Im Kularnava Tantra steht der Satz: "Man gelangt in den Himmel durch eben die Dinge,
die auch in die Hölle führen können." Viel wird von manchmal berufener, öfter aber noch
von eindeutig unberufener Seite zum Thema "Magie - weiß oder schwarz?" gesagt. Nicht
selten sind solche Äußerungen voller unfreiwilliger Komik und Weltverschwörungsphobien.
Was dem Nazi (ob neu oder alt) seine "Verschwörung des internationalen Judentums",
das ist manch einem sogenannten "Weiß" - Magier eben die "Schwarze Loge", eine
Gruppe von anscheinend ziemlich merkwürdig gepolten Leuten, die offenbar nichts
anderes zu tun haben als Kerzen aus Kinderfett herzustellen und Alice Baileys Weltfrieden
zu hintertreiben. Es ist wahr, Satan der Entzweier lebt: in den Herzen all jener Dualisten
nämlich, die nur allzu gern von der "mystischen Einheit" der Schöpfung reden, in
Wirklichkeit aber darunter eine Landbefriedung verstehen, die alles mit Stumpf und Stiel
ausrotten soll, was auch nur entfernt nach Dunkelheit oder gar - pfui! - nach Phallus
aussehen sollte - und das ist so manches.
Der Meister Therion hat schon kurz nach der Jahrhundertwende vor den "Militanten
Mystikern" auf Erden gewarnt. Zurecht dies, und seine Mahnungen, scheint es, sind auch
heute noch so aktuell wie eh und je.
Denn wer nicht den Weg des Schattens und der Dunkelheit kennt, der wird wohl auch
kaum dazu in der Lage sein, etwas über das Licht und die Helle auszusagen. LIBER NULL
ist nicht zuletzt auch ein Versuch, mit solch frömmlerischem Unfug aufzuräumen. Es weist
mit gutem Recht darauf hin, daß "schwarze", destruktive Handlungen in der Magie nun
einmal leichter gelingen, woran nicht nur der arme verteufelte Hinkefuß seine Freude
hätte, sonst selbst der gute alte Kirchenvater Augustinus; denn der wußte, wie tief das
"Böse" im Menschen sitzt, wie sehr es Teil seiner Seele ist, wie leicht es emporsteigt und
Tribut fordert. Aber Augustinus hat ja auch ein Pferd richtigherum aufzuzäumen
verstanden, er ging den Weg vom Hurenbock zum Heiligen und nicht umgekehrt, wie es
so viele esoterische Asketenmuffel taten und noch tun, Pace unter anderem auch
Leadbeater. Doch genug des Schmähs.
LIBER NULL ist kein satanistisches Brevier, im Gegenteil: Es lebt ja gerade von der
harmonischen Integration beider Pfade und steht damit der Luzifer - Gnosis näher als der
bourgeoise Salonsatanismus wie ihn etwa Huysmans so trefflich zu schildern wußte.
Dieser Kursus praktischer Magie dient nur einem Gott: dem ERKENNE DICH SELBST
bzw. WERDE DER DU BIST des delphischen Orakels. Das aber ist der Sinn hinter allen
Geheimwissenschaften.
Historisch gesehen steht LIBER NULL sowohl in der Tradition illuministischen
Gedankenguts wie auch der mittelalterlicher grimoires. Es ist eine Zauberanleitung, aber
eine, die der Pragmatischen Magie entspringt, und das heißt allemale: Sie ist auf den
Magier zugeschnitten, der seinen kritischen Verstand nicht an der Garderobe einer
spiritistischen Loge abgibt. Glaubensvorschübe sind hier keine zu leisten. Theorie ist
nichts, Praxis ist alles. Ein herbes Programm, fürwahr, aber es hat den Vorteil, individuell
nachvollziehbar zu sein, einer eigenen Überprüfung standzuhalten. In einer Zeit, in der
Totalitarismen aller Art den Menschen ideologisch, weltanschaulich, ökonomisch,
bürokratisch, ökologisch und - Summa summarum - psychisch zu einer bloßen Kenn -
Nummer reduzieren, in einer solchen Zeit eben wirkt der individual - anarchische Stil
dieses Werks und seiner Botschaft geradezu herzerfrischend revolutionär im eigentlichen
Sinne. Und dennoch verlangt es von seinem Lesern keinen Ikonoklasmus - glauben mag
der immer noch was er will. Eine solche Toleranz, in der magischen Literatur ohnehin nie
sehr häufig, bekommt heutzutage ja leider immer mehr Seltenheitswert.
Sucht man nach Namen und Vorbildern für dieses Vorgehen (obwohl die Magie in ihrer
Tradition individuell ist bzw. sein sollte, kennt auch sie ihre Forscher, ihre Märtyrer und
ihre Päpste), dann fallen vor allem zwei große Magier dieses Jahrhunderts ins Auge,
nämlich Austin Osman Spare (1886 - 1956) und Aleister Crowley (1875 - 1947), deren
Werk die Autoren des LIBER NULL offenbar stark beeinflußt hat. Und doch sind sie keine
reinen Thelemiter: Der Meister Therion wird nicht als Weltenheiland gepriesen und auch
A. O. Spare findet keinen Hausaltar vor. Was man braucht, das holt man sich eben
überall, und eklektizistisch (politisierend könnte man sogar ''internationalistischt' sagen)
wie der Okkultismus nun einmal ist, kennt er keine Landes - oder Kulturgrenzen. So wird
denn auch der Bardon – (ob wahr oder nicht) ebenso seine Freude an diesem Buch
haben wie der wicca - Anhänger
Kompromißlose Praxis: das könnte man als Motto dieses wirklich einmaligen Werks
nennen, und so soll denn diese Vorbemerkung mit einem frei übersetzten Wort eines der
letzten großen Praktiker enden, der, schon mehrfach erwähnt, auch einer der posthumen
Gründerväter dieses imposanten Systems ist: "Jede Handlung oder Tat, die nicht dazu
dient oder dienen soll, die Wiederherstellung der ursprünglichen Einheit zu erlangen, ist
ein Akt Schwarzer Magie."