@Condemn:
Nein, es geht um sehr viel länger. Die Ukraine strebt seit ewiger Zeit nach Unabhängigkeit:
(....)
Über 30 Jahre können theoretisch auch 500 Jahre sein.
Warum ich sagte "über 30 Jahre" liegt daran, dass die Ukraine ihre Unabhängigkeit gewann als sich die Sowjetunion auflöste. Und seit dem gab es immer auch Konflikte betreffend der Neuordnung der seitdem unabhängigen Staaten und deren Sicherheitspolitik und den damit einhergehenden Verschiebungen in ganz Europa. Ein Problem betreffend Sicherheitsinteressen ist, dass es immer zwei Perspektiven gibt die eigentlich beide für sich verständlich sind und auch keineswegs offensiv gemeint sein müssen. Aus der jeweils anderen Perspektive braucht es aber einen Vertrauensvorschuss um zu einer Art Konsens zu finden. Leitmotiv soll sein, dass die eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheitsinteressen eines anderen Staates gefestigt werden sollte. Das ist aber in aller Regel eine Frage der Interpretation, weshalb unterschiedliche Perspektiven auch vollkommen unterschiedliche Geschichten erzählen können ohne lügen zu müssen.
Nur als Beispiel: Nach dem Fall der Sowjetunion wollten viele der Ex-Sowjet-Staaten möglichst schnell in die Nato. Deren Perspektive war die Angst vor einem wieder erstarkenden Russland. Das ist eine absolut verständliche Perspektive. Aus russischer Perspektive ist es aber genau umgekehrt. Während z.B. Polen aufrichtig sagen konnte, das sei keine offensive Politik gegenüber Russland, denkt Russland bei einem solchen Schritt ja nicht nur um das eine Land nach sondern wie das weitergehen könnte. Und aus russischer Sicht ist die NATO v.a. USA, wobei wiederum verständlich ist das "Nicht-Partner-Länder", v.a. wenn sie Rohstoffreich sind, die USA durchaus als potentiell gefährlich wahrnehmen.
Bei dem Thema geht es aber auch nicht nur um die NATO sondern auch um wirtschaftlichen Einfluss und es geht auch nicht zwingend um reinen Imperialismus, egal welche Seite der jeweils anderen diesen Vorwurf macht. Der Konflikt besteht schon darin, dass eine Seite es als Gefahr ansieht wenn die andere Seite "etwas hat". Damit meine ich: Imperialistisch wäre "Land X will Land Y". In vielen Fälle geht es aber darum, dass diese Intention bei der konkurrierende Macht unterstellt wird, ob richtig oder nicht, und das verhindert werden soll. In der Praxis ist das fast kein Unterschied, in der Motivlage ist es einer.
Der US-Geostratege Zbigniew Brzeziński hat das 1997 in seinem Buch "Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft" alles beschrieben und die Ukraine als zentral und überaus bedeutend beschrieben. Die Logik dahinter ist nicht zwingend US-Imperialismus, aber das Verhindern der Entstehung einer anderen Großmacht. Und die USA folgen dieser Strategie weitgehend und über viele Präsidenten hinweg, was Russland wiederum sehr bewusst ist. Sie haben mehrfach darauf verwiesen.
Noch Anfang 2020 sagte Adam Schiff z.B., man unterstütze die Ukraine, damit man Russland dort bekämpfen könne und nicht "hier" (USA) bekämpfen müssen. Die USA sehen das nicht als offensiv, Russland aber schon.
Das Problem ist, dass man die gesamte Entwicklung nicht beschreiben kann ohne ein Buch zu schreiben. Und selbst wenn man viele der existierenden Bücher liest gibt es dann alle einzelnen Aspekte betreffend immer noch verschiedene Interpretationen. Meine ist nicht, dass Russland in diesen Krieg gezwungen wurde. An der vorherigen Eskalations-Spirale ist aber eben auch nicht nur Russland schuld. Sie haben tatsächlich viele Versuche unternommen zu Einigungen zu kommen. Putin war früher zu vielen Zugeständnissen bereit.
Was dabei dann interessant ist: Viele sind der Ansicht, kein einziges Zugeständnis an Russland sei das Richtige. Sie beharren darauf, die Ukraine sei eben souverän und es habe Russland nicht zu kratzen wenn die in die Nato wollen und die Nato sie aufnähme. Genau diese Denkweise war das Problem, denn dabei ignoriert man russische Sicherheitsinteressen.
Wer das übrigens sehr gut beschreibt, und der Typ ist ganz sicher kein "Putinversteher" oder gegen die Nato-Osterweiterung: Der Ex-Kohl Berater Horst Teltschik.