Auch den Bogen den Jan van Helsing immer wieder zu jüdischen Bankern wie Paul Warburg schlägt, soll den Anschein erwecken, dass jüdische Banker die eigentlich Mächtigen dieser Welt sind. So behauptet Jan van Helsing im Kapitel 10 des zweiten Buches "Geheimgesellschaften", dass das Haus Rothschild (Rothschild ist ebenfalls Jude) für die größte Währungskrise 1907 in Amerika verantwortlich ist, in deren Folge die Federal Reserve Bank mit dem "Agenten" Paul Warburg an der Spitze erzwungen wurde. Damit möchte Jan van Helsing offensichtlich den Eindruck erwecken, als sei Paul Warburg ein vorgeschobener Agent jüdischen Finanzkreise. Schauen wir uns die Entstehung der Federal Reserve Bank einmal etwas genauer an.
1910 trafen sich Senator Nelson Aldrich, Frank Vanderlip von der National City Bank (heute: Citibank), Henry Davison von der Morgan Bank und Paul Warburg von Kuhn & Loeb Investment-House heimlich auf Jeckyll Island, einer Ferieninsel an der Küste Georgias. Sie diskutierten über eine Bankenreform und formulierten Pläne für die Ausgestaltung einer amerikanischen Zentralbank. Sie trafen sich heimlich, weil sie davon ausgingen, dass jeder Plan, den sie entwickelten, automatisch vom Repräsentantenhaus abgelehnt werden würde, wenn er mit der Wallstreet in Verbindung gebracht werden würde.
Weil das Treffen in Jekyll Island einerseits geheim war und andererseits eine Verbindung zur Wallstreet bestand, ist es immer wieder eine ergiebige Quelle für viele Verschwörungstheoretiker. Jedenfalls waren die Bemühungen für eine grundlegende Reform des Geld- und Bankenwesens sehr wohl überlegt. Aber der Aldrich-Plan, der in Jekyll Island in geheimer Sitzung ausgearbeitet wurde, wurde vom Abgeordnetenhaus abgelehnt. Selbst wenn das geheime Treffen auf Jekyll Island also eine Verschwörung gewesen sein soll, so scheiterte sie kläglich.
Der Aldrich-Plan sah ein System von 15 regionalen Zentralbanken vor, den National Reserve Associations, deren Aktionen von einem nationalen Ausschuss, der aus kommerziellen privaten Bankern bestand, abgestimmt wurde. Die Reserve Association sollte im Notfall Kredite an ihre Mitglieder verleihen. Weiter sollte sie eigenes Geld ausgeben, um flexibler auf die Währungsunsicherheiten reagieren zu können. Die National Reserve Association sah sich dabei in der Rolle eines finanzpolitischen Beauftragten der Bundesregierung. Obwohl der Aldrich-Plan vom Repräsentantenhaus abgelehnt wurde, diente er als Grundlage für das Federal Reserve Gesetz von 1913, welches schließlich angenommen wurde.
Das Problem des Aldrich-Plans bestand darin, dass die regionalen Zentralbanken individuell und national von privaten Bankern kontrolliert werden sollten. Dies war eine Aussicht, die den Demokraten und Präsident Wilson, der sich sehr energisch gegen ein monopolistisches Finanzkartell ausgesprochen hatte, nicht sehr gefiel. Als die Debatte im Frühjahr 1913 konkrete Formen annahm, trat der Kongressabgeordnete Arsene Pujo den Beweiss an, dass der nationale Kreditmarkt unter der festen Kontrolle einer Handvoll Banken, dem sogenannten "Money Trust" (Geldkartell) stand, vor dem Präsident Wilson so gewarnt hatte. Darum strebten Wilson und die Demokraten eine Reform an, die die Kontrolle dezentralisierte und nicht unter der Obhut des Geldkartells stellte.
