Das Thema ist zwar schon etwas älter ich würde aber gern noch mal etwas genauer darauf eingehen.
Angst
Dinge, die ein Problem oder eine Krise darstellen, sind mit dem zentralen Gefühl der Angst besetzt.
Angst ist eine natürliche biologische Funktion unseres Geistes und des gesamten Organismus. Sie ist eine Aktion und eine Reaktion auf vorgestellte oder tatsächliche Situationen, die vom Individuum als bedrohlich interpretiert werden. Sie ist für das Überleben unserer Art unverzichtbar gewesen und auch für heutige Menschen noch handlungsleitend. Sie wirkt meist unbewusst oder vorbewusst und vermittelt ein undeutliches Gefühl des Angetriebenseins und oft auch gleichzeitig ein Gefühl der Lähmung. Die Angst kann uns einerseits aktiv machen, andererseits kann sie uns auch blockieren. Der aktivierende positive Aspekt der Angst geht mit der Lähmung oder Blockade meist verloren. Die Ambivalenz, die vorliegt, wenn Angst gleichzeitig Aktivierung und Lähmung auslöst, wird als Enge oder Beklemmung wahrgenommen.
Angst ist nicht nur ein Warnsignal bei Gefahren, sondern enthält auch einen Aufforderungscharakter, ein Impuls, die Angst zu überwinden. Dies kann man gut an dem yin-yang Symbol erkennen (vielleicht einigen bekannt). Das eine ist im anderen enthalten und beide bedingen sich einander.
Wenn man sich der Angst bewusst stellt, sie annimmt und zu meistern versucht, lässt sie einen auch ein Stück reifen. Das Zurückweichen vor der Angst oder das Ausweichen vor ihr hemmt unsere Entwicklung und lässt uns stagnieren. Wir können versuchen, Gegenkräfte zu entwickeln: Mut, Einsicht, Erkenntnis, Macht, Vertrauen, Liebe, Erfahrung, Demut, Glaube, Hoffnung, Übung u.a.
Der Psychologe K.D.Sulz fasste mehrere Ausdrucksformen oder Teildefinitionen der Angst zusammen:
- Angst kann vegetative Fehlsteuerung und in der Folge körperliche Erkrankungen auslösen.
- Angst ist ein unangenehmes Gefühl, das von Ungewissheit und dem Verlust der Sicherheit begleitet ist.
- Angst ist ein Gefühl mit dem subjektiven Erleben von Furcht oder einem verwandten Gefühl wie Schreck, Bedrohung, Panik.
- Angst wird von wahrnehmbaren und messbaren körperlichen Reaktionen begleitet.
- Angst richtet sich auf die Zukunft, es besteht ein Gefühl der Bedrohung ohne Hoffnung auf deren Bewältigung.
- Angst ist dadurch gekennzeichnet, dass die Bedrohung zu der ausgelösten Gefühlsreaktion in keinem vernünftigen Verhältnis steht.
Formen der Angst
Der Psychoanalytiker Fritz Riemann hat 1964 in einer tiefen psychologischen Studie vier Grundformen der Angst vorgestellt. Riemann geht davon aus, dass es vier Grundformen der Angst gibt. Andere Ängste seien von diesem Grundformen direkt oder in Form von Zerrbildern abgeleitet. Er setzt als Axiome vier Lebensforderungen und leitet daraus zwei Ambivalenzpole ab, denen wir Menschen ausgesetzt seien. Aus diesen Forderungen ergeben sich laut Riemann die Grundformen der Angst.
1. Die Angst vor der Selbstwerdung
Diese Angst wird als Ungeborenheit in der Welt und Isolierung von der Welt erlebt:
Riemann: Ein Mensch strebt danach, ein einmaliges Individuum zu werden, eine unverwechselbare Person, die sich von der Masse der Menschen abhebt, es ist ein Streben nach Selbstbewusstheit und Individuation.
Damit ist die Angst verbunden ist, aus der Geborgenheit der Gemeinschaft ausgestoßen zu werden und Einsamkeit und Isolierung zu erleiden. Als Person könnten wir uns nur definieren, wenn wir Gemeinsamkeiten aufbauen, zu einer Familie, einem Volk, einer Gemeinschaft gehören, eine Sprache sprechen, ein Geschlecht haben und bei all dieser Breite in der Tiefe zugleich auch ein unverwechselbares Individuum werden.
