Hm. Das ist interessant. Ich gehe nicht davon aus dass es sowas wirklich gibt. Ich halte es für eine religiöse Behauptung im Rahmen des gut-böse Spiels.
Schade daß Du dein Gewissen nicht kennst. Ich bin mehr oder minder laufend im Dialog mit ihm. Das Gewissen schreibt mir nicht vor, was gut ist oder böse. Das kann höchstens Erziehung schaffen. Ich habe ein christlich geprägtes Gewissen, und das ist rein menschlich. Es macht mich darauf aufmerksam, was ich tue und welche Folgen das für mich und Andere hat. Mehr nicht. Es maßregelt mich nicht, und schon gar nicht andere Menschen. Ich bin ja kein Erzieher und Gott ist das schon gar nicht.
Okay, schönes Beispiel. Ich stimme zu dass Sexualität etwas Heiliges ist.
Nun ist "heilig" aber ein Hilfsbegriff, um eine seelische Erfahrung zu beschreiben, die sich kaum fassen läßt. Wenn ich es also nicht zum Sex mit Fremden kommen lasse, dann deshalb, weil ich diese seelische Erfahrung des "heiligen" wertvoller und bereichernder finde und ein ONS demgegenüber kaum Freude machen wird. Das hat für mich nichts mit Gewissen zu tun, sondern ist genauso wie wenn ich etwas nicht esse weil es mir nicht schmeckt. Von daher durchaus hedonistisch.
Doch, für mich ist das Teil des Gewissens. Gewissen ist diejenige Instanz meiner Kognition, die überprüft was ich tue, und zwar zumeist im Unterbewusstsein. Oft bemerke ich nur die psychischen Bewegungen, welche durch das Gewissen verursacht wird. Ich fühle mich dann gut oder schlecht, belastet oder frei. Das entscheidet das Gewissen im Unterbewusstsein, es gestaltet sozusagen die Psyche. Beobachte ich meine Psyche und ihre Reaktion auf mein Leben, so gibt mir das Auskunft über meine Bestrebungen und meine Moral, die ich dabei verwende. So lerne ich mich kennen, indem ich mein Gewissen erforsche und nicht nur meinen Gedankenflüssen zuhöre, die meine Psyche mir gibt.
Ich will es mal so sagen: unter der Decke, die ich durch Meditation aufdecken kann, steckt das Gewissen. Und das ist der eigentliche Trieb, den ich pflegen kann oder nicht. Ich kann auch körperlich betont leben, wenn es mit meinem Gewissen vereinbar ist. Aber vielleicht sollte ich dennoch nicht völlern, weil andere nichts haben. Und ich sollte vielleicht auch nicht allzu wollüstig sein, weil auch andere Zeiten kommen und ich dann meine Sinnesbefriedigung vermissen werde. Ein bisschen Bescheidenheit ist also vermutlich auch für Hedonisten nicht unförderlich.
Den Heiligkeitsbegriff zu definieren fällt mir natürlich schwer als Mensch. Ich habe keinen heiligen Geist, daher auch kein heiliges Gewissen. Vermutlich muß ich dann doch das, was heilig ist, aus der Religion schöpfen. Meine Sexualität kann ich dazu zählen, wenn ich das möchte. Dann ist meine Sexualität heilig.
Aber Sex bleibt dann wohl doch ein körperlicher Akt? Wenigstens bei mir ist es eher so. Dient der Lustbefriedigung, und bei mir dann auch noch dem Auffüllen eines Mangelgefühls in mir drin, das ich für kurze Zeit gestillt fühle, wenn ich Sex habe. (aber das ist mein persönliches Problem und nicht auf andere anzuwenden natürlich. Überprüfen kann man es aber dennoch, ob man nicht den eigenen Partner mißbraucht, um einen Mangel in sich selber aufzufüllen. Das ist deshalb nicht gut, weil Menschen sich ändern und keiner meinen speziellen Mangel dauerhaft befriedigen kann. Ich muß also, weil ich mich verändere und der Partner auch, die Partner wechseln und immer denjenigen mir nehmen, der meinen momentanen Mangel erfüllt. Mir ist das ja zu blöd.)
Offensichtlich. Und da frage ich mich dann: kennen diese Menschen womöglich nichts besseres? Oder sind sie gefangen in ihrer Vorstellung von Rollenerwartungen?
Da an ein Gewissen zu appellieren scheint mir nicht angemessen. Eher scheint mir eine art
Lernen des Empfindens und Wahrnehmens nötig, ein "auf den Geschmack kommen" gewissermaßen.

Aber vielleicht irre ich mich auch...
Nein, bestimmt irrst Du da nicht.
