sind.
Wenn ich das also als meine Geschichte von "Entscheidungen in Kontexten" betrachte und nicht als unentrinnbare Last, die mir aufgebürdet wurde - auch später, im Rückblick auf frühere Situationen, in denen ich diese Entscheidung getroffen habe, fällt es später leichter, diese Entscheidung zu überprüfen und nachzusehen, ob die Umstände, die damals für die Entscheidung gesprochen haben, immer noch gegeben sind. Dann kann ich leichter hergehen und neue Entscheidungen treffen, als wenn ich dabei bleibe, mich als Opfer von Repression etc. zu betrachten. Zugegeben, das ist oft eine hohe Hürde (und manchmal scheint es ganz leicht zu sein). Scheint mir auch ein wenig daran zu liegen, dass die Problemtrance scheinbar deutlich lukrativer zu leben ist als die Freiheit eigenverantwortlicher Lösungen. Und sicherlich auch an den individuell unterschiedlichen, auch im Horoskop nachvollziehbaren Umständen, die zu unterschiedlichen Entscheidungsmodellen und -erfahrungen führen. Kann im Einzelfall schwierig sein, keine Frage ... wäre aber vielleicht gerade jene kreative Anpassungsvariante, jener uranische Impuls zur plötzlichen, womöglich verrückt anderen Sichtweise, die befreit. Und wäre das keine lohnende Vision?
Wobei mir schon klar ist, dass wir hier in Schlagzeilen über sehr komplexe Dinge reden, die in Wirklichkeit sehr viel differenzierter und sorgfältiger behandelt gehörten und dass eine Forumsdiskussion auch wieder andere Sprachformen als etwa ein therapeutisches Gespräch verwendet...
Alles Liebe,
Jake