Gibt es noch weitere Motive?
Eine weitere Rolle spielen Vorbilder. Führen die Kinder eine Handlung durch, die sie in irgendeiner Form mal gesehen haben? Das sind Taten, die nach einem Vorbild begangen werden. Und was extrem selten ist, aber trotzdem vorkommt: Junge Täter wollen wissen, wie es ist, wenn jemand stirbt.
Gibt es unter kindlichen Tätern bestimmte Parallelen?
Es gibt die sogenannten Delinquenz-Karrieren oder Kriminalitäts-Karrieren. Und da gibt es eine Gewaltspirale, die beginnt mit dem Diebstahl, dann kommt der Einbruch, dann Raub, dann der Überfall auf Menschen. Und zum Schluss steht oft die Gewalttat, die Tötungsdelikte, Mord oder Totschlag. Das ist eine kriminelle Karriere, die früh beginnt.
Gilt das auch für Taten aus dem Affekt heraus?
Das ist ein anderer Typ. Solche Affekttaten entstehen immer aus einer riesigen Spannung zwischen Täter und Opfer. Am Endpunkt steht ein schweres Delikt. Der Täter war vorher völlig unauffällig, er hat keine Straftaten begangen und auch nach dem Tötungsdelikt nicht mehr. Das sind Dinge, die aus einer Situation heraus entstehen, nach einer langen Eskalation zwischen Täter und Opfer. So was kann auch im Kindesalter passieren. In meinem Buch schreibe ich auch über so einen Fall. Ein Junge bringt seinen Vater um, von dem er jahrelang gedemütigt und geschlagen wurde. Irgendwann kommt es zu einer Auseinandersetzung, die zwar nicht unbedingt intendiert, aber zum Tod des Vaters führt.
Junge Menschen töten eher aus Situationen heraus. Bei dem Fall in Freudenberg waren zwei Täterinnen beteiligt – ändert das etwas?
Da kommen wir zum Thema Gruppendynamik – sie waren zwar nur zu zweit, aber auch das ist schon eine kleine Gruppe. Solche Delikte zeichnen sich dadurch aus, dass die Personen die Tat entweder miteinander vereinbart haben oder dass sie der Meinung sind, sie müssen jeweils beteiligt sein. Bei mehreren Tätern entsteht ein Gruppendruck, das kann auch schon bei zweien passieren.
Bei Gruppendelikten kommt es häufiger zu Todesfällen. Woran liegt das?
Mehrere Täter können sich gegenseitig motivieren oder ein Zugehörigkeitsgefühl schaffen. Es gibt Gruppen, die sich bestimmte Regeln geben – vor allem unter Jugendlichen und Heranwachsenden. Eine Person ist dann der Anführer, der bestimmt, was oder wie etwas gemacht wird. Die anderen folgen. In solchen Gruppen werden dann auch professionell Straftaten begangen.