Es ist halt die Frage, wie man Menschen beibringen kann, daß sie ein Gewissen haben und daß dies eine Stimme in ihnen selber ist, die unterhalb der heute fast nur wahrgenommen Gefühlsregung und den Regungen der Psyche liegen. Man ist heut gern selbst und authentisch, das ist heute halt Mode. Was dabei herauskommt aus diesem Individualismus und welche Auswirkungen das auf die Welt hat, wenn wir hier gewissenlos unsere Hochkultur kaputt kultivieren und wenn wir uns unsere Nischen suchen, in denen wir gefühlsmässig aussteigen aus dem Taumel der Welt und uns ein inneres Milieu des Ichs schaffen, das keine grösseren Aufgaben oder Werte kennt als die Befriedigung der eigenen Wünsche - das ist uns egal. Hauptsache das Smartphone zeigt an, daß die Facebook-Freunde gerade beim Italiener Pizza essen. Das ist doch wichtiger, durch smartphone ist man verbunden. Wer braucht da noch Verbindung nach Innen oder gar zu Gott?!
Ja, dann sind wir uns ziemlich einig.
Natürlich sind wir das, wir beide haben nur die Angewohnheit, wenn wir mal miteinander kommunizieren, aneinander vorbei zu kommunizieren.
Ich hatte eben, von Deinem Klischeebegriff angeregt, ein bischen die kulturelle Entwicklung betrachtet. Da hatten wir irgendwann die Hippies, ursprünglich ausgehend von Leuten, die das das Bestehende ablehnten (Ginsberg, Burroughs, Kerouac, ...) und in ihrem Selbstverständnis Neuland beschritten haben. Gegen 1967 ist das dann zur Mode geworden, wurde vermarktet, und bekam ein Klischee. Irgendwann tauchten dann die Punks auf, weil ihnen das happy-new-age unecht erschien, und sie sehen mussten dass Arbeiterkinder davon auch nicht viel bessere Chancen haben, und haben ihre eigene Szene mit durchaus eigenen Werten begründet. Das ist dann wiederum populär geworden und schliesslich als "Edel-Punk" in den Modehäusern aufgetaucht. Momentan passiert dasselbe u.a. mit der Mittelalter-Szene.
Auch wenn ich das hier jetzt nur klischeehaft

in einigen Facetten beschreiben kann, sehe ich da doch eine fortschreitende Dynamik, in der (junge) Menschen immer wieder dazu veranlaßt werden, etwas eigenes zu entwickeln, was dann populär wird und sich zum Klischee wandelt, wobei freilich die Werte dann nicht mehr enthalten sind.
Ja, natürlich. Erst ein Ausbruch aus dem Klischee, und dann wird der Ausbruchinhalt selber zum Klischee. Das geht so hin und her zwischen den Generationen, gell?
Ich will jetzt wirklich nicht kitschig sein, aber ich nehme an daß in einer Kultur, in der es Werte gibt, über die in allen Generationen Einigkeit besteht, dieses ständige Abgrenzen von der Altengeneration nicht nötig ist. Das ist nur in einer Zeit nötig, die nichts wert ist, und in der leben wir. Mitten in der Apokalypse, mitten in der Hölle sozusagen.
Ich weiss nicht ob man dem etwas entgegensetzen sollte oder könnte - es erinnert mich eher ein bischen an die Dynamik der indischen Lehre von den Zeitaltern.
Ich denke dem kann man nur persönlich etwas entgegensetzen. Aber das ist dann nicht immer sehr populär für die Umgebung. Stelle ich immer wieder fest.
Nachtrag:
Interessant, damit kommst Du also auch auf den Aspekt der Wahrnehmung und Sinnlichkeit, der da fehlt. Dann ist mein "schmecken" vielleicht nicht unpassend.
Gott schmecken- das wär mal so ne Sache. Ohne Glaube, nein, besser ohne Religion keine Werte. Glauben tuen sie ja viel, die Leute heute, die in ihren Illusionen vor sich hinleben.
Weißt Du, ich habe etwas ziemlich Verrücktes gemacht zum Jahreswechsel: Jesusgebet. Dabei ist sicher im gehobenen dreistelligen Bereich das Gebet "Herr erbarme Dich der Welt" in mir gefallen. Das wird schon seine Gründe haben, daß mein Gewissen nicht in der Lage ist, den Menschen zu verzeihen für das, was sie so anrichten und das ich diese Bitte daher an Gott wenden muß. Er verzeiht mir, daß ich das nicht verzeihen kann, denn er ist grösser in seinen Werten als ich.
lg, das heißt liebe Grüsse an Dich, lieber PPMc
Von Herzen.