Das Gesetz, welches schließlich verabschiedet wurde, war das Federal Reserve Gesetz (Bundesbankgesetz), welches seinerzeit auch als Currency Bill (Währungsgesetz) oder Owen-Glass Gesetz bezeichnet wurde. (Carter Glas aus Virginia wirkte im Kongress und Robert L. Owen aus Oklahoma im Senat an dem Gesetz mit.) Verabschiedet wurde schließlich ein Gesetz über 8 bis 12 autonome private regionale Reserve Banks, die ihre Aktionen mit dem Federal Reserve Board, der staatlichen Zentralbank, abzustimmen hatten.
Die Mitglieder der staatlichen Zentralbank, inbegriffen der Finanzminister, der Buchprüfer des Bundesrechnungshofes und andere Beamte, wurden vom Präsidenten der Vereinigten Staaten, Woodrow Wilson, persönlich ernannt. Sie alle sollen die Interessen der Öffentlichkeit vertreten. Das ursprünglich von Aldrich vorgeschlagene Federal Reserve System blieb zwar in privater Hand, aber es wurde staatlich kontrolliert. In dieser Form verabschiedete Präsident Wilson am 23. Dezember 1913 das Gesetz und das Federal Reserve System ward geboren. (
The Federal Reserve Act of 1913)
Man hatte also sehr wohl die Gefahren des Geldkartells erkannt und stellte deshalb die amerikanische Notenbank (FED) unter staatliche Kontrolle. Paul Warburg kam dabei deshalb eine entscheidende Rolle zu, weil die amerikanische Zentralbank (FED) nach dem Vorbild der deutschen Zentralbank, mit der er als gebürtiger deutscher Banker ja bestens vertraut war, gestaltet werden sollte. Den ihm angebotenen Vorsitz der Federal Reserve Bank lehnt Paul Warburg aber als eben erst in Amerika eingebürgerter deutscher Jude ab. (
Paul M. Warburg)
Der sogenannte
Warburg-Bericht zählt übrigens zum Standardrepertoire antisemitischer Autoren. Dieser Bericht erschien 1933 in Amsterdam. Als Autor wurde ein nicht existenter "Sidney Warburg" genannt. Kernpunkt des Buches ist die Behauptung, jener "Sidney Warburg" habe Hitlers Aufstieg zur Macht mit umfangreichen finanziellen Mitteln ermöglicht und damit zionistische Ziele verfolgt.
Nachdem der Verlag erkannte, dass man einem Schwindel aufgesessen war, wurde die Produktion eingestampft, der Verleger entschuldigte sich bei Warburg. Einige Exemplare waren jedoch bereits in den Verkauf gelangt und tauchten später wieder auf. Nach mehreren Erpressungsversuchen der Warburgs durch den Schweizer Nazi-Sympathisant René Sonderegger alias Severin Reinhardt brachte dieser die Fälschung 1947 unter dem Titel "Spanischer Sommer" heraus.
Die Familie Warburg war nicht zum ersten Mal das Ziel von Angriffen. Der amerikanische Automobilproduzent Henry Ford verfolgte voll Argwohn die Bemühungen des Bankiers Paul Warburg, in den Vereinigten Staaten eine Zentralbank nach deutschem Muster zu etablieren. Die zahlreichen Publikationen Fords strotzten vor antisemitischen Ausfällen und Beleidigungen gegen die Warburgs.
Der deutsche Verleger von Ford, Theodor Fritsch, war wegen massiver öffentlicher Beleidigungen, die sich gegen den Hamburger Bankier Max Warburg, einem Bruder Paul Warburgs, richteten, mehrfach rechtskräftig verurteilt. Ford hatte sich schließlich 1927 für die unhaltbaren Anschuldigungen öffentlich entschuldigt. (Er produzierte allerdings weiterhin im Dritten Reich insgesamt 78.000 LKW und 14.000 Kettenfahrzeuge für die deutsche Wehrmacht und unterstütze auch die Nationalsozialisten finanziell. Dafür wurde er von Hitler mit dem Großkreuz des Deutschen Adlerordens ausgezeichnet.) Fritsch dagegen setzte seine publizistische Agitation gegen die Warburgs nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ungehindert fort.