Inwiefern? Fehlt mir hier irgendwelches Wissen? Das Horoskop von zwei Zwillinge ist doch ident.
Ist nicht ident. Auch Mehrlinge kommen in zeitlichem Abstand zur Welt, und das bedingt Unterschiede im Horoskop, wenn auch nur geringe. Für einen Wissenschaftsbegriff, der zu abstrahierenden Modellbildungen tendiert, sind diese Unterschiede vermutlich unerheblich, und die Horoskope werden als halbwegs ident betrachtet werden. Für einen Wissenschaftsbegriff, der beispielsweise die These der sensiblen Abhängigkeit von Ausgangsbedingungen berücksichtigt (Stichwort "Schmetterlingseffekt"), machen solche unscheinbaren Unterschiede sehr viel aus. Edward Lorenz hat zum Beispiel anhand eines 12er-Satzes von Gleichungen, die Wetterentwicklungen beschreiben, gezeigt, dass kleinste Verschiebungen von Werten im Bereich der fünften, sechsten Nachkommastellen (also Unterschiede, die weder fühl- noch real messbar sind) mittelfristig zu völlig unterschiedlichen Wetterverläufen führen.
Als Ursache einer bestimmten Charakteranlage gilt also die jeweilige Konstellation. Damit beansprucht die Astrologie durchaus das Kausalprinzip für sich.
Manche AstrologInnen sehen das so, aber für "die Astrologie" schlechthin sehe ich das nicht so. Ich kann mich zum Beispiel auf das Prinzip der Synchronizität beziehen, wie es C.G. Jung formuliert hat und das in ähnlicher Weise auch bei der spukhaften Fernwirkung in der Quantenphysik zu beobachten ist ... lieber bewege ich mich auf dem Boden systemischer Sichtweisen. Wenn ich zwei Leute zitieren darf, die auf wissenschaftlichem Boden Rang und Namen haben: Wittgenstein bezeichnete den Glauben an den Kausalzusammenhang als den Aberglauben schlechthin, und M. Varga von Kibéd, Prof. für paradoxe Logik an der Uni München, beschreibt "ein Denkmodell als umso systemischer, je mehr es auf kausale Begründungen verzichten kann." Es geht in Systemen nicht um linear konzipierte Ursachen und Folgewirkungen, sondern um komplex verschränkte Wechselwirkungen, in denen "Ursachen" zugleich Folgewirkungen und umgekehrt sein können.
dieses ständige Verweilen im Konjunktiv ist wissenschaftlich gesehen nichts weiter, als daß die Beschreibung der jeweiligen Kausalitäten aufgrund mangelnder Genauigkeit der Daten noch unzureichend ist. Dem könnte man aber abhelfen, wenn man die entsprechenden Zusammenhänge noch genauer erforscht, als es bisher geschehen ist.
In der Quantenphysik z. B. werden nur deshalb nur Wahrscheinlichkeiten für die Bewegungsrichung von Quanten angegeben, weil die Ursache derselben eben noch nicht vollständig geklärt ist. Sobald dies der Fall ist, kann man diese Sachen genauso mit Gesetzen beschreiben wie die Bewegung einer Billiardkugel auf dem Billiardtisch.
Das halte ich für eine der beliebtesten Formen des Aberglaubens schlechthin diese Annahme, dass mit zunehmender Genauigkeit der Messwerte die Qualität von Erklärungen/Theorien zunähme. Und das Beispiel von der Billardkugel ist ganz wunderbar: Deren Bahn lässt sich theoretisch vollendet berechnen. Praktisch hingegen geht es um Wahrscheinlichkeiten, und die Bahn der Billardkugel ist einer extrem komplexen Vielfalt von Interaktionen ausgesetzt, von denen viele prinzipiell nicht vorhersagbar sind und daher in die Berechnung nicht einbezogen werden können. So erleben Billardspieler immer wieder ihre Überraschungen.
So jedenfalls würde die wissenschaftliche Herangehensweise aussehen.
Nein, so würde ein wissenschaftliches Herangehen aussehen, das auf dem Boden abstrahierender Kausalmechanik operiert und mentale Scheinsicherheiten präferiert.
Ein anderes wissenschaftliches Vorgehen wird durch Beobachtung von nichtlinearen, selbstorganisierenden Systemen (die müssen ja nicht immer gleich autopoietisch sein, können es aber durchaus auch sein) Ordnungsstrukturen innerhalb systemischer Interaktionen beschreiben/konstruieren (Beispiele: strange attractors, Fraktale, "schräge" Regelmäßigkeiten in chaotischen Gleichungssystemen wie etwa die Feigenbaum-Konstante etc.).
Im Kontext einer solchen Modellbildung hätte m.E. Astrologie durchaus eine gute Chance, wenn zuvor eine Grundfrage befriedigend geklärt werden kann: Gibt es viable Hinweise darauf, dass Zeit auch so etwas wie Qualität anzeigen kann? Denn letzten Endes geht es ja nie um die Himmelsmechanik, sondern immer nur um die Zeit. Die astrologischen Konstellationen sind Ausprägungen von Zeit auf der einen Seite, die behaupteten, daraus ableitbaren Qualitäten auf der anderen Seite. Es geht um die Zeit und nicht um die Sterne.
Jake