Einerseits ist es ja durchaus Strategie, die Menschen zu vereinzeln, sie in Angst zu versetzen (vor Jobverlust, vor einem ominösen
Terror, vor bulgarischen Einbrecherbanden, bitte fortsetzen...), damit sie sich in kleine Konsumenten verwandeln - von Bürgern habe ich früher öfter reden hören -, die sich ihre Ersatzbefriedigungen durch amazon & Co liefern lassen und in ihrem kuscheligen Nest dem süßem Kitzel der Angstlust frönen, andererseits glaube ich, daß viele der oben beschriebenen Absonderlichkeiten aus einem Verlust des Körpers entstehen.
Menschen gewöhnen sich zunehmend an die Virtualität, an die Oberfläche, die man hinhalten kann, ohne dafür Konsequenzen tragen zu müssen. Die Fähigkeit, sich eins zu eins mit Menschen auseinanderzusetzen, geht dadurch manchmal verloren. Merkt man oft im öffentlichen Raum, ein direkt erwiderter Blick in der U-Bahn ist ja schon fast wie ein Sonnenstrahl. Ich erinnere mich, wie öffentliche Verkehrsmittel summten und brummten, weil man sich unterhielt - manchmal auch nicht schön, ich weiß -, doch heute signalisiert die Körpersprache vieler Fahrgäste "Ich bin gar nicht da".
Ich stamme ja aus dem Ruhrgebiet, und obwohl es heute zur Folklore verkommen ist, existiert dort in Ansätzen immer noch eine Mentalität der Solidarität, des einander Helfens, die ursprünglich aus Körperlichkeit entspringt. Die harte Arbeit, die lebensgefährliche Arbeit der Schwerindustrie, wo man auf seinen Nebenmann achtete und ihn mit beschützte, sowas prägt auch das restliche Leben, eine Mentalität die auch in anderen Industrien existiert(e).
Heute ist auch die Arbeit in vielen Bereichen entkörperlicht. Bürohengste und -stuten, die viel zu selten einmal über die Weide galoppieren, sondern zwanghaft hinter Bildschirmen sitzen müssen. Sie bewegen ihre immer massigeren Körper in immer größeren Autos und kaufen immer größere Fernseher. Sie haben immer größere Egos, sind aber immer weniger glücklich. Und wehtun darf auch nichts mehr, man schreit bei jeder Gelegenheit "Trigger-Warnung", nutzt aber die virtuelle Maske, um die dunkle Seite und das eigene Unwohlsein anonym an anderen auszulassen.
Ist natürlich nur ein Teilbereich, gerade das Internet bietet unvergleichliche Möglichkeiten, eine Mischung aus Darkroom, Beichtstuhl und Selbsthilfegruppe, und natürlich ist das echte Leben nicht so schlimm, wie es hier (von mir) dargestellt wird, doch ich bin ziemlich davon überzeugt, daß der zunehmende Verlust von echter Körperlichkeit - die ja auch fast nur noch als Oberfläche geschätzt ist, die nicht mehr schwitzen und glänzen darf, und an jeder unmöglichen Stelle enthaart wird -, ein echtes Problem ist, das viele der angesprochenen Symptome begründet.
Der Bauch ist unser wichtigstes Organ, oder vielleich eher das Sonnengeflecht, das bestimmt nicht zufällig einen so hübschen Namen trägt und gleich am Herzen sitzt.
Der Kopf ist eigentlich ein Idiot.