"Die Männer, die wollen die Traumfrau auf dem Zimmer haben. Wenn ich eine Beziehung habe, die auch länger geht, stöhne ich nicht durch die Gegend oder schrei ordinäre Ausdrücke. Mal stöhnen vielleicht ein bißchen, ja, aber im Bereich des Normalen. Und was die wollen (lacht): 'Meine Stute, mein Hengst, mein was weiß ich' (lacht). Klar mußt du das [schauspielern]. Oder wenn sie dich dann fragen: 'Kommst du auch?' Depp du Blöder, 'Ja, natürlich komm ich.' (Wir lachen beide.) Und je mehr du schauspielerst, desto schneller kommen die Männer. Du wärst blöd, wenn du's nicht tust, denn dann hast du mehr Arbeit. Und mehr Arbeit geht dann mehr auf die Psyche. Also machst du's automatisch."
"Viele kamen, die haben gesagt, '[...] komm, wir setzen uns hin, wir rauchen zwei, drei Zigaretten, wir trinken einen Kaffee, und wir reden nur.' Passiert oft. Und du hilfst auch viel mit Reden. Die brauchen dann nur jemanden, der ihnen zuhört."
In keinem anderen Beruf ist der soziale und physische Kundenkontakt so nah, wie zwischen einer Prostituierten und ihrem Freier. Um die Sexarbeit über längere Zeit hinweg ausüben zu können, muß sich die Sexarbeiterin ihre emotionale Unabhängigkeit gegenüber dem Kunden erhalten. Dazu setzt sie verschiedene Strategien ein. Zum einen versucht sie sich weitmöglichst vom Freier abzugrenzen. Zum anderen halten viele Prostituierte Privat- und Berufsleben strikt getrennt.
Für die Abgrenzung der Prostituierten zu ihrem Kunden ist es wichtig, daß sie den Kontakt klar als Geschäftsverhältnis definiert und dabei deutliche Grenzen setzt. Dies bewerkstelligen die Sexarbeiterinnen, indem sie sich durch die Einführung von Tabubereichen eine eigene Intimsphäre schaffen und bewußt Sex und Gefühlswelt trennen.
Dazu gehören körperliche Tabuzonen, die dem Lebensgefährten oder Ehemann vorbehalten sind und die der Freier zu respektieren hat. Birgit berichtet, wie sie von einer erfahrenen Prostituierten eingelernt worden ist:
"Gesicht und obere Hälfte des Körpers, also ab dem Kopf, war für die Freier tabu. Und nicht an dich ranlassen, das war alleroberstes Gebot. [...] Das war tabu, absolut tabu. Kein Küssen, der Freier durfte auch nicht mit seinem Kopf an deinen Hals oder so, das war einfach damals so."
"Ich finde, ein Zungenkuß ist das Intimste, was es überhaupt gibt. Wenn ich heute einen Geschlechtsverkehr habe, dann mache ich da einen Präser drüber, das ist nicht so intim, als wenn ich mit einem Mann einen Zungenkuß austausche. Ich finde, ein Zungenkuß ist was ganz Intimes, das sollte man wirklich bloß mit seinem Partner machen und nicht mit irgendeinem, der ein Gebiß drin hat oder Knoblauch gegessen hat oder sonstiges."
"Ich habe meine Arbeit immer so gemacht, daß ich dieses Geknuddele und Gekrabbele möglichst raushalten wollte, ich habe Sex verkauft und nicht Zärtlichkeit. Natürlich kommt man in Situationen, wo man einen Mann da hat, der echt sympathisch und nett ist und der einen vielleicht auch recht anmacht, das kommt vor. Aber da, denke ich, ist Professionalität, daß man sich dann sagt, 'ich übe hier meinen Beruf aus' und daß man da gar nichts zuläßt und das vollkommen trennt. Das sind Kunden, das sind Freier, das sind keine Menschen, mit denen ich in meinem Privatbereich Kontakt haben möchte."
