Einhörner fliegen nicht

Es heißt in Freund Carlos' Büchern, die Kraft würde Freiwillige verabscheuen. Im Advaita-Vedanta lässt sich ebenso lesen, dass man nur durch 'Gottes Gnade' erleuchtet wird. Man kann sich also noch so anbieten oder anstrengen, - wenn der Herrgott net will, nützt es gar nix. Ist so. Sagen und schreiben sie. Aber wie immer sollte man bei derartigen Schriften tiefer gehen. Ganz besonders beim Advaita-Vedanta, denn da haben Götter kaum einen Platz, da nur das Absolute, die ebenso unpersönliche Kraft wie bei Carlos, zählt.

Wer würde sich freiwillig anbieten oder anstrengen, um in einen derartig hohen Stand erhoben zu werden? Na klar, die Egoisten und Verweigerer!

Lass dein Ego los! Sagt sich so leicht und ist im Grunde genommen gar nicht möglich, denn als Person habe ich nun mal ein Ego, bin ich ich. Also worum geht es da wirklich? Und was ist mit Ego gemeint? Ich glaube, es ist (ganz einfach gedacht) das Ich-bin-zuerst-dran und das Es-muss-immer-so-geschehen-wie-ich-will. Lasst doch mal andere ran an den Speck und auch mal andere Führer spielen. Ist doch nur ein Spiel, dieses Scheiß Leben.

Und da sind wir schon beim nächsten Punkt, der es einem unmöglich macht, erleuchtet zu werden. Mal vorweg, ich wage zu sagen: da gibt es nichts, was uns irgendwas verweigern könnte. Nicht mal bei Freund Carlos, da er als neuer Nagual einige Gesetze aufgehoben hat. Und jetzt, wo er wohl auch in einer Vision wie Don Juan und Don Genaro verweilt, ist es seinen Anhängern und Nachahmern selbst überlassen, wie sie den 'Nagualismus' interpretieren.

Wir sind beim Punkt - Scheiß Leben. Flucht bringt dich nirgendwo hin, sagte einst Kim, als wir noch schriftliche Gespräche führten. Halte aus. Halte durch. Es sind doch immer nur die eigenen Gedanken, die alles noch viel schlimmer machen, als es ist. Also, mit: Ich halte das nicht mehr aus, deshalb will ich in eine andere Welt, am besten gleich ins Absolute – funktioniert es gar nicht. Da kommt noch eher ein Kamel durchs Nadelöhr und vielleicht auch ein oder zwei Egoisten. Und von einem Moment zum anderen geht’s auch nicht. Okay, manchmal kann es schon urplötzlich passieren. Aber mal ganz ehrlich – ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, ob es überhaupt passieren kann.

Dennoch faszinieren mich derartige Schriften, ob sie nun stimmen – besser gesagt, wahr sind oder nicht. Freund Carlos hat da großartiges aufs Papier gebracht und die uralten indischen Schriften sind wohl mehr als faszinierend. Und es wäre keineswegs ein Fehler, wenn wir uns alle ein wenig zurücknehmen und mehr so was wie ein Miteinander entsteht.


Das kleine inzwischen schwarz gewordene Einhorn schüttelt seinen kleinen Kopf. Es ist in der Zwischenzeit übrigens ein bisschen größer geworden. Ja, in der Zwischenzeit, denn dies hier ist keine reguläre Zeit. Es ist eine Zeit zwischen den Zeiten und ein Raum, in dem eigentlich gar nichts wirklich passiert. Ein Film im Film oder ein Traum im Traum.

Wären wir nur so stark, das Leben als solches zu erkennen. Braucht es Stärke dazu?

„Jeder ist dazu fähig seine Stärke, seine Kraft zu mobilisieren!“

Du hast leicht reden, kleines Einhorn. Du bist kein Mensch. Du bist.. tja, was bist du eigentlich?

