Ziviler Ungehorsam - was darf (Klima-)Aktivismus?

Das ist wohl ein Teil des Problems, denn im Wettstreit der Erzählungen haben die Klimaaktivisten schon verloren. Die Geschichte, die sie anzubieten haben lautet: ihr habt mindestens die letzten 50 Jahre wider besseren Wissens alles falsch gemacht und nun müssen wir unsere seit Generationen gewohnte Art zu Leben schnell und radikal verändern, damit die Zukunft nur schrecklich wird, und nicht grauenhaft.

Auf der anderen Seite stehen Wirtschaftslobby und Populisten, die uns etwas ganz anderes erzählen. Macht weiter wie gewohnt, wir haben alles im Griff und regeln das Problem für euch. Hier ein grünes Phantasielogo draufgedruckt, dort ein Klick zur vermeintlichen CO2-Kompensation. Wenn ihr was für die Umwelt tun wollt, dann kauft noch mehr neue SUVs, denn die fahren jetzt elektrisch! Je größer und schwerer, um so besser fürs Klima.
Überhaupt sind all die großen Konzerne und Industrieunternehmen inzwischen ja schon so ökologisch, sozial verantwortlich und nachhaltig unterwegs, dass mehr Konsum praktisch aktiven Umweltschutz bedeutet. Warum der CO2-Ausstoß weiter steigt, statt zu sinken, wissen wir auch nicht. Villeicht wird immer noch zu wenig konsumiert, eventuell sind die Elektro-SUVs noch zu klein. Es könnte aber auch an all den verwöhnten Klimaklebern liegen, die ständig kreuz und quer durch die Welt jetten.

Die zweite Erzählung ist zwar augenscheinlich völlig absurd, hat aber offenbar deutlich mehr Charme, als die erste. Anders kann ich mir die künstliche Erregung über die eine oder andere Protestaktion nicht erklären.

Es ist ein wenig komplexer. Die zweite Erzählung ist nicht völlig absurd, sondern hat tatsächlich einen kleinen wahren Kern: Die Industrienationen sind nicht vollkommen tatenlos. Was sie schon tun, reicht nur bei weitem noch nicht aus, um die Erderwärmung auf unter 2° zu begrenzen - vom 1,5°-Ziel ganz zu schweigen.
Das bisschen, was getan wird, kann aber denke ich durchau schon bemerkt bzw. honoriert werden.

Das erste Narrativ - das der Klima-Aktivisten - ist zwar richtig, aber hat, wie Du richtig schreibst, deutlich weniger Charme, eben weil es uns allen u.U. viel Mühe abverlangen könnte - Mühe und Mehrkosten, die nur wenige tragen wollen oder gar auch können.

Tatsächlich wurde der Begriff des individuellen CO2-Fußabdrucks von BP erfunden. Damit haben sie klammheimlich die Verantwortung für den Treibhausgas-Ausstoß auf den Endverbraucher verlagert, anstelle die eigene Verantwortung des Angebots zu überdenken und evtl. früher intensiver alternative klimafreundliche(re) Alternativen der Mobilität zu schaffen und anzubieten.

So haben wir jetzt eine Reihe von Menschen, die missmutig vor den CO2-Rechnern sitzen und überlegen, wie und wo sie ihren eigenen CO2-Fußabdruck noch verringern können, und die mit dem Zeigefinger auf alle zeigen, die dann noch Klimasünde XYZ begehen, eine andere größere Reihe von Menschen, die auch nahcvollziehbar erklären können, warum sie Klimasünde XYZ begehen, und dann am extremen Ende noch ein paar Vollhonks, die sich in der sozialistischen deindustrialisierten Öko-Diktatur wähnen, wenn jemand physikalisch nachvollziehbar und fachlich korrekt erklärt, wie der Treibhauseffekt funktioniert.

Realistisch betrachtet werden wir das Problem so nicht lösen können. Wir werden die Mehrheit der Menschen nicht dazu bringen können, diese Mühen und den großen Verzicht bei der bestehenden Infrastruktur auf sich zu nehmen, weil so einige es schlicht nicht können oder es wirklich schwierig ist. Was glaubst Du wieviele Menschen man z.B. dazu bewegen kann, auf das eigene Auto zu verzichten... bei aktuellem Zustand des ÖPNV, Tarif-Dschungel etc. und dem Zustand der Radfahr-Möglichkeiten in Autofreundlichen Städten?

Realistischer ist da, denke ich zumindest, die Forderung an Politik, Wirtschaft etc. ein klimafreundliches Leben einfacher zu machen. Zugegeben: Damit versuche ich den Charme der zweiten Erzählung mit der ersten Erzählung zu verbinden... aber ich glaube anders werden wir dem Ziel sicher nicht näher kommen.

Das eigentlich traurige ist doch, dass es nicht wenige Menschen für nötig halten, zum Mittel des zivilen Ungehorsams greifen zu müssen, um auf mangelndes Tempo beim Klimaschutz aufmerksam zu machen.

