Trauer

Es gibt Menschen, die haben Angst, die Trauer in sich ganz zu zulassen. Sie befürchten, sie kommen dann nie wieder da raus. Vermeidungsstrategie. Das ist gar nicht mal so selten, wie man denkt.
Meist kann man es daran erkennen, dass der Hinterbliebene sehr viel und sehr lange von dem Verstorbenen redet oder aber, auf einmal eine ganz andere Nähe / Distanz zu dem Verstorbenen entwickelt als zu Lebzeiten.
Nicht selten hilft dann nur noch eine professionelle Trauerbegleitung.
ich denke, es handelt sich um verdrängte schuldgefühle.
aus irgendeinem grund gibt sich ein hinterbliebener schuld am tod des geliebten menschen - was sich dann im allgemeinen in schuldzuweisungen anderen gegenüber äußert - manchmal wird auch dem toten selbst schuld zugewiesen.
dazu kommt eine ordentliche portion selbstmitleid.

weinen entspannt, genauso wie lachen.
jeder, der aus tiefster seele heraus weinen, aber auch lachen kann, wird es nachfühlen können.
ich habe um meinen sohn sehr viel geweint - nie vor anderen - aber es hat mich erleichtert.
die tränen sind ganz einfach aus mir herausgeflossen.
die feuerbestattung habe ich ganz alleine gestaltet - meine abschiedsworte gerichtet an ihn, so als wäre er noch am leben.
ich war absolut gefasst und habe da keine einzige träne vergossen.
auch als ich die urne abholen gegangen bin, war es nicht anders, als ginge ich irgend eine bestellung abholen.
ich war mit seinem gehen vollkommen einverstanden, vom ersten moment an, als ich ihn tot aufgefunden hatte.
es war seine entscheidung, die ich voll akzeptieren konnte.
womit ich lange zeit nicht klar gekommen bin, war die frage, was seine krankheit nun tatsächlich ausgemacht hat.
zu untypisch für die diagnose schizophrenie waren seine verhaltensformen, war, wie ich ihn erfahren habe.
die ungewissheit hat genagt an mir.
ungewissheit ist für mich, die ich immer nach wahrheit strebe, schwer zu ertragen.
dann, eines tages, habe ich per zufall erfahren, dass ein erhöhter hirndruck sehr ähnliche symptome hervorrufen kann.
ich hab' mir das obduktionsprotokoll nochmals hergenommen und mit erstaunen festgestellt, dass er tatsächlich eine erhöhten hirndruck hatte. ich hatte vorher drüber weggelesen - nicht verstanden.
damit, dass ich nun eine mögliche erklärung hatte, konnte ich abschließen.
ganz kurz habe ich die ärzte verflucht - aber sehr schnell eingesehen, dass schuldzuweisung weder meinen sohn wieder lebendig macht, noch mir gut tun kann -
und in seinem sinn wäre es auch nicht gewesen.
so konnte ich abschließen.
ein wenig wehmut kommt manchmal immer noch auf -
aber in der hauptsache nur noch liebevolles gedenken.
ich träume auch im allgemeinen nicht von ihm - vielleicht zweimal in den neun jahren. da sind offensichtlich noch ungelöste fragen aus meinem unbewussten emporgestiegen, auf die mir die träume antwort gegeben haben.
seine asche habe ich da verstreut, wo er immer gesagt hat, dass er für immer bleiben will.
 
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ich denke, es handelt sich um verdrängte schuldgefühle.
Das ist nur eine Möglichkeit von vielen.
Was es ist, dass der Hinterbliebene noch Fragen hat, die er nun nicht mehr stellen kann.
Dinge sind nicht ausreichend besprochen worden.
Man hat sich verzankt, war möglicherweise ungerecht, egoistisch, habgierig (da findest du die gesamte Palette an menschlichen Defiziten - mitunter sogar auf beiden "Seiten").

All das kann nun nicht mehr geklärt werden und führt möglicherweise (auch längst nicht immer!) zu inneren Konflikten, die belasten können. Daraus können sich sogar Depressionen ergeben, Suchtkrankheiten ... weil, dann kann Mensch nicht loslassen.
Deshalb ist es so wichtig zu reden, seine Sachen zu klären.
 
ich würde kaum hier schreiben, was mich traurig macht - ich öffne mich eher den Nahestehenden (realen) Menschen gegenüber. Wenn ich im Forum über mein Erleben schreibe, dann hat Alles längst stattgefunden, ist abgeschlossen.
In der WG wird alles besprochen, was uns betrifft. Der Bedarf an Aussprache kann außerdem in meinem engen Freundeskreis gedeckt werden. Und ich kann auch mit mir noch Zwiesprache halten.