Ach ja, das ist auch so was faszinierendes im Advaita-Vedanta. Es gibt keine Sünde! Ja, ich habe tatsächlich in einem Buch gelesen, dass es keine Sünde gibt und die Universen schon immer existiert haben. Ohne Anfang und ohne Ende. Welch wunderbarer Glaube! Irgendwie mein wunderbarer Glaube! Jede Wiedergeburt bringt die Lebewesen (von der Amöbe bis zum Menschen), wenn sie denn dementsprechend gelebt haben, um eine Welt höher. Man kann natürlich auch wieder herab fallen, wenn man sich nicht dementsprechend verhalten hat. Aber das wäre doch eine Strafe! Und wer könnte Gut oder Böse schon beurteilen, wenn nicht der oder diejenige selbst?

Richtig! Wir loben oder strafen uns selbst, denn es soll tatsächlich so etwas wie ein Gewissen geben. Selbst wenn wir über andere richten, zählt das für unser weiteres Karma. Uns wird bewusst, dass es nicht richtig ist, über andere zu richten und schon hält uns das Gewissen im Zwischenreich den Denkzettel vor.

Eine schöne Vorstellung. Und auch, dass nicht jeder sich ins Absolute verabschieden möchte, da ihm die göttlichen Welten mehr zusagen, wo es alles im Überfluss gibt. Also nicht nur Materie, sondern auch Geist. Wahrscheinlich ist das nur deshalb, weil sich niemand etwas unter dem Absoluten vorstellen kann. Was bedeutet schon ewige Glückseligkeit ohne Anfang und ohne Ende? Langweilig und bäh! Da hüpfen wir schon lieber über bunte Blumenwiesen und pflücken von Bäumen die saftigsten Früchte und leben heiter und froh in sonnige Tage hinein, da es hier keine Nächte mehr gibt. Aber wer Nächte liebt, kann ja in andere Welten schnuppern. In diesem Stadium haben wir fast alle Macht und können uns hin wünschen, wohin wir wollen.

Ja, eine schöne Vorstellung. Und schon wieder schüttelt das kleine Einhorn seinen Kopf. Ich weiß schon warum. Es ist, weil es keine dieser Welten für real hält.

„Ich weiß, dass sie nicht real sind!“

Na, bumm!
 
Werbung:
Vielleicht erscheinen sie deshalb nicht real, weil es sich stets um ein und dieselbe Welt handelt, die nun mal unterschiedlich wahrgenommen wird. Diese eine Welt kann auch als verschiedene Welten wahrgenommen werden. Für den einen ist sie das Paradies, für den anderen die Hölle. Und dazwischen die Zwischenwelten, mal Paradies, mal Hölle.

„Es sind verschiedene Welten. Es gibt Welten, in denen die Götter wohnen. Das nennt sich das wahre Paradies.“

Das kleine Einhorn spricht so monoton. Irgendwie metallisch. Wie ein Roboter. Vielleicht ist es auch einer. Klar, und in der Hölle wohnen die Teufel und Dämonen.

„So ist es!“

Kim warnte mich stets vor Leuten, die „so ist es“ sagen. Schon gut, du gehörst nicht zu den Leuten. Du bist halt ein schwarzes Einhorn. Seltener als weiße Einhörner.

Zu Weihnachten wird stets „Das letzte Einhorn“ in irgendeinem TV-Sender gezeigt. Es war weiß. Ich mag die Stelle, wo Molly ganz aus dem Häuschen ist und das Einhorn weinerlich fragt: „Warum kommst du erst jetzt? Wo warst du, als ich dich gebraucht habe?“ Oder so ähnlich, denn es ist schon eine Weile her, als ich den Zeichentrickfilm das letzte mal gesehen habe. Auf jeden Fall hat diese Textstelle etwas Magisches. Zumindest für mich. Es ist wie: Irgendwann habe ich etwas verloren, es verzweifelt gesucht, es vergessen und plötzlich, wie aus dem Nichts, ist es wieder da. (Erinnert irgendwie an die 10 Ochsenbilder: http://www.azentrix.de/ ) So etwas wie höchstes Glück ist in dieser Welt möglich. Also sag mir nicht, dass es in dieser Welt kein Paradies geben kann.

„Nur für wenige Augenblicke.“

Es ist nun mal eine Welt, in der nichts bestehen bleibt. Und manchmal ist es halt sehr traurig, besonders wenn Menschen gehen, die man liebt, die man braucht.