Ja, bzw. dass alle sich jetzt darüber unterhalten, wie die Aktivisten am besten/härtesten bestraft gehören, und nicht darüber, wie eben tatsächlich der Klimaschutz beschleunigt werden kann.

Dabei geht es hier wahrscheinlich um die größte Bedrohung, der die Menschheit je ausgesetzt war.

Es geht die größte langfristige und menschengemachte Bedrohung der Menschheit. Wobei ich gar nicht mal glaube, dass das Bestehen der Menschheit groß in Gefahr ist... nur eben die Umstände, der sich die Menschen dann ausgesetzt sehen werden. Un in einer Zukunft, in der ganze Regionen unbewohnbar werden, weil es da schlicht zu schwül-warm sein wird, in der der Nahrungsmittel-Anbau schwieriger und knapper wird etc... das kann sehr unbequem und dystopisch werden.

Kürzerfristig und tatsächlich mit dem realistischen Potential, die Menschhheit komplett auszulöschen, sei der Atomkrieg als Bedrohung genannt. Aber das ist eine Bedrohung, die eben plötzlich eintreten kann, aber nichts, was unausweichlich sich langsam entwickelt, wie es der Klimawandel tut.

Was ebenfalls die Menschheit komplett auslöschen könnte, wäre ein Einschlag eines ausreichend großen Asteroiden auf der Erde. Für die nächsten mindestens 100 Jahre sind wir aber soweit ich weiß dagegen weitegehnd safe, und es wird dran geforscht, was wir ggf. dann tun können, wenn wir mal einen Asteroiden entdecken sollte, der uns derartig bedroht.
 
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Das liegt aber nicht an den Youngsters, sondern eher an den Ignoranten, die nichts kapieren...
Natürlich. Wenn der Bauer nicht schwimmen kann, liegt es an der Badehose. Aber auf keinen Fall daran, dass die Art und Weise des Protest schlicht falsch ist. War schon immer der richtige Weg, wenn einzelne entscheiden, was moralisch vertretbar ist und was nicht. Ziviler Ungehorsam, ziviler Widerstand, moralische Verpflichtung etc pp, sind die gleichen Vokabel die auch von Querdenker, Spaziergänger und Demonstranten vor Flüchtlingsheimen benutzt werden. Und schlussendlich auch dann von den Autofahrern, die irgendwann zwangsläufig anfangen werden die Sache in die eigene Hand zu nehmen.

Wenn der Staat seine Verpflichtung nicht erfüllt dafür zu sorgen, dass unbescholtene Autofahrer genötigt und erpresst werden, dann "müssen" dass die Betroffenen selber machen. Das ist schließlich gutes Bürgerrecht. Und der Zweck heiligt die Mittel.

Ziviler Ungehorsam ist ja quasi keine Straftat. Also nicht wenn es ums Klima geht. Oder wenn es Menschen unter 30 machen. Eigentlich egal, hauptsache keine Rechten und es muss das richtige Thema sein...
Also moralisch vertretbar..

Weil Moral schon immer ein guter Ratgeber war.


WENN man auf der Seite der Moral bestimmenden ist... Also fast immer, nur häufig sehr alleine..
 
War schon immer der richtige Weg, wenn einzelne entscheiden, was moralisch vertretbar ist und was nicht. Ziviler Ungehorsam, ziviler Widerstand, moralische Verpflichtung etc pp, sind die gleichen Vokabel die auch von Querdenker, Spaziergänger und Demonstranten vor Flüchtlingsheimen benutzt werden.

Ja, auch diese Menschen, deren Position ich nicht teile - sogar stark missbillige - haben diese Vokabeln benutzt.

Daneben aber auch so manche Streiks und diverse andere Aktionen, die mittlerweile historisch positiv bewertet werden - mindestens positiver, als sie damals bewertet wurden.

Wir sind uns wohl darin einig, dass es sich hier um Straftaten handelt. Nur eben in der gefühlsmäßigen "moralischen" Bewertung scheiden sich die Geister...

Ich musste gerade an eine andere ideologisch wahrscheinlich neutrale Straftat denken:
Vor ein paar Jahren hat mal irgendein Unbekannter es geschafft, in einem Hamburger S-Bahn-Wagon eine Tür zuzumauern. Eindeutig eine Straftat und Sachbeschädigung - es hat den HVV einen fünfstelligen Betrag gekostet, die Mauer zu entfernen und die Tür wieder ansehnlich zu machen etc. Ich habe jetzt nicht den Fall verfolgt, ob der Täter geschnappt worden ist oder nicht... aber ich stelle mir gerade vor, ich wäre der Richter. Natürlich wäre ich bemüht, das Urteil der Tat und Schuld angemessen zu fällen... aber ich käme hier glaube ich stark in Versuchung, dem Angeklagten zumindest für Kreativität kurz auf die Schulter zu klopfen. Diese Versuchung wiederum wäre schlecht, weil dadurch auch unbewusst mein Urteil verfälscht werden könnte...

