Seaweed
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es ist für mich halt auch nicht so leicht zu verstehen, dass andere nicht so sensibel sind. Ich denke, für sich selbst einzustehen bzw. sich zu wehren, ist schon wichtig. Für mich ist die Frage, eben, wie merke ich, ob ich jetzt überreagiere?
Hallo @afterlife,
astrologisch kann ich Dir zu Deiner Frage nicht mehr beantwortern, als hier schon geschrieben wurde. Sind viele Klasse Astros hier, von denen ich auch schon viel gelernt habe.
Zum Thema "Warum bin ich so sensibel, oder sensibler als andere?" oder die Frage danach, ob man in einer bestimmten Situation überreagiert, kann ich allerdings meine Erfahrungen schreiben, weil es mir den überwiegenden Teil meines Lebens ebenso gegangen ist (bin jetzt 62).
Vor etwa 3 - 4 Jahren habe ich eine relativ neue Richtung innerhalb der Psychologie/Psychotherapie/Coaching kennen gelernt, die sich IFS - Internal Family System (deutsch: System der inneren Familie) nennt. Ich hab in der Richtung schon viel kennen gelernt (beruflich) und noch mehr ausprobiert (persönlich), aber diese Art, sich selbst, also die eigene Persönlichkeit und auch andere Menschen zu sehen, finde ich inzwischen tatsächlich am hilfreichsten für mich.
Freud hatte ja immer gesagt (und so ist es seit über hundert Jahren Konsens), dass unsere Persönlichkeit innerlich aus Über-Ich, Ich und Es besteht, und auch aus Bewusstsein und Unterbewusstsein etc.. Er hat also bereits die menschliche "Seele" als in Teilen gesehen.
Der Familientherapeut Richard C. Schwartz hat aus der direkten Arbeit mit essgestörten und sich selbst verletzenden Menschen eine neue Sichtweise auf die Persönlichkeit entwickelt, nach der "wir" alle grundsätzlich aus vielen inneren Anteilen bestehen, was nicht etwa Schizo ist, sondern normal. Diese inneren Anteile haben nicht nur verschiedene Aufgaben, die "uns" als Gesamt-Mensch überleben und uns selbst behaupten helfen sollen, sondern sie äußern sich sogar als abgegrenzte innere Persönlichkeiten mit eigenen Ansichten und Befindlichkeiten. Immer und grundsätzlich mit einer Motivation, die diese Teile für uns als Gesamtperson als hilfreich ansehen, es aber oft nicht sind. Weil diese Anteile manchmal schon entstanden sind, als wir sehr klein waren und noch nicht so viel Überblick über die Welt hatten, so dass ihre "Kinder"-Strategien zwar gut gemeint sind, aber manchmal mehr Schwierigkeiten machen, als sie helfen.
Ich will hier nicht so ins Detail gehen, das langweilt nur. Was ich an dieser Sichtweise auf uns Menschen aber am schönsten finde, ist, dass es nach IFS in jedem von uns einen Teil gibt, der als "Selbst" bezeichnet wird, und der - egal, was uns zugestoßen ist, wie verletzt, sensibel, "anders" und sonst noch was wir uns erleben, dieses "Selbst" ist davon unberührt. Es ist grundsätzlich ruhig, präsent, klar, geduldig, mitfühlend und einfach liebevoll. - Und aus diesem inneren Anteil heraus "arbeitet" man mit seinen inneren Anteilen - wenn man sich z.B. fragt, warum man (also einer unserer Anteile) manchmal so sensibel reagiert, ein anderer Anteil das ablehnt und noch ein anderer einen andauernd anfeuert: "Mach Dich gefälligst mal grade!" oder "Hör einfach nicht auf diese dumme Frage, das macht Dich nur schwach!"
Wenn man sich Zeit nimmt und das Glück hat, einen geduldigen, gut ausgebildeten "Beisitzer" in Form eines Therapeuten oder Coaches zu haben, kann man vom eigenen inneren, liebenvollen Selbst aus die verschiedenen Anteile mit ihren Stimmen spüren, sie anhören, fragen, was sie Hilfreiches für uns wollen, ihre Motive würdigen und sie mit der Zeit von nicht hilfreichen Strategien entlasten. So kann z.B. der Anteil, der immer sagt "Quatsch sensibel! Mach Dich mal grade! Hör nicht auf den (Anteil), der macht Dich nur schwach!" mit der Zeit erzählen, wann und warum er so hart gegen sich selbst geworden ist und seinen sensiblen "Kollegen" so abwerten muss. Und er kann evtl. über die Geschehnisse trauern, durch die er so hart geworden ist, und dann die Last dieser Härte ablegen.
Das Ganze hört sich zwar an wie die (schon bekannte) Arbeit mit dem "inneren Kind", sie ist auch ähnlich, aber wie ich finde, sehr viel liebevoller, tiefgreifender und auch selbst-ermächtigender, weil man mit der Zeit selber lernt, gerade in Zeiten, wo es hoch her geht, liebevoll zu sich zu sein - und sich zu behaupten.
Langer Rede kurzer Sinn: @afterlife, ich weiß nicht, ob Du damit etwas anfangen kannst, jedenfalls habe ich diese Art des Umgangs mit mir selbst und anderen über längere Zeit ausprobiert und als extrem hilfreich für mich erlebt. Falls Du mehr darüber wissen möchtest, kann ich noch Literatur dazu nennen.