Lieber Merlin, dass Jesus den Tempelfrieden nicht gestört haben soll glaube ich nicht gesagt zu haben. Natürlich hat Jesus durch sein Tun - Umwerfen der Tische und Vertreiben der Hänler vermutlich ein heilloses Durcheinander angerichtet. So hätte es sicherlich ein Mensch als Beobachter gesehen.
Zum Ausdruck bringen will ich doch, dass Jesus in seiner Hellsichtigkeit all die niederen Wesen gesehen hat, die je mehr vom Tempel Besitz ergriffen, je mehr Lug und Betrug hier Einzug hielt.
Nach damaligem jüdischem Recht hat Jesus sicherlich falsch gehandelt, aber NUR weil die Priester eben Gesetze erlassen haben, die sie nie hätten erlassen dürfen! Die Priester wurden von Gott auserkoren, um den Mitmenschen die Thora darzulegen und diese wiederum sollten sie ernähren. Nie war die Rede davon das die Priesterschaft zu herrschenden Klasse werden solle und der Hohepriester auf Kosten der Allgemeinheit ein Riesenpalast besitzen sollte.
Jesus hatte diese Dinge dem Volk unverblümt dargelegt, was die meisten Priester, vor allem aber den Hohenpriester rasend vor Wut machte - denn er wusste wie Recht Jesus hatte. Längst schon hatte er Büttel ausgesandt, um Jesus töten zu lassen.
lg
Syrius
Lieber Syrius,
es gab um die Zeitenwende viele Sekten im Judentum, die sich zum Teil auch deutlich abgrenzten, ohne verfolgt zu werden. So sahen zum Beispiel die Essener selbst die orthodoxen Juden als Unreine, mit denen man nichts zu tun haben wollten.
Die Pharisäer wurden von den Sadduzäern ja auch nicht verfolgt, nur weil sie eine andere Auffassung vertraten. So war es bei Johannes der Täufer ja auch nicht das Evangelium vom Reich Gottes, das ihm zum Verhängnis wurde. Auch Bar-Kochba wurde als ein Messias verehrt, ohne dass es für ihn vonseiten der Priesterschaft von Folgen war.
Was war also bei Jesus anders, als bei all den anderen Messiassen jener Zeit? Es war die Art und Weise, wie er vorgegangen war. Als gläubiger Jude hatte er doch gewusst, was die Worte vom Abriss des Tempels für ihn zur Folge haben wird und dazu passt dann auch sein Auftritt im Tempel. Dabei spielt dann doch keine Rolle, wie er es gemeint haben könnte – sondern wie es bei den anderen Gläubigen angekommen war.
Wie man in den Evangelien unschwer erkennen kann, hatte er kein Näpfchen ausgelassen, in das man treten kann, um letztendlich am Kreuz zu landen. Selbst in Gethsemani bestand noch die Möglichkeit, über den Jordan nach Peräa zu flüchten: Nein, er tat es nicht.
Für Jesus wäre es sicherlich ein Schlag ins Gesicht, wenn er mit seinem Opfer die Schuld auf einen anderen geladen hätte. Nicht durch die Gesetze laden wir Schuld auf uns, sondern durch unser Tun.
Die Anhängerschaft Jesus war eine Minderheit der Juden, was man unschwer an der späteren Entwicklung der Judenchristen einerseits und anderseits der Pharisäer in das spätere Rabbinertum erkennen kann.
Die Priesterschaft wohnte übrigens nicht in der Tempelanlage und nach jüdischem Verständnis wohnte im Tempel als solcher nur Gott. Lediglich am nördlichen Rand der Tempelanlage war die Antonia-Festung angelehnt, in der die römischen Truppen untergebracht waren.
Der eigentliche Tempel durfte nur von den Priestern betreten werden und das Allerheiligste nur einmal im Jahr vom Hohenpriester. Bei Lukas wird beschrieben, dass der Vater von Johannes der Täufer ein Priester war und auch nicht im Tempel wohnte:
Lukas 1[8 ] Und es begab sich, da er des Priesteramtes pflegte vor Gott zur Zeit seiner Ordnung [9] nach Gewohnheit des Priestertums, an ihm war, dass er räuchern sollte, ging er in den Tempel des Herrn ...
Lk 1[23] Und es begab sich, da die Zeit seines Amtes aus war, ging er heim in sein Haus.
Von Palästen für die Priesterschaft kann da also keine Rede sein.
Merlin