Ich nehme an, die Menschen, die sich für die Enthaltsamkeit entschieden haben, werden keine Vorteile in frei ausgelebter Sexualität sehen. Und das wurde ja auch schon begründet, warum das so ist.
"yogisch" betrachtet könnte ich jetzt sagen, Enthaltsamkeit führt zu sattwigen Eigenschaften. D.h. Reinheit, Klarheit...
Am Beispiel von Nahrungsmitteln, würde das z.B. bedeuten: tamasige Nahrungsmittel machen den Geist langsam und träge, den Körper schwerfällig und faul. (im Yoga sind tamasige Nahrungsmittel z.B. Fleisch, Alkohol, verdorbene Nahrungsmittel, zu viel Essen, Drogen, Medikamente etc.).
Dann gibt es noch Rajas. Bedeutet Aktivität, Bewegung. Solche Nahrungsmittel wären z.B. weißer Zucker, Weißmehl, Weißbrot, Eier, scharfe Speisen usw. Diese machen den Geist aktiv, wirbeln ihn auf, versetzen ihn in Unruhe. D.h. der Geist wird schwer zu kontrollieren und wird am Ende das machen, was er will.
Sattwige Nahrungsmittel wären: Obst, frisches gemüse, Getreide usw. Sie bringen Klarheit in den Geist, Ruhe, machen den Verstand scharf.
D.h diese drei Eigenschaften (im Yoga Gunas genannt), machen einen Menschen aus. Der Teil, der überwiegt, formt den Menschen. Und so ist so manch einer eben eher träge und antriebsarm, ein anderer strotzt vor Gesundheit und geistiger Klarheit.
Sexualität z.B. dürfte den Geist in Unruhe versetzen. Er wird angeregt und aus seiner Mitte geworfen. Er will dies und das und stellt sich dies und jenes vor (in diesem Fall wird das gesamte Denken auf Befriedigung ausgerichtet sein). Er gibt einfach keine Ruhe und stellt Bedingungen. Kommt noch Kaffee dazu, Alkohol, ein in der Mikrowelle erhitztes Essen, eine "tamasige" Fehrnsehsendung usw., dann ist spirituelles Wachstum fast unmöglich. Die Lust auf das Meditieren fällt weg, die eigene Körperenergie wird nicht mehr wahrgenommen, die Konzentration ist gleich Null, man ist gereizt und unzufrieden, die Energie geht verloren und kann nicht gehalten werden, das kann wiederrum zu Kopfschmerzen führen oder Müdigkeit, Antriebsarmut usw. Der Geist will glücklich gemacht werden, will Erfahrungen sammeln und sich vergnügen. Also will er erneuten Sex, erneute Schokolade, ein schöneres Auto, wieder Sex, eine noch bessere Schokolade... Usw. Also verschafft man ihm das Erwünschte und rennt den ganzen Tag nur umher, um diese Wünsche zu befriedigen. Man könnte auch sagen: der Mensch verstrickt sich in der Welt. Er wird Sklave seiner Sinne. Man könnte wohl auch sagen: Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach.
Es ist einfach nicht genügend Kraft da, sich selbst zu kontrollieren und zu beherrschen. Sondern man wird kontrolliert und beherrscht. Es muß immer besser, schneller, mehr, mehr, mehr werden.
Und hier knüft meiner Meinung nach dann die Enthaltsamkeit an.
Natürlich hat nicht jeder den Wunsch nach "Befreiung" aus dem Sumpf, der sich allgemein Leben nennt. Die meisten fühlen sich ja wohl, in ihrem Dasein, mit den "benebelten" Sinnen und dem kurzzeitigen Glück. Das ist ja auch nicht verkehrt, solange sie wirklich glücklich sind.
Dann gibt es aber Menschen, denen das nicht genügt. Sei es, weil sie auf diese Weise kein Glück empfinden oder weil sie durch einen Zufall oder eigene Anstrengungen erfahren haben, daß es auch anders sein kann. Das der Geist viel klarer sein kann, die Gefühle viel intensiver, das Glück viel tiefer, der Sinn im Leben viel erstrebenswerter, der Körper viel gesünder und leichter, das Gedächtnis viel komplexer, die Gedanken viel ruhiger, das es viel mehr wahrzunehmen gibt um uns herum - das alles in allem viel harmonischer und ausgeglichener sein kann.
Sattwa als Eigenschaft nimmt zu, alles wird reiner, leuchtender, friedlicher... Die Gedanken werden stiller und tiefer, energetisch betrachtet kann man viel mehr leisten als andere, mit Streß kann viel besser umgegangen werden, es kann zu tiefen Meditationserlebnissen kommen oder zu igendwelchen anderen Einsichten, man beginnt die Energie seiner Mitmenschen zu spüren und kann ganz anders auf diese eingehen (oder man wird auf diese Weise gewarnt, sollte es mal jemand nicht so gut mit einem meinen). Das ganze Bewußtsein verlagert sich von einem "begrenzten" Denken zu einem viel umfassenderen.
Auf der einen Art und Weise wird man toleranter, aber gleichzeitig auch mitfühlender. All das Negative was geschieht, geht einem nahe und doch läßt man sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Jemand, der einen anfährt und seine schlechte Laune an einem ausläßt, kann man viel eher verzeihen und verstehen. - D.h. Sanftmut entwickelt sich.
Die Entwicklung geht weg von Eifersucht, Rachegedanken, Egoismus, weltlichen Ablenkungen (in Form von, wer hat das größte Haus, meins muß größer sein - wer hat das schnellste Auto, meins muß schneller sein - wer hat das schönste Aussehen, ich muß schöner sein), Haß, Gier, Zorn usw. in eine Richtung, die heilender ist.
Dies ist jetzt MEINE Meinung, dies sine meine Beobachtungen und Erfahrungen!!! Und wenn jemand all dies schafft, ohne "Verzicht" oder Einschränkung (auf was auch immer), dann kann ich nur sagen: Respekt!
Doch muß dies ja auch nicht Ziel von jedem sein. Darum muß eben jeder selbst entscheiden, ob er entsagt oder nicht. Ich für mich werde nach wie vor auf bestimmte Dinge verzichten. Doch nicht, weil ich die Erleuchtung will (die kommt dann schon von alleine, sollte es soweit sein), sondern weil ich NIE WIEDER in einem solchen Zustand leben möchte, wie es vorher war!!!! (Das wäre vielleicht vergleichbar mit jemanden, der weiß, was es heißt frisch und sauber einer heißen Quelle entsprungen zu sein, sich aber freiwillig dafür entscheidet, danach wieder in einem Dreckloch zu baden).