2. Die Angst vor der Selbsthingabe
Diese Angst wird als Ich-Verlust und Abhängigkeit von der Welt erlebt:
Riemann: Menschen spüren den Wunsch, sich dem Leben und den Mitmenschen vertrauensvoll zu öffnen, sich auf das Nicht-Ich und das Fremde einzulassen. Dies ist im weitesten Sinn die Hingabe an die Welt und an das Leben gemeint. Damit verbunden ist die Angst, das eigene Ich zu verlieren, ausgeliefert zu sein, missbraucht zu werden und in Abhängigkeit zu geraten. Eine Rolle spielt aber auch die Angst des Menschen, ob er seinen Eigensinn angemessen leben kann oder sich für andere aufopfern muss. Wenn der Mensch sich dem Aufforderungscharakter dieser Angst nicht stellt und Ohnmacht spürt, kann er sich dem Leben nicht wirklich zuwenden und bleibt ein isoliertes Einzelwesen ohne Bindung und Zugehörigkeit, ohne Tradition und Wurzeln.
Die paradoxe Zumutung in der o.g. Forderung und ihrer komplementären Angst besteht darin, dass der Mensch einerseits seine Selbstbewahrung und Selbstverwirklichung, andererseits aber auch die Selbsthingabe und Selbstvergessenheit leben soll. Gleichzeitig soll er die Angst vor der Ich-Aufgabe und vor der Ich-Werdung überwinden.
3. Die Angst vor der Wandlung
Diese Angst wird als Vergänglichkeit und Unsicherheit einer zufälligen Welt erlebt:
Riemann: Als Menschen streben wir Verlässlichkeit und Dauer an. Wir rechnen mit Bleibendem und planen für die Zukunft, als würden wir unbegrenzt leben. Wären wir uns der Vergänglichkeit unseres Lebens und unserer Taten bewusst und würden auf die Illusion des Dauerhaften verzichten, könnten wir nur wenig schaffen oder verwirklichen: Alles Geschaffene muss in unserer Vorstellung Dauer und Beständigkeit haben. Sonst brauchten wir nicht anzufangen, unsere Ziele zu verwirklichen.
Gleichzeitig wissen wir aber sehr genau, dass unser Leben begrenzt ist und jeden Moment enden kann. Symbol der Vergänglichkeit ist unser bevorstehender Tod. Es ist paradox, der Lebensforderung nach Zukunft und Planung, nach Sinn und Beständigkeit ausgesetzt zu sein und gleichzeitig mit dem Wissen um Vergänglichkeit, Zufall und Irrationalität des Schicksals konfrontiert zu sein. Dies ist die komplementäre Angst zur Forderung nach Dauer und Verlässigkeit. Es ist die Angst vor dem Wagnis des Neuen, vor dem Planen für eine ungewisse Zukunft, davor, sich dem Fließen des Lebens zu überlassen, sich höheren Wirklichkeiten und Bestimmungen anzuvetrauen und doch jeden Tag seine eigenen kleinen Ziele zu verwirklichen.
4. Die Angst vor der Notwendigkeit
Diese Angst wird als Endgültigkeit und Unfreiheit in dieser Welt erlebt:
Riemann: Schließlich sind wir der Forderung ausgesetzt, auf Veränderungen in der Welt einzugehen. Wir sollen bereit sein, uns zu wandeln, Vertrautes aufzugeben, Menschen, Orte oder Traditionen hinter uns zu lassen, wenn der Weltgeist uns weiten und Stuf' um Stuf'; uns heben will ( wie in dem Gedicht Stufen von H.Hesse).
Vieles können wir nur als Durchgang erleben: Gerade Erreichtes müssen wir wieder hinter uns lassen, uns lösen und Abschied nehmen. Dieser Forderung, uns zu öffnen und immer wieder Neues zu wagen, nicht stehen zu bleiben oder zu haften, ist die Angst gegenübergestellt, festgehalten zu sein: durch unsere Vergangenheit, durch Notwendigkeit und Regeln, durch Verpflichtungen, Gesetze oder Bräuche. Unser Freiheitsdrang und unsere Verwirklichung sind durch Beständigkeit behindert. Wir fürchten, das Dagewesene eintönig jeden Tag wiederholen zu müssen, während der Wandel der Zeit uns überholt und uns in Vergangenheit und Vergessenheit geraten lässt. Der Tod hat in dieser Angstform das Bild der entgültigen und unbeweglichen Erstarrung.
Auch hier wieder eine paradoxe Forderung: Gleichzeitig sollen wir nach Dauer und Wandlung streben und sind dabei den Ängsten vor der unvermeidlichen Vergänglichkeit und der unausweichlichen Notwendigkeit ausgeliefert.
Grundformen der Angst