Märchen

Alcantara

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Die Frau, die den kranken König heilte

Maltesisches Märchen

Einst konnte man eine arme Frau in der Nähe ihrer Feldhütte erblicken, wie sie schrie und weinte und sich dabei am Boden wälzte. Neben ihr lag das sterbende Maultier, das der Frau gehörte. Dann und wann versuchte es, sich emporzurichten - aber stets fiel es wieder kraftlos nieder; deshalb weinte seine Besitzerin: es war ihr einziges, wertvolles Tier, und durch seine Arbeit verdiente sie täglich einen Mundvoll Brot! Das Tier war nun dem Tode nahe und die Frau der Verzweiflung.
Plötzlich kam der König vorbei und sah die schreiende Frau. Er hatte die Liebhaberei, mit einfachen Leuten seinen Spaß zu treiben und sie dann weidlich auszulachen. So ritt er denn auf die Weinende zu und fragte: »Maria, warum raufst du dir die Haare aus, und warum zerreißt du deine Kleider?«
"O Unglück, o Unglück! Mein Maultier wird in Kürze verenden, und ich verliere mein tägliches Brot! «
»Hab keine Angst! Ich kenne ein Mittel, das Tier zu retten!« Die Frau wurde wieder froh und bat den König, ihr doch das Mittel zu nennen; dieser sprach: »Du musst wissen, dass es ein Zaubermittel ist! Also: Entkleide dich vollständig und sieh ja darauf, dass du nicht mehr Kleider auf dir trägst, als dir der Schöpfer bei deiner Erschaffung verliehen hat! Dann musst du fünfzigmal um das kranke Tier herumlaufen und dabei den Zauberspruch sagen: >Drei Maultierskräfte, drei menschliche Dummheiten und drei geschmorte Würmer! Rühr alles zusammen und nimm es ein!< Dein Maultier wird sicher, sicher durch dieses Tun geheilt!«
Die Frau wartete nicht lange, sondern begann sogleich sich zu entkleiden und um das Tier herumzulaufen; das Maultier hatte noch nie dergleichen gesehen und darum sprang es, laut brüllend, in die Höhe und - wurde gesund! Die Frau wurde fast wahnsinnig vor Freude und wusste sich gar nicht zu fassen. Der König aber hatte sich etwas abseits aufgestellt, um das Ergebnis seiner Anordnung zu sehen; er lachte aus Leibeskräften, als er das gesunde Tier sah, und ritt dann heim.
Nach etlichen Jahren wurde dieser selbe König sehr krank; er bekam im Halse ein großes Geschwür, und die Ärzte wussten ihm keine Hilfe; das Geschwür war sehr hart und fest, und binnen kurzen Tagen wäre der arme König wohl verdurstet und verhungert. Das ganze Land war in Trauer; alle hätten dem König gar zu gern Hilfe geleistet, um ihn vom Tode zu retten. Auch die arme Landfrau hörte diese traurige Geschichte, und sie nahm sich vor, dem König ihre Dankbarkeit zu bezeigen.
Sie machte sich also auf und langte an den Toren des Palastes an; aber die Wachen riefen: »Scher dich zum Teufel. Unser Herr liegt im Todesröcheln und ist mit den großen Herrschaften allein im Sterbezimmer!«
Die Frau bat und bat; auch erklärte sie den Soldaten, wie sie ein Mittel habe, um den König zu heilen; aber jene schimpften weiter und ließen sie nicht hinein. Die Frau passte nun einen günstigen Augenblick ab und versetzte den Wächtern, die auf der rechten und linken Seite des Portals standen, einen kräftigen Stoß und schlüpfte durch das Tor. Dann lief sie die Treppe hinauf, und da vor dem Krankenzimmer ebenfalls eine Wache stand, erhielt auch diese eine Ohrfeige. Dann stieß die Landfrau die Türe auf und lief hinein. Neben dem Schmerzenslager des Herrschers standen viele große Herren, und auch Geistliche waren dort zu erblicken, weil der König sein Testament machen wollte. Alle diese Herren zogen sich jetzt auf einmal in eine Ecke zurück: Denn die Frau ließ in der Mitte des Zimmers ihre Kleidung fallen und fing an, wie besessen um das Bett herumzulaufen und dabei zu sagen: »Drei Mauttierskräfte, drei menschliche Dummheiten und drei geschmorte Würmer Rühr alles zusammen und nimm es ein!«
Da erinnere sich der König des Scherzes, den er sich einmal mit der armen Frau erlaubt hatte, und musste jetzt, da er diese so verrückt um sein Bett herumlaufen sah, so laut lachen, dass sein ganzer Körper zitterte und schütterte; plötzlich lief ihm Eiter und Blut aus dem Munde, und die Ärzte sahen, dass die Lebensgefahr für ihn beseitigt war, da durch das den ganzen Körper erschütternde Lachen das Geschwür aufgebrochen war. Die Frau rief jetzt: »Seht ihr‘s? Der König selber hat mir einmal dieses seltsame, gute Mittel geraten und nicht nur mein Maultier, nein, auch er selber wurde dadurch geheilt!
Der König sprach hierauf: »Frau, bleib hier In meinem Palast wirst du immer einen Mundvoll Brot finden!« Sie aber antwortete: »Nein, es kann nicht sein!« Damit ging sie wieder fort aufs Land.