Wie geht es Dir, wenn Du von diesem Fall liest? Denkst Du nur an die Straftat, oder kommst auch Du nicht umhin zumindest einmal kurz zu grinsen...?
 
Da geht ja Frankreich vorran, indem es die Kurzstrecken-Flüge streicht, deren entsprechende Bahnverbindung gut genug ist.

Sehr gut. Das mit Frankreich wusste ich nicht. Hier sollten andere Länder nachziehen.

Auch Firmen und Konzerne...
Meetings und Schulungen müssen nicht immer vor Ort sein. Gerade Corona hat uns gezeigt, was online alles möglich ist. Man braucht dafür nicht zwingend einen Flieger besteigen.
 
Sehr gut. Das mit Frankreich wusste ich nicht. Hier sollten andere Länder nachziehen.

Auch Firmen und Konzerne...
Meetings und Schulungen müssen nicht immer vor Ort sein. Gerade Corona hat uns gezeigt, was online alles möglich ist. Man braucht dafür nicht zwingend einen Flieger besteigen.

Genaueres kann man hier nachlesen:


Ich weiß abernicht, wie stark/konkret das schon umgesetzt ist.

Hier mal ein Bericht darüber, was ein Tempolimit in Deutschland an CO2-Einsparungen bringen könnte:
Im Vergleich dazu: Wenn man in D alle Inlandsflüge streichen würde, würde das pro Jahr 2 Mt CO2-einsparen.

Im Vergleich zu den ungefähr knapp 170 Mt CO2, die der ganze Verkehrssektor in D pro Jahr ausstößt bzw. den mehr als 750 Mt CO2, die Verkehr, Industrie, Energiesektor... also alles so... pro Jahr ausstoßen, wirkt das wenig. Für sich alleine würden solche Klimaschutzmaßnahmen also nichts bringen, wenn sie alleine bleiben. Die Wirkung könnte sich nur um Verbund mit anderen Maßnahmen entfalten.
 
Es tun hauptsächlich deswegen nicht alle, weil viele es schlicht nicht können. Wer auf dem Land lebt - z.B. auf einem Dorf, mit nicht guter ÖFFI-Anbindung - wird nicht auf das eigene Auto verzichten können. Wer nur wenig Einkommen hat, wird sich nicht leisten können, beim Einkaufen auf Herkunft und Herstellung der Produkte zu achten, sondern kann nur nach dem Preis gehen etc.

Wie ich immer schreibe: Um die Mehrheit der Menschen dazu zu bewegen, klima- und umweltfreundlich zu leben, muss das auch wirklich einfach und günstig möglich gemacht werden. Ansonsten haben wir ein paar tendenziel mehr gut-situierte Leute, die eben ihren tollen Klimaschutz "vorleben"... der Rest, die große Mehrheit, kann es aber einfach nicht.
Wie so viele Sachen lässt sich dies nicht einfach lösen das wir in einer modernen Gesellschaft leben .
Ich bin weder Veganer noch setze ich mich für die Umwelt ein da ich meien Energie an anderer Stelle brauche .
Ich finde es für die heutige Zeit aber bemerkenswert das sich grade junge Menschen für so einen Sache einsetzen und bereit sind Grenzen zu überschreiten .
Grenzen und Gesetze die sie nicht gemacht haben , von Politikern die sie nicht gewählt haben .
In vielen Angelegenheiten sind Kinder oder Junge Menschen insgesamt fortschrittlich .
Ich muss dir recht geben das die Umsetzung schwierig ist .
Ich sehe aber auch das es viele gar nicht oder nur wenig interessiert und glaube wir werde dort nicht wirklich wünschenswerte Ergebnisse erzielen .
 
Weniger oder gar kein Fleisch konsumieren, geplante Obsoleszenz und den damit verbundenen unnötigen Transport politisch eindämmen
Eine vegane oder vegetarische Lebensweise steht aber nicht gleich für Nachhaltigkeit. Wenn man bedenkt, welch Wegstrecke für das ein oder andere pflanzliche Produkt zurück gelegt werden muss.

Städte umplanen, indem man sie für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen attraktiver macht, was auch ein Mehr an Lebensqualität nach sich ziehen würde, .

Das wird doch bereits getan. Zumindest in Wien - sehr viele Radwege, die hier in den letzten Jahren dazu gekommen sind. Und das ganz ohne Zutun der Klimakleber.

Berlin habe ich mal mittels Rad erkundet. War erstaunt, wie toll das ging.
 

Das schlimme ist: Mittlerweile könnte ich mir vorstellen, dass es Verschwörungs-Erzähler gibt, die das wirklich so glauben und denken.

Immerhin dichten sie jetzt die gute Idee der 15-Minuten-Stadt - also das Stadtplanungsvorhabn, dass jeder Einwohner mit Fahrrad und Öffies alles wichtige innerhalb von 15 Minuten erreichen können soll - zum Verschwörungsmythos um, dass die Regierungen uns in 15-Minuten-Bezirke einsperren wollte...
 
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