In der Gruppe erzählt einer betroffen von seinem Arbeitskollegen, bei dem man Prostatakrebs mit fortgeschrittenen Knochenmetastasen diagnostiziert hat.
Die Gruppentherapeutin will ihn bremsen, doch er lässt sich nicht bremsen. Es ist ihm ein Bedürfnis, über seine Eindrücke zu reden.
Ich verstehe ihn, ich verstehe sie, ich verstehe wieder mal alle Beteiligten und trotzdem werde ich nervös. Doch niemand im Raum merkt, wie sehr mich diese Story innerlich aufwühlt. Das Leben fragt mich nicht, ob ich mir das anhören will. Es ist eine Gruppe für Drogenabhängige, Krebs ist nicht das zentrale Thema hier. Aber es kann natürlich aufkommen. Zwangsweise werde ich mit meinem eigenen Blutbild konfrontiert, das zu verdrängen ich sehr bemüht bin und leise denke ich bei mir selbst: "Aha... dafür geh ich also in die Gruppentherapie. Um die Sorgen um meine eigene Gesundheit und meine verdrängten Ängste nicht zu vergessen."
"Carpe Diem" sage ich leise aber hörbar in den Raum. Es klingt wie: "Prost Mahlzeit".
So ist das Leben. Skrupellose Konfrontation. Alles andere ist Illusion durch rosarote Brillen.
Wenn ich wieder auf die Welt komme, muss ich härter werden, aber dieses Leben - soviel steht fest - überleb ich nicht. Am Ende werd ich sterben wie Jedermann und ich hoffe sehr, dass es nicht all zu schmerzhaft wird. Der Gedanke an ein schmerzhaftes, langwieriges Dahinsiechen bereitet mir Angst. Diese Angst kann ich nur mit einem abgedroschenen Slogan vertreiben: Carpe Diem, pflücke den Tag! Etwas anderes gibt es nicht. Mit diesem Slogan biege ich Stunden über Tage und Tage über Wochen. Hoffentlich werde ich die Kraft, die Möglichkeit und das Herz haben, nachzuhelfen, wenn`s gegen Ende zu irgendwo klemmt.
Auch das Grün der Natur liebe ich sehr. Aus der Ferne betrachte ich es gerne, während ich auf asphaltierten Wegen lustvoll wandle. Es hat eine eigene Kraft. Die grüne Kraft, sage ich immer. Dieses saftige Grün hat wirklich eine eigene Kraft. Und wenn ich zu Hause vor dem Fernseher sitze und Naturfilme schau, hab ich auch keine Angst vor Zecken. Manchmal aber, an Tagen wie heute zum Beispiel, habe ich am Waldrand zu tun, in einer Gegend, wo es nur so wimmelt von diesen Viechern.
Und dann wird mir immer bewusst, wie schreckhaft und neurotisch ich bin und wie klein und nichtig der Grund meiner Ängste ist.