Ich behaupte das Gegenteil: heutiger Mainstream ist, dass man die Schuld individualisiert (Selbsthilfekultur, "Glück als Schulfach", "positives Denken" etc.").
Ja, ok, aber das ist esoterischer Mainstream. Wenn man sich überwiegend in esoterischen Kreisen bewegt, kann man zu diesem Schluß kommen. Wenn du hier quer liest, steht das in jedem zweiten post, ja.
huerta schrieb:
Das ist u.a. ein neoliberaler Trick um systematische Ungleichheit auf die Einzelnen abzuwälzen - das heisst, wenn du keinen Job hast, ist das deine Schuld oder du bist sonst irgendso ein "fauler Ausländer", oder jemand, der nicht arbeiten will, der es sich im sozialen Netz auf Kosten der Steuerzahler gut gehen lässt und wahrscheinlich auch noch säuft. Es gibt viele Beispiele der Dämonisierung aller Frührentner und Arbeitslosen, glaub' mir, da weiss ich, wovon ich rede, von wegen Stigma etc.
Ich sehe die systematische Ungleichheit auch, ich bin ja nicht blind. Der Mechanismus, der da wirkt, ist aber wieder der der Schuldprojektion nach Aussen. Derjenige, der sagt, Arbeitslose seien selber schuld an ihrer Arbeitslosigkeit, sie seien faul und alle Säufer, befindet sich in der Schuldprojektion. Er sucht die Ursache für seine Sichtweise bei den anderen, nicht bei sich. Was trägt er selber dazu bei, dass Arbeitslosigkeit überhaupt existiert und warum stört es ihn, das sie existiert? Dann wäre er bei sich, im Inneren. Er dämonisiert lieber die anderen, das ist einfacher.
huerta schrieb:
Und dann muss mir keiner kommen, und sagen, ich müsse mich halt selber anders bewerten.
Es ist aber empfehlenswert, huerta, deshalb tu's ich mal, obwohl ich es nicht muss.
Schau', ich bin selbst Frührentner, mir ist das Stigma bewußt, aber ich empfinde es nicht so. Das war mal anders. Jeder, der krank ist oder arbeitslos, hat ein schlechtes Gewissen. Dieses Schuldgefühl ist kein aufoktoyiertes, es entsteht im Innern. Man schämt sich seiner eingeschränkten körperlichen Leistungsfähigkeit, man trägt nichts zum Gemeinwohl bei und liegt stattdessen der Gemeinschaft auf der Tasche. War die eigene Lebensführung angemessen oder hat man durch seinen Lebensstil die Krankheit begünstigt? (astrologisch: schlechte Planeten im 6. Haus, ich habe dort Mars stehen) Oder im Falle von Arbeitslosigkeit: Hat man in der Schule gut aufgepasst, sich um eine ordentliche Ausbildung gekümmert? Hat man Bewerbungen geschrieben, wirklich Arbeit gesucht? Schläft man nicht viel lieber gerne aus bis Mittags und macht die Nacht zum Tage? (astrologisch: schlechte Planeten im 10. Haus)
Die möglichen Selbstanklagen sind vielfältig- und sie stehen einem ins Gesicht geschrieben. Das Schuldgefühl strömt aus allen Poren- und dann wundert man sich, wenn andere das bemerken?
Als ich seinerzeit meine Frührente beantragt habe, sind mir meine Schuldgefühle diesbezüglich alle bewußt geworden. Mir war klar, dass, wenn ich sie mitnehme zur Prüfungsstelle und zu den Ärzten, die mich begutachteten, dann würde die Rente abgelehnt werden. Sie wurde bewilligt. Ich habe nie ein Stigma erlebt, auch später nicht. Ich weiß aber, wie es entsteht und warum.
huerta schrieb:
Und ja, also das Schlimmste ist vorbei, Stimmen weg, aber eben, ich habe die soziale Markierung auch erst gespürt, als ich unten ankam, also erst in der Sozialhilfe. Vorher war ich einfach ich selbst und sah das ganz genau wie du, ein Mensch, ein Individuum völlig unabhängig von der gesellschaftlichen Stellung. Ich denke, es ist ein Privileg, dieser Ansicht zu sein, was wiederum meine jetztige Einsicht in Gesellschaftlichkeit ALLER Identitäten bestätigt.
Ich kann dir nur sagen, du hast 2 schlechte Planeten im Transit, die das anzeigen: Uranus in 6 (die gesellschaftliche Stellung) und Saturn in 2 (Geld und Besitz). Das ist nur vorübergehend und wird sich ändern, du wirst es wieder so sehen, wie du es vorher gesehen hast.
huerta schrieb:
Weswegen ich hier bin, ist, dass halt das 12. Haus klassisch von der Isolation spricht, die ich so deutlich spüre und meins ist voll, bin also nicht ganz sicher, ob da nicht doch was dran ist....
Ich habe dein skeptisches post im anderen thread gelesen, du willst eigentlich bloss wissen, ob an Astrologie was dran ist. Wenn die Stimmen als Projetionen entlarvt sind, ist das Schwerste geschafft. Von Isolation kann dann keine Rede mehr sein, wohl aber von freiwilligem Alleinsein. Wenn du Astrologie weiter testen willst, wende dich anderen Teilen deines Horoskops zu. Was ist mit deinen Freundschaften? Mars in 11 definiert einen Freund als jemanden, der einem Streit standhält und sich davon nicht vergraulen läßt. Motto: Nur wer sich mit mir streitet, ist mein Freund. Dh du zettelst sinnlose (für dich natürlich nicht, aber für andere) Streits an, um Freundschaften zu testen und zu festigen.
huerta schrieb:
Mit queer-feministischer Soziologie meine ich gender-studies und "Intersektionalität", das heisst herrschaftskritische, politische Soziologie um die Bereiche Feminismus, Queersexualität, Rassismus, Ableismus etc.
Deshalb stimmt es wiederum auch nicht, dass ich lediglich nach Aussen verweise, während du "Innen" suchst: Diese genderstudies v.a. rund um etwa Judith Butler vertreten eine konstruktivistische Wahrnehmungslehre, wonach wir halt die Welt wahrnehmen, wie wir sie konstruieren, konstruieren die Welt aber, wie wir sie von der Gesellschaft vermittelt bekommen, insofern, gibt es keine Differenz zwischen Innen und Aussen, nur zwischen verschiedenen Konstrukten der Wirklichkeit. Konstruktivismus steht auch jeder Essentialisierung entgegen, das heisst, es gibt nicht etwas Festes, worauf unsere Wahrnehmung referiert, sondern nimmt nur immer wiederum auf andere Konstrukte Bezug - insofern ist unsere Wahrnehmung also ein Beziehungsgeflecht von medial vermittelten Konstrukten und das IST SOZIAL, DAS HEISST GESELLSCHAFTLICH UND NICHT INDIVIDUELL.
Ah, ok, dh du bist über Gesellschaftskritik (der Transit-Uranus in 6, der schon Jahre andauert) zum Konstruktivismus gekommen. Daher auch deine Kritik an der Astrologie, die für dich nur deshalb Treffer erzielt, weil die Wahrnehmung subjektiv das sieht, was sie sehen will, und alles andere ausblendet.
Ich stimme dir zu, dass Innen und Aussen dasselbe ist. Ich bin die Welt, die Welt ist ich. Die Frage ist, wie man zu dieser Erkenntnis kommt. Ich sage: Indem man bei sich ansetzt. Die Welt kann ich nicht ändern, mich schon.