@McCoy, zunächst ganz allgemein: Den Frust, den Du hier zum Ausdruck bringst kann ich gut nachvollziehen und Du rennst teilweise bei mir offene Türen ein. Ich glaube nur nicht, dass dieser Frust hier zielführend ist bzw. im Gegenteil die "falschen Leute" trifft.
Du hast u.a. vor zwei Wochen geschrieben:
Das sehe ich anders. Wir leben in einer Demokratie und in einer Marktwirtschaft, wir Endverbraucher haben mit unserem Wahl- und Konsumverhalten so ziemlich alles in der Hand.
Und mit dem Satz hast Du zwar Recht, versuchst aber das Problem an der falschen Stelle zu packen. Noch keine Kriese wurde dadurch gelöst, dass sich plötzlich alle Menschen einsichtig und vernünftig verhalten haben. Und Du beschreibst zwar richtig, dass vor allem die reicheren Menschen mehr konsumieren und alleine deswegen mehr CO2-Emissionen verursachen, aber die Schräglage ist nicht ganz so drastisch, wie Du es darstellst.
Mal etwas im Detail zum jüngsten Beitrag:
Die ärmere Hälfte der Deutschen muss sich für diese Halbierung gar keine Mühe geben, sie wird durch ihre wirtschaftlichen Verhältnisse dazu gezwungen. Sie verursacht mit durchschnittlich 5,4 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr nicht nur jetzt schon ziemlich genau das, was das Klimaschutzgesetz als Ziel für das Jahr 2030 vorgibt, der ärmere Teil der Bevölkerung hat auch überproportional viel zu den CO2-Einsparungen der letzten Jahrzehnte beigetragen, während die Emissionen der Superreichen sogar zugenommen haben.
Dieser Vergleich hinkt vielleicht etwas:
Um die durchschnittlichen pro-Kopf-Emissionen zu berechnen (soweit ich mich erinnere 11 bis 12 Tonnen pro Kopf und Jahr), nimmt man ganz einfach ALLE Emissionen in Deutschland und teilt sie durch die Anzahl der Einwohner. Damit werden aber auch die Emissionen auf die Einwohner rechnerisch verteilt, die keine Einzelperson in der Hand hat. Also z.B. Energiegewinnung, (Stahl- und Beton-)Industrie bzw. auch Industrie allgemein, Gebäudebau...
Wie kommen jetzt die 5,4 Tonnen zustande, die Du hier der ärmeren Hälfte des Landes zuschreibst? Auch diese ärmere Hälfte kauft im Einkaufszentrum ein und nutzt dieses. Auch diese Menschen heizen ihr Haus bzw. ihre Wohnung und wohnen wahrscheinlicher im Beton-Wohnblock als im Öko-Holzhaus. Diese Menschen bezahlen sicher nicht alle Öko-Strom - bzw. selbst wenn sie es täten würde das am Energiemix leider rein gar nichts ändern, weil dieser nicht davon abhängt welche Energie bezahlt wird, sondern welche wie produziert wird. Auch wenn ALLE Einwohner Deutschlands nur noch bei Ökostrom-Anbietern wären, hätten wir immernoch Kohlekraftwerke, deren Betrieb dann ggf. auch von den Ökostrom-Anbietern zähneknirschend mit-bezahlt werden müsste.
Wem sind die Emissionen anzulasten, die diese Kohlekraftwerke verursachen? Allen Menschen, die den Kohlestrom mit konsumieren (weil sie es müssen), oder nur denen, die ihn wissentlich produzieren? Wem sind die Emissionen anzulasten, die beim Bau von Wohnkomplexen und Einkaufszentren entstehen? Nur den Erbauern und Investoren oder nicht auch den Menschen, die diese Wohn- und Einkaufsmöglichkeiten nutzen (teilweise auch nutzen müssen)?
Es ist leicht, den eigenen CO2-Fußabdruck in den gängigen Fußabdruck-Rechnern gefühlt zu reduzieren und sich dann auf die Schulter zu klopfen, weil man damit deutlich unter dem Durchschnitt von 11 bis 12 Tonnen liegt, weil in diesen Rechnern nicht all diese Emissionen beinhaltet sind, die man als Individuum gar nicht in der Hand hat, aber indirekt trotzdem mit-konsumiert.
Den eigenen realen Fußabdruck inklusive all dieser mittelbaren Nutzung der Infrastruktur etc. wirklich zu halbieren, ist deutlich schwieriger, und das schafft glaube ich auch nicht die ärmere Hälfte Deustchlands, sondern nur ganz wenige Menschen, die sich wirklich sehr viel Mühe geben und Mehrkosten in Kauf nehmen.
Und wenn wir die ganze Zeit nur auf diesen individuellen Fußabdruck schielen und nur missmutig auf die Klimasünden anderer Individuen mit dem Zeigefinger zeigen - am besten noch mit dem Framing "die Superreichen" o.ä. - werden wir das Problem nicht lösen. Dieser missmutige Blick darauf, worauf man noch verzichten sollte, bzw. mit dem Zeigefinger auf die zu zeigen, die vielleicht nicht genug verzichten, lenkt von den Hauptverursachern ab, von denen wir aber auch teilweise mit-abhängen und so an deren Treibhausgas-Emissionen mit-teilhaben. Dass ist diesen Hauptverursachern auch nur zu Recht - nicht umsonst wurde der Begriff des
individuellen CO2-Fußabdrucks ausgerechnet von BP sehr prominent ins Spiel gebracht.
Wie gesagt: Noch keine Kriese wurde dadurch gelöst, dass sich plötzlich alle Menschen einsichtig und vernünftig verhalten hätten.