„Wenn du erkennst, weißt du, dass nie jemand geht. Und ebenso weißt du, wenn du erkennst, dass nie jemand kommt.“

Kim sagte auch stets, es ist alles da. Es muss nur wahrgenommen werden.

„Erst, wenn du nicht mehr wahrnimmst, ist wirklich alles da.“

Ja, so steht es in heiligen Büchern. Es gibt mehr als Wahrnehmung. Es gibt mehr als unsere fünf und bei manchen sechs Sinne. Meine Welt ist noch eine Welt der Achterbahnen. Rauf und runter. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Lesen macht nun mal nicht gläubig. Und wie gesagt, Glaube lässt sich nicht erzwingen.

„Die kleine Heilige hat der Welt entsagt und lebte dennoch in ihr.“

Nicht mehr von dieser Welt, aber in dieser Welt. Ich denke, dass Menschen, die unter so genannten normalen Bedingungen Erleuchtung erfahren, eine größere Leistung vollbringen, als Mönche, die in Ruhe und Abgeschiedenheit tage- und nächtelang Zeit zur Meditation haben. Menschen in der Welt, unter Leuten, sind viel mehr abgelenkt und doch schaffen sie es, all dem zu entsagen. Mit 'entsagen' meine ich keineswegs asketisch leben, sondern sich nicht an Menschen und Dinge zu klammern, sie bereits bevor sie 'gehen' loszulassen. Das halte ich für eine sehr, sehr große Leistung.

Aber dazu brauche ich keinen Glauben und auch kein Buch, das mir das offenbart. Es ist eh unschwer zu erkennen, dass in dieser Welt nichts beständig ist, also hänge ich mich nicht an all diese Dinge. Und Menschen? Da ist es schwieriger. Ich selbst gehe auch irgendwann. Dann könnte ich denken, für wen würde der Abschied schwieriger sein? Für mich oder für den geliebten Partner? Das beschreibt Viktor Frankl so schön, als er einen Menschen in diesem Sinne tröstet, der um einen geliebten Menschen trauert. Er nimmt ihm den Schmerz des Abschieds, da er vorher gegangen ist. Dieser Gedanke half dem Trauernden etwas leichter zu trauern.

„Sie gehen nicht und du gehst nicht. Was geht, ist die Welt.“

Sagt Don Juan auch, als Freund Carlos ihn fragt, was passiert, wenn er mitten in den Straßen von Los Angeles ins Nagual fällt. L.A. verschwindet, aber er wird bleiben.

„Warum ist Carlos dein Freund?“

Er spricht mir aus der Seele wie kaum ein anderer Autor. Hesse käme auch noch in Frage und sein wundervoller Steppenwolf, aber Freund Hermann klingt doch etwas übertrieben.

„In den unteren Welten erkennen die Lebewesen nicht, dass sie ihre Welt selbst erschaffen. In den mittleren Welten haben manche eine Ahnung davon. Und in den höheren Welten ist ihnen bewusst, dass sie ihre Welt selbst erschaffen.“

Wie soll das möglich sein, dass mehr fast zehn Milliarden Menschen ein und dieselbe Welt erschaffen?

„Du sagtest vorhin selbst, dass jeder sie anders wahrnimmt.“

Ah! Und da sich die Lebewesen sehr ähnlich sind, auch wenn sie die Welt, die sie selbst erschaffen, unterschiedlich, aber nicht zu unterschiedlich wahrnehmen, ist die Welt von allen auch so ähnlich erschaffen worden. Irgendwie klingt das nach Irrsinn. Blödsinn, Quatsch kann man es auch nennen. Deshalb erscheinen Heilige oder Erleuchtete stets wie durchgeknallte Irre. Aber es ist auch so, dass einem der Verstand auch nirgendwo hinbringt. Rational lässt sich das Nagual (Selbst) auf keinen Fall knacken.

„So ist es!“

Ach ja? Die Stimme klingt gar nicht mehr so mechanisch, metallisch. Oder lag es nur an der Zustimmung?
 
Liebes, kleines Einhorn, das wiederum ein schönes Stück gewachsen ist, erzähle mir einmal, wie du das unter einen – bildlich gesprochenen – Hut bringen willst, dass alles Illusion, es aber alle Welten, vor allem die der Götter, gibt.