..so könnte es gewesen sein..:zauberer1
 
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Es war einmal ein Gärtner...
Ein Märchenbuch aus dem lucy körner verlag

Es war einmal ein Gärtner. Eines Tages nahm er seine Frau bei der Hand und sagte: „Komm, Frau, wir wollen einen Baum pflanzen.“ Die Frau antwortete: „Wenn du meinst, mein lieber Mann, dann wollen wir einen Baum pflanzen.“ Sie gingen in den Garten und pflanzten einen Baum. Es dauerte nicht lange, da konnte man das erste Grün zart aus der Erde sprießen sehen. Der Baum, der eigentlich noch kein richtiger Baum war, erblickte zum ersten Mal die Sonne. Er fühlte die Wärme ihrer Strahlen auf seinen Blättchen und streckte sich ihnen hoch entgegen. Er begrüßte sie auf seine Weise, ließ sich glücklich bescheinen und fand es wunderschön, auf der Welt zu sein und zu wachsen.„Schau“, sagte der Gärtner zu seiner Frau, „ist er nicht niedlich, unser Baum?“ Und seine Frau antwortete: „Ja, lieber Mann, wie du schon sagtest: Ein schöner Baum!“ Der Baum begann größer und höher zu wachsen und reckte sich immer weiter der Sonne entgegen. Er fühlte den Wind und spürte den Regen, genoss die warme und feste Erde um seine Wurzeln und war glücklich. Und jedes Mal, wenn der Gärtner und seine Frau nach ihm sahen, ihn mit Wasser tränkten und ihn einen schönen Baum nannten, fühlte er sich wohl. Denn da war jemand, der ihn mochte, ihn hegte, pflegte und beschützte. Er wurde lieb gehabt und war nicht allein auf der Welt. So wuchs er zufrieden vor sich hin und wollte nichts weiter als leben und wachsen, Wind und Regen spüren, Erde und Sonne fühlen, lieb gehabt werden und andere lieb haben. Eines Tages merkte der Baum, dass es besonders schön war, ein wenig nach links zu wachsen, denn von dort schien die Sonne mehr auf seine Blätter. Also wuchs er jetzt ein wenig nach links.„Schau“, sagte der Gärtner zu seiner Frau, „unser Baum wächst schief. Seit wann dürfen Bäume denn schief wachsen, und dazu noch in unserem Garten? Ausgerechnet unser Baum! Gott hat die Bäume nicht erschaffen, damit sie schief wachsen, nicht wahr, Frau?“ Seine Frau gab ihm natürlich recht. „Du bist eine kluge und gottesfürchtige Frau“, meinte daraufhin der Gärtner. „Hol also unsere Schere, denn wir wollen unseren Baum gerade schneiden.“ Der Baum weinte. Die Menschen, die ihn bisher so lieb gepflegt hatten, denen er vertraute, schnitten ihm die Äste ab, die der Sonne am nächsten waren. Er konnte nicht sprechen und deshalb nicht fragen. Er konnte nicht begreifen. Aber sie sagten ja, dass sie ihn lieb hätten und es gut mit ihm meinten. Und sie sagten, dass ein richtiger Baum gerade wachsen müsse. Und Gott es nicht gern sähe, wenn er schief wachse. Also musste es wohl stimmen. Er wuchs nicht mehr der Sonne entgegen.„Ist er nicht brav, unser Baum?“ fragte der Gärtner seine Frau. „Sicher, lieber Mann“, antwortete sie, „du hast wie immer recht. Unser Baum ist ein braver Baum.“ Der Baum begann zu verstehen. Wenn er machte, was ihm Spaß und Freude bereitete, dann war er anscheinend ein böser Baum. Er war nur lieb und brav, wenn er tat, was der Gärtner und seine Frau von ihm erwarteten. Also wuchs er jetzt strebsam in die Höhe und gab darauf acht, nicht mehr schief zu wachsen.„Sieh dir das an“, sagte der Gärtner eines Tages zu seiner Frau, „unser Baum wächst unverschämt schnell in die Höhe. Gehört sich das für einen rechten Baum?“ Seine Frau antwortete: „Aber nein, lieber Mann, das gehört sich natürlich nicht. Gott will, dass Bäume langsam und in Ruhe wachsen. Und auch unser Nachbar meint, dass Bäume bescheiden sein müssten, seiner wachse auch schön langsam.