Ein Freier ist für Nadine kein Mensch, zu dem sie ein freundschaftliches Verhältnis aufbaut, er ist nicht mehr und nicht weniger als ein Geschäftspartner. Sie verkauft ihm Sex, ihre Gefühle haben mit dem Geschäft nichts zu tun. Meine Interviewpartnerinnen berichten auch, daß sie einem Freier nie etwas von sich preisgeben. Er kann gerne über seine Probleme oder sein Privatleben sprechen; die Sexarbeiterin aber hält sich mit Persönlichem zurück, oder sie erzählt ihm eine erfundene Geschichte. Die Distanz zum Kunden verstärkt sich durch die Verkleidung, in der viele Prostituierte schon wegen ihres Doppellebens arbeiten. Läßt sich die Sexarbeiterin unter einem anderen Namen ansprechen, erfährt der Kunde noch weniger über ihre Person.
"Als Prostituierte zu arbeiten, hat recht wenig mit einfach hinlegen und Beine breit machen zu tun. Ich bin die Aktive, die arbeitet. Und bei der Arbeit kann ich mich eben nicht auf Erotik und Sexualität konzentrieren. Um einen Orgasmus zu bekommen, muß ich wenigstens eine entspannte Atmosphäre haben, und das habe ich bei der Arbeit nie. Ein Frauenarzt packt mir auch in die Scheide und bekommt davon keine Erektion -- das ist genauso" (in HWG).
Auch das 'Falle schieben', bei dem der Geschlechtsverkehr nur vorgetäuscht wird, indem die Sexarbeiterin den Penis des Mannes an ihrer Schenkelinnenseite reibt, hilft manchen Sexarbeiterinnen, sich von ihren Kunden abzugrenzen. Franziska erzählt von einem Hochgefühl, wenn sie es geschafft hat, einen Freier durch die 'Falle' zu täuschen:
"Also ich lach dann oft, mei sind die blöd die Männer, aber das gibt mir wieder einen Kick, wo ich sag: 'wow super'. Und dann bin ich wieder eine Stunde gut drauf und lache (lacht)."
Die Falle, die nur noch wenige Sexarbeiterinnen wirklich beherrschen und noch weniger Frauen regelmäßig anwenden, hat für Franziska zwei Effekte. Einerseits kommt es nicht zum Geschlechtsverkehr, was die Nähe zum Freier verringert. Andererseits fühlt sie sich ihrem Kunden gegenüber überlegen, weil er die Täuschung nicht bemerkt hat.
Weiterhin ist auffällig, daß viele Sexarbeiterinnen sich über außergewöhnliche Wünsche ihrer Kunden, wie zum Beispiel den Einsatz von Fetischen, lustig machen. Sie distanzieren sich von ihren Freiern, indem sie zeigen, daß sie kein Verständnis für deren 'abstruse' Vorlieben haben.
"Ganz einfach aus dem Grund, wenn ich hier rauskomme, das ist wie für jeden anderen, der aus dem Büro kommt. Er möchte erst einmal abschalten und möchte dann privat sein. Ich denke, man kann es sonst nicht trennen. Wenn man sich mit Kolleginnen nach Feierabend trifft, dann spricht man zwangsläufig übers Geschäft, [...] und das will ich nicht. Ich will abschalten, ich will meinen Ausgleich haben, der ist wichtig, grad für den Beruf ist es wichtig, ihn zu haben und mein Bekanntenkreis, die haben alle mit der Prostitution nichts zu tun."
Die Kunst einer Prostituierten liegt vor allem darin, den Widerspruch zu verbergen, den das Prostitutionsgeschehen mit sich bringt. Einerseits ist die Sexarbeit ein knallhartes Geschäft, andererseits erhofft sich der Kunde echte Leidenschaft. Eine professionelle Prostituierte kann dem Freier durch Einfühlungsvermögen und schauspielerische Fähigkeiten die Illusion einer persönlichen Beziehung schaffen. Nach Abschluß des Kaufvertrages beginnt sozusagen die 'Vorstellung', bei der dem Kunden scheinbar wahre Zuneigung entgegengebracht wird. Gleichzeitig bleibt der Sexarbeiterin immer bewußt, daß sie bei ihrer Arbeit mit dem Kunden in eine Rolle schlüpft; sie kann sich so trotz des engen Kundenkontaktes ihre emotionale Unabhängigkeit bewahren. Je professioneller eine Frau arbeitet, desto größer ist ihre Autonomie, und die Belastung durch die Sexarbeit ist geringer. Dies ist vor allem für Prostituierte wichtig, die über längere Zeit in ihrem Beruf arbeiten.
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