Wer wirklich Angst vor einer deindustriealisierten, sozialistischen und veganen Ökodiktatur hat, der hat sich sich von soetwas wie einem faktenbasierten, politischen Willensbildungsprozess sowieso verabschiedet und ist durch Argumente kaum noch zu erreichen.
Es sind vor allem die AfD, die dieses falsche Framing betreibt, und FDP wie auch große Teile der CDU/CSU machen dabei leider tatkräftig mit. Und leider scheint das zu wirken, dass ausgerechnet diese Parteien - leider vor allem auch die AfD - einen gewissen Zulauf genießt. Es mag sein, dass die Mehrheit der AfD-Wähler dieses Framing gedanklich nicht mitmacht... sie wählen es aber. Das kommt dann leider aufs gleiche raus.
Was meiner Meinung nach viel mehr Menschen gegen die real existierende Klimapolitik aufbringt, ist deren himmelschreiende soziale Unausgewogenheit, durch die sich die ohnehin schon weit auseinanderklaffende Schere zwischen arm und reich noch weiter öffnet. (...)
Absolut. Das ist der Teil, mit dem Du bei mir offene Türen einrennst, und wo ich am liebsten Fragen würde: "Wo kann ich auch unterschreiben?" Aber Du siehst es ja selbst: Die Menschen wählen nicht so. Sie sehen nur: "Die Grünen machen es schlecht und wollen uns alles verbieten..." (was so in der Form nicht stimmt), "... deswegen wählen wir lieber die Parteien, die gar keinen Klimaschutz machen und wir weiter unsere Wohnung heizen dürfen."
Ich musste erst mal nachsehen, was ein Reel ist...
Das mag ja schön veranschaulichen, wieviele Arbeitsgänge nötig sind, um so etwas wie eine Pizza zu machen, ansonsten macht das Ganze für mich nicht viel Sinn, auch was die Klimafreundlichkeit angeht. Warum erst Dinkelkörner und Milch kaufen (sie wird ja wohl weder ein Dinkelfeld noch eine eigene Kuh haben), und die dann umständlich selbst zu Mehl und Käse verarbeiten? Das überlassen die Menschen schon seit Jahrtausenden Profis, nicht umsonst sind die Namen Müller und Meier so verbreitet. Dann braucht es eine eigene Getreidemühle, die Utensilien fürs Käsen usw. Ich sehe nicht, wo da CO2 gespart wird.
Und wenn man bedenkt, wieviel Energie beim wahrscheinlich zigtausendfachen Streamen dieses Reels verbraucht wird, wäre es fürs Klima wohl sowieso besser gewesen, eine Tiefkühlpizza zu essen, aber dafür darauf zu verzichten, ein Video davon in die Timelines dieser Welt zu spülen.
Die Frau im Reel und ihre Kinder sahen schon sehr "alternativ" aus - beinahe eine Karikatur des Klisches. Entweder sie leben wirklich so; dann würde mich aber auch nicht überraschen, wenn sie gänzlich Selbstversorger inklusive eigenem Dinkelfeld und Kuh wären. Die Getreidemühle war übrigens ein Mühlstein und Handbetrieben. Dann und damit würden sie ihren individuellen CO2-Fußabdruck auch wirklich deutlich senken - sie würden die Halbierung damit vielleicht wirklich schaffen... aber eben auch unter deutlich mehr Aufwand und Kosten für sich.
Oder das Video ist eine ironische Aktion von Klimaschutz-Gegnern im Sinne von: "Schaut mal, wohin uns die Grünen treiben wollen."
Das mag ja sein, erklärt aber nicht, warum es weiterhin ungebremst Jahr für Jahr mehr Autos gibt, die im Schnitt auch noch immer größer, schwerer und leistungsstärker werden.
Stimmt, das erklärt es nicht. Aber wer kauft die Autos und warum? Anstelle uns über jeden Neu-SUV aufzuregen, den wir auf der Straße sehen mögen und die Nase über die Reichen zu rümpfen, die mit ihrem Konsumverhalten mehr CO2-Emissionen verursachen als die Armen, sollten wir uns eher fragen: Wer kauft warum ein Auto? Da gibt es dann z.B. auch den Berufspendler, nicht unbedingt ein Super-Reicher, dem der Verkäufer im Autohaus aufschwatzt: "Und schauen sie mal, mit dem SUV da können sie hinten auch mehr Kindersitze einbauen. Und sie sind sicherer..." Und wenn das Angebot einigermaßen günstige SUV parat hält, ist der leider auch schnell gekauft.
Wir haben zwar, wie Du richtig schreibst, mit unserem Wahl- und Konsumverhalten sehr viel in der Hand. Im Gegenzug beeinflusst aber auch sehr vieles unser Wahl- und Konsumverhalten.
Das Ziel ist und muss sein, dass deutlich weniger Autos benötigt werden - egal ob mit Verbrenner- oder Elektroantrieb. Die Infrastruktur muss geschaffen werden, dass der Individualverkehr reduziert werden kann. So lange die Infrastruktur das nicht hergibt, werden aber mehr und mehr Autos gekauft werden. Und wenn die Autohersteller mehr und mehr SUVs herstellen, werden auch die gekauft werden (müssen). Wer hat da diese Stellschraube in der Hand? Wer kann realistisch dafür sorgen, dass weniger Autos benötigt und deswegen auch weniger verkauft werden? Wie weit können wir das nur mit unserem Konsumverhalten steuern, ohne dass es deutlich Mehraufwand für uns bedeuten würde? DAS sind die meiner Meinung nach wichtigen Fragen hier.