Wir wandern gerade einen Waldweg entlang. Sozusagen zwischen zwei Wälder, die durch einen Weg getrennt sind, der gerade so breit ist, dass Waldarbeiter mit ihren Traktoren durchfahren können. Zumindest in eine Richtung. Die Luft ist – nun – waldmäßig. Es durftet nach Tannenzapfen, nach Moos. Natürlich fehlen auch die typischen Waldgeräusche nicht. Irgendwo ruft ein Käuzchen und ganz in der Nähe, in einem Busch, unterhalten sich mehrere kleine Vögel. Was die sich immer zu erzählen haben!

Das liebe, kleine Einhorn schweigt. Es scheint diese Waldidylle zu genießen, obwohl sie Illusion ist. Es wendet seinen Kopf und scheint zu grinsen. Wahrhaftig zu grinsen. Kein nettes Lächeln. Ein Impertinentes Grinsen, das mir wahrscheinlich sagen soll: du verstehst es eh nicht. Also, wozu erklären?

Selbsthypnose? Wir hypnotisieren uns die Welt. Wir in der unteren oder eher mittleren Welt tun das unbewusst, die in der oberen Welt bewusst. Okay, ich weiß schon, dass es – wie du mir eben mit diesem hochnäsigen Blick sagen willst, - dass es mehrere untere, mittlere und obere Welten gibt und nicht nur eine unten, eine in der Mitte und eine oben.

„Denke an die vier Zeitalter in den vedischen Schriften. Das Goldene Zeitalter stellt die Einheit dar, die einzige Wahrheit und einzige Wirklichkeit, das Absolute. Das Silberne Zeitalter stellt die oberen Welten dar, in denen alle Wünsche in Erfüllung gehen. Ein Leben in Saus und Braus. Das Bronzene Zeitalter wären die mittleren Welten, duale Welten, in denen es auf und ab geht und das Bewusstsein bereits große Lücken aufweist, je näher sich die Welten – natürlich bildlich gesprochen – nach unten neigen. Und schließlich das Eiserne Zeitalter, die unteren Welten, wo nur mehr das Dunkle, Böse, Angst und Schrecken regieren.“

Gut gesprochen, kleines Einhorn, aber die Zeitalter haben in den vedischen Schriften eine andere Bedeutung und angeblich haben wir zur Zeit das dunkle, böse, Angst und Schrecken verbreitende Zeitalter, das so genannte Kali-Yuga.

„Es steht so viel geschrieben. Was kümmert es mich. Mich, die die Wahrheit kennt.“

Eingebildeter Kotzbrocken.

Plötzlich hinter mir ein Geräusch. Ein unterdrücktes Lachen und die leisen Schritte eines Pferdes auf dem erdigen Waldweg. Kim auf seinem schwarzen Hengst, wo man nie weiß, was denn mehr beeindruckt, die Mähne des edlen Rosses oder die Mähne des Jünglings von unbeschreiblicher Schönheit. Ich hätte ihn schon früher erwartet. Aber meist kommt er zur rechten Zeit.

„Kommt mir alles irgendwie bekannt vor. Ich war damals auch ein eingebildeter Kotzbrocken, als ich – ich bin die ewige und unendliche Quelle der Kraft – verlauten ließ. Damals wollte sie den frechen Jungen zurück. Sie kann einfach nicht verstehen, dass wir alle in Wirklichkeit die Quelle der Kraft sind. Es gibt keine Vielfalt in der Einheit. Die Vielfalt ist Illusion. Man kann es auch ein Spiel nennen – ein Gedankenspiel. Oder ein Traum im Traum. Aber mit Verstand wirst du diese Nuss niemals knacken können. Solange du darüber nachdenkst, wird es dir paradox erscheinen. Ja, ja, alte Frau, ich kenne deine Gedanken noch immer. Deine Fragen, wie alles begann und warum wir diese Welten träumen. Schon da stoßen wir an die Grenzen des Verstandes, der sich weder Endlichkeit noch Unendlichkeit wirklich vorstellen kann.“

Alte Frau? Damals nanntest du mich 'Mädchen'. Wahrscheinlich spielt es keine Rolle, wie man jemanden nennt, der eh nicht wirklich existiert. Na gut, wenn es sich nicht mit dem Verstand erklären lässt, lasst uns mit der Phantasie spielen.

