...aber man kann die Emotionen des Anderen auf unterschiedlichste Weise wahrnehmen und sich "hineinfühlen" und damit richtet man den Fokus auf dessen Emotionen... nicht auf die eigenen.
Wenn ich Jemandem gegenübersitze, der zB sehr wütend ist, nehme ich seine Emotion wahr (nämlich Wut), was aber noch lange nicht heisst, dass ich selber wütend bin, nur weil ich die Emotion "Wut" wahrnehme, also, wessen Emotionen nehme ich nun wahr?
Bei mir ist das so:
Wenn mir jemand gegenüber sitzt, dann erkenne ich seine Wut nicht an seinen Emotionen, die er empfindet, oder an dem, wie er sich gerade fühlt. Ich erkenne es vor allem
an seinem Gesichtsausdruck, an seiner Mimik, an seinen nervösen Handlungen, an seiner Sprache, und nicht an dem, was er fühlt.
Und ich erkenne es auch nur deswegen, weil ich bereits ähnliche Erfahrungen und Situationen im Leben kennengelernt habe, in den ich ebenfalls wütend und ähnlich reagiert habe. Gäbe es keine solcher Vergleichsmöglichkeiten, dann wüsste ich überhaupt nicht, was der Typ da eigentlich zum Ausdruck bringt. Vielleicht spielt er mir nur etwas vor.
Ohne diese darstellerischen Ausdrucksformen könnte kein Schauspieler der Welt überzeugend jemanden spielen, der wütend ist, weil man es nicht erkennen würde. Ob Schauspieler oder nicht, für mich gilt immer: Könnte ich tatsächlich das Gefühl der Wut von jemanden fühlen, dann bräuchte er sich nicht die Mühe zu machen, sie mit all diesen darstellerischen Merkmalen zum Ausdruck zu bringen.
Ich nehme nicht SEINE WUT war, also nicht das, was er empfindet, sondern ich vergleiche seine Ausdrucksweisen mit jenen, die ich bereits kenne und sie in anderen Situationen in ähnlicher Weise zum Ausdruck gebracht habe. Kommt es zu einer Übereinstimmung bei dem Vergleich, schlussfolgere ich: "Der Typ ist wütend."
So ist das bei mir. Ich bin wohl noch nicht so weit entwickelt wie du und andere hier, die ohne diese darstellerischen Handlungen Wut erkennen können. Aber mir genügt meine Erkennungsmethode völlig.