Aus meiner Sicht sind meine Interessenbereiche ein ganz guter Ventil, um zu reflektieren, sich zu erinnern, ich kann zudem sie in meine Arbeit einfliessen lassen...Alles, was wir erleben, hat seinen Sinn.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
ich denke, es handelt sich um verdrängte schuldgefühle.
aus irgendeinem grund gibt sich ein hinterbliebener schuld am tod des geliebten menschen - was sich dann im allgemeinen in schuldzuweisungen anderen gegenüber äußert - manchmal wird auch dem toten selbst schuld zugewiesen.
dazu kommt eine ordentliche portion selbstmitleid.

weinen entspannt, genauso wie lachen.
jeder, der aus tiefster seele heraus weinen, aber auch lachen kann, wird es nachfühlen können.
ich habe um meinen sohn sehr viel geweint - nie vor anderen - aber es hat mich erleichtert.
die tränen sind ganz einfach aus mir herausgeflossen.
die feuerbestattung habe ich ganz alleine gestaltet - meine abschiedsworte gerichtet an ihn, so als wäre er noch am leben.
ich war absolut gefasst und habe da keine einzige träne vergossen.
auch als ich die urne abholen gegangen bin, war es nicht anders, als ginge ich irgend eine bestellung abholen.
ich war mit seinem gehen vollkommen einverstanden, vom ersten moment an, als ich ihn tot aufgefunden hatte.
es war seine entscheidung, die ich voll akzeptieren konnte.
womit ich lange zeit nicht klar gekommen bin, war die frage, was seine krankheit nun tatsächlich ausgemacht hat.
zu untypisch für die diagnose schizophrenie waren seine verhaltensformen, war, wie ich ihn erfahren habe.
die ungewissheit hat genagt an mir.
ungewissheit ist für mich, die ich immer nach wahrheit strebe, schwer zu ertragen.
dann, eines tages, habe ich per zufall erfahren, dass ein erhöhter hirndruck sehr ähnliche symptome hervorrufen kann.
ich hab' mir das obduktionsprotokoll nochmals hergenommen und mit erstaunen festgestellt, dass er tatsächlich eine erhöhten hirndruck hatte. ich hatte vorher drüber weggelesen - nicht verstanden.
damit, dass ich nun eine mögliche erklärung hatte, konnte ich abschließen.
ganz kurz habe ich die ärzte verflucht - aber sehr schnell eingesehen, dass schuldzuweisung weder meinen sohn wieder lebendig macht, noch mir gut tun kann -
und in seinem sinn wäre es auch nicht gewesen.
so konnte ich abschließen.
ein wenig wehmut kommt manchmal immer noch auf -
aber in der hauptsache nur noch liebevolles gedenken.
ich träume auch im allgemeinen nicht von ihm - vielleicht zweimal in den neun jahren. da sind offensichtlich noch ungelöste fragen aus meinem unbewussten emporgestiegen, auf die mir die träume antwort gegeben haben.
seine asche habe ich da verstreut, wo er immer gesagt hat, dass er für immer bleiben will.
Deine Schilderungen von Deinem Sohn gehen mit immer sehr nah ans Herz :umarmen:- wahrscheinlich, weil ich sie so nachempfinden kann, wenn auch die Hintergründe ganz andere waren als bei mir.

Ja, am Tod meines Sohnes hab ich auch lange geknabbert, v.a. weil ich ihn vorausgeahnt habe und dachte, ich könnte ihn verhindern.
Seine Freundin, mit der er 5 Jahre zusammengelebt hatte, begang Selbstmord und er konnte damit nur sehr schwer umgehen.
Ich hab ihn Hände ringend gebeten, vorübergehend zu mir zu ziehen und nicht allein in der Wohnung zu bleiben.
Irgendwie hatte ich immer Angst, dass er einmal vergisst, eine Kerze auszulöschen. Bei unserem letzten nächtlichen Telefonat meinte er nur, er sei erwachsen und bald 30, ich brauche mir also keine Sorgen um ihn zu machen.
Wenige Tage später standen auf meiner Arbeitsstelle 2 Polizisten vor mir, um mir mitzuteilen, dass mein Sohn bei einem Wohnungsbrand ums Leben gekommen ist.
Man vermutet, dass er mit einer Zigarette im Bett eingeschlafen ist....
 
Das ist nur eine Möglichkeit von vielen.
Was es ist, dass der Hinterbliebene noch Fragen hat, die er nun nicht mehr stellen kann.
Dinge sind nicht ausreichend besprochen worden.
Man hat sich verzankt, war möglicherweise ungerecht, egoistisch, habgierig (da findest du die gesamte Palette an menschlichen Defiziten - mitunter sogar auf beiden "Seiten").

All das kann nun nicht mehr geklärt werden und führt möglicherweise (auch längst nicht immer!) zu inneren Konflikten, die belasten können. Daraus können sich sogar Depressionen ergeben, Suchtkrankheiten ... weil, dann kann Mensch nicht loslassen.
vielleicht bin da anders.
mein über alles geliebter vater verstarb sehr plötzlich mit 63 - ist einfach vom stuhl gefallen. ich war 25.
wir hatten kaum noch kontakt, denn er konnte nicht akzeptieren, dass ich mein eigenes leben leben musste und wollte.
sehr vieles zwischen uns war ungeklärt.
zum zeitpunkt seines todes war ich nur glücklich darüber, dass er nicht leiden musste.
ich wusste auch aus vielen gesprächen, dass er sehr neugierig war, ob es nun ein leben gibt nach dem tod, oder nicht.
erst viele jahre später - aus anderen anlässen heraus - habe ich mich innerlich mit ihm auseinander gesetzt.
da war keine trauer und kein festhalten - die auseinadersetzung war nur wichtig für mich, um über das verständnis für ihn auch mich selbst besser verstehen zu lernen.
was du beschreibst, bestätigt für mich eigentlich meine annahme, dass es sich um nicht als solche erkannte schuldgefühle handelt, wenn menschen nicht loslassen können.
ich hatte mich nicht schuldig gefühlt, obwohl wir im unfrieden auseinander gegangen waren.
ich bin meinen weg gegangen - er den seinen.
 