„Wieder alles über den Haufen werfen? Es kann alles sein, alte Frau. Die Wesen der Anderen Seite, bewusst und glückselig, leben in den Oberen Welten und doch müssen auch sie irgendwann einmal sterben, weil es sie nicht wirklich gibt. Weder die Oberen Welten noch die Lebewesen auf ihr. Was sterben kann, kann keine Wirklichkeit sein.“

Holo-feeling, ein Kurs in Wundern, alles ein Abklatsch des mehrere tausend Jahre alten Advaita-Vedanta. Und jetzt willst du auch noch einen Abklatsch hinzufügen, Kim?

„Bewusstseinsblasen, in denen sich Energieaspekte als Lebewesen wahrnehmen. Erkennst du es, alte Frau? Wahrnehmung! Eine Illusion. Solange du wahrnimmst, ist es nicht echt. Es gibt noch etwas außer Wahrnehmung und dem, was ihr Menschen Bewusstsein nennt.“

Na toll, jetzt bin ich von zwei Kotzbrocken umgeben. Du etwa auch, schwarzer Hengst? Tatsächlich schnaubt er und nickt mit seinem großen Pferdeschädel. Jetzt kann mich nur ein Sprung in den Wald retten. Rein in den Wald und laufen, was das Zeug hält. So lange laufen, bis ich außer Atem bin und an eine Waldlichtung und an ein Flussufer komme. Dort hocke ich mich nieder und versuche mein Denken anzuhalten. Für immer, wenn es geht. Für immer!

HW 006.jpg
 
Rein und unverwundbar, nicht ewig und unendlich. Das Denken für immer ausschalten, würde Glückseligkeit bedeuten. Auch Götter, jene Wesenheiten in den höheren Welten, sterben, da sie nicht wirklich existieren. Wenn ihr Körper auch feinstofflich ist wie jener der Leuchtenden Wesen auf der Leuchtenden Welt, sind sie ebenso eine Projektion des Selbst. Wenn es so wäre und die Betonung liegt auf – wenn - , würde das schon mal so was wie Illusion erklären.

Eine weitere Erklärung wäre die Trennung, das Gefühl des Getrenntseins. Das Eine, das Absolute, die Quelle der Kraft kann niemals getrennt sein. Es, er, sie ist das Eine ohne ein Zweites. Und zwischen dem Selbst und dem Absoluten besteht kein Unterschied. Wenn also das Selbst das Absolute ist, bin ich Gott. Na ja, so einfach laufen die Regeln nicht, denn das Ich, das so etwas sagt oder denkt, ist das Nicht-Selbst und das ist ganz sicher nicht Gott oder das Absolute oder die Quelle der Kraft. Also ein wenig oder viel mehr ganz viel Übung steckt schon dahinter. Und wie gesagt, aus reinem Egoismus oder weil-mich-die Welt-ankotzt läuft sowieso nix.

Nächster Punkt der Gedankenstille wäre, dass Körper und Geist immer eine Einheit bilden. Wenn also jemand denkt, der Geist sei das Höchste, ist er auf dem Holzweg, außer er meint mit Geist das Selbst.

Wie immer – Worte verwirren stets. Und sie erklären nicht das Geringste. Dennoch locken sie mich zum Schreiben. Es ist eine Sucht. Eine verdammte Sucht.

Wie gesagt, Körper und Geist bilden stets eine Einheit. Mit Geist sind die Gedanken und Gefühle gemeint. Erst wenn Körper UND Geist überwunden werden, erkennen wir das wahre Selbst. Es ist wie wenn man sich des Tiefschlafs vollkommen bewusst wäre. So ist das. Zumindest in den Büchern über Advaita-Vedanta.

Und Freund Carlos ist dem so ähnlich. Nimm dich nicht ernst. Nimm dich nicht wichtig. Schalte die Gedanken ab. Und dann erst der Montagepunkt!

„Wir hatten halt die imaginären Bewusstseins- oder Wahrnehmungsblasen.“

Gut, dass du da bist, Kim. Es ist ein schöner Flecken Erde hier neben dem Fluss. Nicht wahr?

