Schwierige Frage, Baron. Über eine mir fremde Rechtsordnung trau ich mich nicht drüber. Aber der VfGH beruft sich auch auf die EMRK - und auf das EU-Recht. Streng genommen müsste die Auslegung in allen EU-Ländern gleich sein. Ich nehme übrigens zurück, dass das Gesetz gekippt wurde - es muss nur anders ausgelegt werden.
VfGH, 17.12.1998 (zu finden unter
www.ris.bka.gv.at)
Leitsatz:
Denkunmögliche Annahme eines Verbotes der rituellen Schächtung im
Vlbg Tierschutzgesetz; verfassungswidrige Gesetzesauslegung im
Hinblick auf die Religionsfreiheit; Vereinbarkeit des Schächtens nach
islamischem Ritus mit der öffentlichen Ordnung und den guten Sitten;
verfassungskonforme Auslegung des Vlbg Tierschutzgesetzes auch im
Hinblick auf eine Tierschutzrichtlinie der EU geboten;
(...)
Der Verfassungsgerichtshof teilt vor diesem Hintergrund
die Auffassung der erwähnten Rechtsprechung des
Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes, sowie
der Lehre, daß die Vornahme einer Schächtung nach islamischem
ebenso wie nach israelitischem Ritus unter die durch die
vorerwähnten Bestimmungen verfassungsgesetzlich gewährleisteten
Rechte auf Ausübung der Religion fällt. Ein Schächtungsverbot
stellt daher einen Eingriff in die vorerwähnten
verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte dar.
(...)
2.7.1. Der Verfassungsgerichtshof übersieht nicht, daß in den
letzten Jahrzehnten insoweit ein Wertewandel eingetreten ist, als
sich nach heutiger Auffassung im Tierschutz ein weithin
anerkanntes und bedeutsames öffentliches Interesse verkörpert.
Dem Tierschutz kommt aber - vor dem Hintergrund der in den
Grundrechten zum Ausdruck kommenden Werteskala - unter
Berücksichtigung aller Umstände deshalb noch kein gegenüber dem
Recht auf Freiheit der Religionsausübung durchschlagendes Gewicht
zu. Der Tierschutz ist insbesondere für die öffentliche Ordnung
nicht von derart zentraler Bedeutung, daß er das Verbot einer
Handlung verlangt, die einem jahrtausendealten Ritus entspricht,
der (aus dem Blickwinkel der Zwecke des Tierschutzes gesehen)
seinerseits nicht etwa in einer gleichgültigen oder gar
aggressiven Haltung dem Tier gegenüber wurzelt, sondern auf die
bestmögliche Vermeidung von Schmerzen, Leiden und Angst bei den
zu schlachtenden Tieren höchsten Wert legt (vgl. dazu
Budischowsky, Die staatskirchenrechtliche Stellung, 98 f.; nähere
Ausführungen zur Frage der Schmerzhaftigkeit der Schächtung bei
Schwaighofer, Tierquälerei im Strafrecht, in: Harrer/Graf (Hrsg),
Tierschutz und Recht (1994) 147 (157)).
2.7.2. Für die Richtigkeit dieser Wertung sprechen aber auch
noch zwei weitere Umstände:
a) Die Frage der Berücksichtigung der rituellen Schächtung
wird in den einzelnen Tierschutzgesetzen der Länder von den
verschiedenen Landesgesetzgebern durchaus nicht einheitlich
beantwortet (vgl. die Nachweise hiezu bei Budischowsky, Die
staatskirchenrechtliche Stellung, 103 ff. und Gaisbauer, ZfV
1996, 41 mit FN 3), sodaß von einer einheitlichen Auffassung in
diesem Zusammenhang nicht die Rede sein kann.
b) Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechtes der Europäischen
Union verlangt Erwägungsgrund 6 der Richtlinie 93/119/EG des
Rates über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung
oder Tötung ausdrücklich die Berücksichtigung religiöser Riten
bei der Schlachtung von Tieren. Art5 Abs2 dieser Richtlinie
gestattet es den Staaten in der Folge ausdrücklich, für Tiere,
bei denen aufgrund bestimmter religiöser Riten besondere
Schlachtmethoden angewendet werden, auf die dem Schlachtvorgang
vorangehende Betäubung zu verzichten.
2.7.3. Zusammenfassend vermag der Gerichtshof daher nicht zu
erkennen, daß die Schächtung als empfindliche Störung des
Zusammenlebens der Menschen im Staate angesehen werden kann oder
von ihr eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung ausginge, die
allein ihr Verbot vor dem dargelegten verfassungsrechtlichen
Hintergrund rechtfertigen könnte.
2.8. Der Verfassungsgerichtshof kann aber auch nicht finden,
daß die Schächtung nach dem israelitischen oder islamischen Ritus
mit den guten Sitten unvereinbar im Sinne des Art63 Abs2
Staatsvertrag von St. Germain wäre. Die guten Sitten bezeichnen
nur jene allgemein in der Bevölkerung verankerten Vorstellungen
von einer "richtigen" Lebensführung, die durch ausdrückliche
gesetzliche Anordnung geschützt sind (Gampl, Staatskirchenrecht,
85). Der Begriff der guten Sitten in diesem Sinne steht mit dem
Tierschutz in keinem Zusammenhang. Im übrigen gilt aber auch hier
das vorstehend zur öffentlichen Ordnung bereits Gesagte.
3. Das Schächten nach islamischem Ritus ist daher weder mit
der öffentlichen Ordnung noch mit den guten Sitten unvereinbar.
Ein Verbot des (fachgerechten) Schächtens ist daher in einer
demokratischen Gesellschaft nicht notwendig; es verstieße gegen
Art14 StGG, Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain und
Art9 EMRK und wäre daher verfassungswidrig.