Ja, am Tod meines Sohnes hab ich auch lange geknabbert, v.a. weil ich ihn vorausgeahnt habe und dachte, ich könnte ihn verhindern.
mein jüngerer sohn hat in einer form am tod seines bruders 'geknabbert', die höchst ungesund war.
totaler rückzug, depressionen, sich hängen lassen.
da waren eindeutig schwerste schuldgefühle mit ihm spiel, die auch nachvollziebar waren.
hat mich viel energie und arbeit gekostet ihm bewusst zu machen, dass ihn keine schuld trifft.
ich bin sehr glücklich, dass er jetzt ein sehr glückliches leben führen kann und dass wir uns ab und an gemeinsam in liebe erinnern.
 
mein jüngerer sohn hat in einer form am tod seines bruders 'geknabbert', die höchst ungesund war.
totaler rückzug, depressionen, sich hängen lassen.
Ja, das ist mir nur zu gut bekannt.
Meinem älteren Sohn gings ähnlich, der fiel auch in ein tiefes Loch nach dem Tod seines Bruders.
Die kleine Schwester wiederum konnte lang nicht um ihn weinen, weil die immer wie Hund und Katz waren und das wiederum ihr schwere Schuldgefühle bescherte.

So ein Geschwistertod schmeisst das ganze Familiengefüge durcheinander...da gehts um sehr viel mehr als um die Trauer.
Dazu kam bei uns noch, dass wir uns gerade mal so halbwegs vom Tod des Mannes/Vaters erfangen haben...

Heute bin ich auf jeden Fall genau wie Du sehr froh, dass sie wieder Freude am Leben haben und dass sie ihren Weg gefunden haben!
 
weinen entspannt, genauso wie lachen.
jeder, der aus tiefster seele heraus weinen, aber auch lachen kann, wird es nachfühlen können.
Ja, wer aus vollem Herzen lacht oder sich freut, dem kommen so manchmal auch die Tränen.
Weinen hat aber vor allem den besonderen Effekt, dass es die Trauer kompensiert.
Weil eben die Trauer alles andere als entspannt, sie verkrampft regelrecht.
Ich weiß, dass viele glauben, es sei unmöglich, nicht mehr trauern zu müssen, wenn man Verluste erlebt. Aber das ist ein Glaubenssatz.
Einer, der - so ungern man es in dem Kontext hören möchte - auf angstvollem Festhalten der Vergangenheit basiert.
 
Wer sollte ihnen denn verwehren, zu trauern? Trauer ist doch in unserer Kultur absolut legitimiert..
Das empfinde ich anders. Viele Menschen haben Berührungsängste mit Trauernden. Wissen überhaupt nicht damit umzugehen und können es kaum aushalten, wenn jemand weint und emotional wird. Die Trauer ist nicht legitimiert. Wenn dann vielleicht für ein paar Wochen, doch dann "MUSS es Dir doch endlich mal besser gehen" . Trauer hat keinen Platz in unserer Leistungsgesellschaft. Es geht darum möglichst schnell wieder funktionsfähig zu werden und es soll doch bitte niemand mit Trauer belästigt werden.
 
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Das empfinde ich anders. Viele Menschen haben Berührungsängste mit Trauernden. Wissen überhaupt nicht damit umzugehen und können es kaum aushalten, wenn jemand weint und emotional wird. Die Trauer ist nicht legitimiert. Wenn dann vielleicht für ein paar Wochen, doch dann "MUSS es Dir doch endlich mal besser gehen" . Trauer hat keinen Platz in unserer Leistungsgesellschaft. Es geht darum möglichst schnell wieder funktionsfähig zu werden und es soll doch bitte niemand mit Trauer belästigt werden.
Mein Vater starb letzten Sommer, ein Schlag für mich. Auch ich gestattete mir erstmal nach aussen hin keine Trauer zu zeigen, im Team am nächsten Tag wisperte ich kurz mit tränenerstickter Stimme, dass er tags zuvor gestorben wäre.
Keine Reaktion, lediglich in einer Pause kamen einige zum Umarmen und Trösten, ein junger Mann, der als Auszubildender dabei ist, sagte nichts, es kam keine Regung von ihm. An diesem Tag fühlte ich mich doch sehr alleingelassen.

Trauer ist doch auch ein Gefühl, ebenso wie Freude. Eigenartig, in unserem Kulturkreis, das es unangenehme Gefühle bei trauernden Menschen hervorruft und bei Freude, ist alles aus dem Häuschen.
 
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