“ Der Gärtner lobte seine Frau und sagte, dass sie etwas von Bäumen verstehe. Und dann schickte er sie die Schere holen, um dem Baum die Äste zu stutzen. Sehr lange weinte der Baum in dieser Nacht. Warum schnitt man ihm einfach die Äste ab, die dem Gärtner und seiner Frau nicht gefielen? Und wer war dieser Gott, der angeblich gegen alles war, was Spaß machte?„Schau her, Frau“, sagte der Gärtner, „wir können stolz sein auf unseren Baum.“ Und seine Frau gab ihm wie immer recht. Der Baum wurde trotzig. Nun gut, wenn nicht in die Höhe, dann eben in die Breite. Sie würden ja schon sehen, wohin sie damit kommen. Schließlich wollte er nur wachsen, Sonne, Wind und Erde fühlen, Freude haben und Freude bereiten. In seinem Innern spürte er ganz genau, dass es richtig war, zu wachsen. Also wuchs er jetzt in die Breite.„Das ist doch nicht zu fassen.“ Der Gärtner holte empört die Schere und sagte zu seiner Frau: „Stell dir vor, unser Baum wächst einfach in die Breite. Das könnte ihm so passen. Das scheint ihm ja geradezu Spaß zu machen. So etwas können wir auf keinen Fall dulden!“ Und seine Frau pflichtete ihm bei: „Das können wir nicht zulassen. Dann müssen wir ihn eben wieder zurecht stutzen.“ Der Baum konnte nicht mehr weinen, er hatte keine Tränen mehr. Immerhin, er schien nun dem Gärtner und seiner Frau zu gefallen. Wenn auch alles keine rechte Freude mehr bereitete, so wurde er wenigstens lieb gehabt. So dachte der Baum. Viele Jahre später kam ein kleines Mädchen mit seinem Vater am Baum vorbei. Er war inzwischen erwachsen geworden, der Gärtner und seine Frau waren stolz auf ihn. Er war ein rechter und anständiger Baum geworden. Das kleine Mädchen blieb vor ihm stehen. „Papa, findest du nicht auch, dass der Baum hier ein bisschen traurig aussieht?“ fragte es.„Ich weiß nicht“, sagte der Vater. „Als ich so klein war wie du, konnte ich auch sehen, ob ein Baum fröhlich oder traurig ist. Aber heute sehe ich das nicht mehr.“„Der Baum sieht wirklich ganz traurig aus.“ Das kleine Mädchen sah den Baum mitfühlend an. „Den hat bestimmt niemand richtig lieb. Schau mal, wie ordentlich der gewachsen ist. Ich glaube, der wollte mal ganz anders wachsen, durfte aber nicht. Und deshalb ist er jetzt traurig.“„Vielleicht“, antwortete der Vater versonnen. „Aber wer kann schon wachsen wie er will?“„Warum denn nicht?“ fragte das Mädchen. „Wenn jemand den Baum wirklich lieb hat, kann er ihn auch wachsen lassen, wie er selber will. Oder nicht? Er tut doch niemandem etwas zuleide.“ Erstaunt und schließlich erschrocken blickte der Vater sein Kind an. Dann sagte er: „Weißt du, keiner darf so wachsen wie er will, weil sonst die anderen merken würden, dass auch sie nicht so gewachsen sind, wie sie eigentlich mal wollten.“„Das verstehe ich nicht, Papa!“„Sicher, Kind, das kannst du noch nicht verstehen. Auch du bist vielleicht nicht immer so gewachsen, wie du gerne wolltest. Auch du durftest nicht.“„Aber warum denn nicht, Papa? Du hast mich doch lieb, und Mama hat mich auch lieb, nicht wahr?“ Der Vater sah sie eine Weile nachdenklich an. „Ja“, sagte er dann, „sicher haben wir dich lieb.“ Sie gingen langsam weiter, und das kleine Mädchen dachte noch lange über dieses Gespräch und den traurigen Baum nach. Der Baum hatte den beiden aufmerksam zugehört, und auch er dachte lange nach. Er blickte ihnen noch hinterher, als er sie eigentlich schon lange nicht mehr sehen konnte. Dann begriff der Baum. Und er begann hemmungslos zu weinen.

 
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