Das ist reines Wunschdenken. "Gefühlte Realität" ohne sachlichen Hintergrund
ist nichts als Illusion.
Camajan
Heidi legt ihr Ei meist morgens. Im mit Plastikvorhängen abgedunkelten »Nest« an der Stallrückseite findet sie Dunkelheit und Ruhe für die halbstündige, kräftezehrende Prozedur. Es schützt die Henne auch vor den eigenen Artgenossinnen. Unmittelbar nach dem Legen ist die Kloake noch rot glänzend ausgestülpt und zieht damit unheilvoll die Aufmerksamkeit der anderen Hühner an. »Kloakenkannibalismus«, ebenso wie das Federpicken eine arttypische Umlenkung des Nahrungssuchverhaltens, fordert regelmäßig Todesopfer.
Dieses Verhalten gelte derzeit als das gravierendste Problem von Freiland- und Bodenhaltung, sagt Ute Knierim, Nutztierethologin von der Universität Kassel. »Die picken sich gegenseitig die Därme aus der Kloake«, fomuliert es deftig Bernd Diekmann, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsches Ei. Zwar tritt der Killerinstinkt auch im Käfig auf; mit zunehmender Gruppengröße und Bewegungsfreiheit findet ein aggressives Tier aber viel mehr Opfer das spricht für Kleingruppenhaltung. Zucht hilft nur bedingt. »Man kann dieses Verhalten zwar tatsächlich minimieren, aber es ist eine große Herausforderung«, sagt Rudolf Preisinger, Chefzüchter bei Lohmann in Cuxhaven, einem der wenigen weltweiten Anbieter von Zuchtlinien. »Wir züchten bereits seit Jahren Tiere speziell für die Alternativhaltung.« Maximale Friedfertigkeit als Zuchtziel aber das haben Versuche gezeigt hat ihren Preis: »Die Hennen legen weniger Eier.«
Damit nicht genug Untersuchungen belegen weitere Mängel der großen Hühnerbefreiung: Obwohl das Kupieren, also das Kappen der Schnabelspitze, längst verboten ist und einer behördlichen Ausnahmegenehmigung bedarf, ist der Schnitt in den Schnabel bei frei laufenden Tieren immer noch weit verbreitete Praxis als notwendige Zwangsmaßnahme gegen Pickereien zwischen Artgenossen.
Außerdem sind die Tiere, anders als im Käfig, nicht von ihrem Kot getrennt. Der dickflüssige Dünger verirrt sich ins Futter und zu den Eiern. Studien belegen eine deutlich höhere bakteriologische Belastung von Alternativeiern. Obendrein neigen Hennen dazu, sich in der Nähe der Tür zu drängeln. Das heißt, dass sie selbst üppigen Freilandauslauf oft nicht nutzen. Zudem sind Fälle belegt, in denen die Tiere in Panik etwa durch lauten Gewitterdonner erschreckt auf einen Haufen liefen und sich gegenseitig totdrückten. Ebenso kommen Arznei und Impfungen bislang in den offenen Systemen weit häufiger zum Einsatz. »Es besteht sicher noch Entwicklungsbedarf. Auch der Managementaufwand ist deutlich größer bei alternativen Haltungssystemen«, räumt Ute Knierim ein, bei weitem keine Sympathisantin der Industrielobby.