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Ich war mit 18 in Buchenwald, das war schon sehr bedrückend, bei sausendem Eiswind über das Feld zu gehen, auf dem zuvor so viele Todgeweihte gelaufen waren.
Im Unterschied zu Euch beiden habe ich aber nie das Gefühl gehabt, irgendeine Schuld daran zu tragen. Ich habe daraus immer eher eine starke Verantwortung für die Gegenwart abgeleitet, Aufmerksamkeit, was die kleinen Schritte dazu angeht, Unrecht als gegeben hin zu nehmen.
Als DDR-Kind wurde ich mit antifa-Filmen überfüttert, kann jedoch sagen, dass daraus ziemlich früh schon eine menschliche Grundhaltung zum Frieden, zum Bemühen um Konfliktlösungen und zum menschlichen Umgang miteinander erwachsen ist, was ja durchaus positiv zu sehen ist.
Neulich erst betrachtete ich meine 37 Jahre alte Kindergarten-Mappe mit Zeichnungen aus den 60er Jahren und stellte erstaunt fest, dass wir tatsächlich schon im Kleinkindalter angehalten worden waren, rote Arbeiterfahnen und Friedensfahrer mit Fähnchen zu zeichnen. Das war für mich so normal, dass ich mich nicht extra daran erinnert hatte. Diese von vielen heute angeprangerte Ideologisierung hat mir insofern nicht geschadet, als dass ich schon als Kind Achtung vor den arbeitenden Menschen hatte - egal, ob sie der Arbeiterklasse oder der Intelligenz angehörten. Es fühlte sich für mich stimmiger an als heute, wo Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer Schichtzugehörigkeit Marken-Kämpfe und Zugehörigkeitskriege auf dem Schulhof führen...
Das KZ Buchenwald habe ich als 14Jährige besucht - Klassenfahrt anlässlich unserer Jugendweihe, der Aufnahme in die Reihen der Erwachsenen.
Ich war zutiefst geschockt über den Film, der uns gezeigt wurde (Originalaufnahmen einer Massengrabaushebung und Leichenverbuddelung mit einem Bagger!), und der meine Vorstellung aus dem in der Schule gelesenen Buch "Nackt unter Wölfen" von Bruno Apitz noch um Längen an Grausamkeit übertraf und mir das Grauen auf deutschem Boden noch anschaulicher verdeutlichte und greifbar näher rückte, als all die vielen russischen Kriegsfilme, die wir auch regelmäßig zu sehen bekamen...
Die Jugendherberge, in der wir 1980 nächtigten, befand sich in direkter Nähe des KZ's auf dem Ettersberg, und einige von uns - einschl. mir - waren so empathisch, dass wir nachts kaum ein Auge zubekamen und uns einfach in unseren Betten dort nicht wohlfühlten.
Ich hatte damals auch NIE das Gefühl einer eigenen Schuld an der Vergangenheit, zu der ich noch nicht auf der Welt war.
Meine Eltern selbst waren noch Kinder, als der 2. Weltkrieg ausbrach.
Über meine Großeltern (SPD) wusste ich, was sie im 1. und 2. WK getan hatten, und ich brauchte mich ihrer nicht zu schämen.
Dann kam die Wende, ich zog aus familiären Gründen ins westliche Deutschland und bekam nun plötzlich ein Gefühl, dass ich mich mitschuldig fühlen sollte an dem, was von deutschem Boden ausgegangen war. Sippenhaft sozusagen.
Ich bekam eine Ahnung davon, was das bedeutet, und fühlte mich plötzlich wie ins Mittelalter zurückversetzt oder wie in den Islam verbannt (Blutschande, Blutrache ...). Und das im 20. Jahrhundert... Darüber bin ich noch immer fassungslos.
Leider bemerke ich, dass durch den reinen Existenzkampf und persönliche Niederlagen einige Jahre eine Politikmüdigkeit bei mir Platz genommen hat.
Diese will und werde ich wieder abschütteln, denn ich sehe es so, wie einige weiter oben schon geschrieben haben:
Verantwortung trägt ein jeder von uns für das, was ist und was kommen wird! Und es fängt im Kleinen an, dass wir Entwicklungen nicht verschlafen oder übersehen.