„Du nimmst diesen schönen Flecken wahr, weil dich die Blase, in der du und Milliarden andere stecken, dies wahrnehmen lässt. Und wie du sagtet, ist es bei Carlos der Montagepunkt, der, wenn er im leuchtenden Körper verschoben wird, dem dazugehörigen Menschen eine andere Welt wahrnehmen lässt.“

Die Blasen durchbrechen?

„Ganz so einfach haben wir es nicht besprochen. Es ging uns mehr darum, die Ganzheit des Selbst wahrzunehmen und zu erkennen, sie zu sein und nichts anderes. Die Quelle der Kraft besteht aus unzähligen Ganzheiten des Selbst und ist dennoch ebenso Eins, wie absolut.“

Und was bringen uns all diese Erklärungen, wenn wir sie nicht leben können?

„Das fragst du mich? Du bist es, die schreibt.“

Die Sucht zu schreiben und die Sucht zu denken. Steh dazu, dass du gerne deine Gedanken in höheren Gefilden schweifen lässt. Ob körperlich oder geistig – wir schweben so oder so in absoluter Leere und trotzdem bestaunen wir diese herrliche Natur um uns. Wir verarschen uns selbst, was wohl ein triftiger Grund wäre, uns nicht gar so wichtig zu nehmen. Also lass uns weiterwandern. Wo ist das kleine, schwarze, hochnäsige Biest überhaupt.

„Wir sind alle hinter dir.“

Gut! Ein gutes Gefühl! Denn ohne Phantasiewesen wäre all das nicht möglich. Besteht überhaupt ein Unterschied zwischen so genannten realen Personen und Phantasiewesen?

„Alte Frau, jetzt wird es kritisch. Du bist nahe am Abgrund des Wahnsinns.“

Und wenn schon! Es gibt Schlimmeres. Ja, Schlimmeres gibt es immer. Aber es wäre besser, wenn ihr vor mir wärt und ich mich ein klein wenig zurücknehmen würde.

„Gute Entscheidung, alte Frau!“
 
Das schwarze Einhorn geht voraus. Es ist bereits so groß, wenn nicht größer, wie Kims schwarzer Hengst. Es ist wunderschön. Stämmiger Körper, glänzendes schwarzes Fell, an den vier Hufen langes Fell und eine Mähne, wie auch Schweif, wie es dichter und länger kaum möglich ist und dazu das lange, elfenbeinschwarze Horn, das ab und zu von silbernen Blitzen durchzogen ist.

Die Vegetation wird immer dürftiger. Bald geht die lockere Erde in Wüstensand über und nur mehr vereinzelt sehe ich links oder rechts von mir dürre Baumstämme aus dem Sand ragen. Irgendwo am Horizont türmen sich Ruinen einer einstigen Stadt auf.

Wir sind alleine, das schwarze Einhorn und ich. Kim und sein Hengst scheinen andere Wege zu haben.

„Hierher wirst du die beiden kaum locken können. Wir befinden uns in den unteren Welten.“

Vor Schreck bleibt mir fast das Herz stehen.

„Obwohl ich nicht verstehe, warum die beiden diese Welten leugnen. Für mich sind sie alle gleich. Ob unten, in der Mitte oder oben. Alle sind sie nichts anderes als Projektionen des Absoluten.“

Aber in den unteren Welten geschehen Verbrechen. Da Kim ein Leuchtendes Wesen ist, kann er diese Grausamkeiten kaum aushalten. Leuchtende Wesen sind da sehr empfindlich.

„Nichts geschieht. Was soll geschehen, wenn alles nur Projektion ist? Wie ist das mit dir, wenn du Bilder malst oder Geschichten schreibst. Meinst du, du bist diese Bilder oder diese Geschichten?“

Ich bin sie nicht, aber irgendwie identifiziere ich mich mit ihnen.

„Das ist der Unterschied. Das Absolute, das Selbst, bleibt rein. Es identifiziert sich nicht einmal mit seinen Projektionen.“

Und warum nehme ich mich als vollkommenes Lebewesen wahr, obwohl ich nur eine Projektion des Absoluten bin?

„Das ist die Macht des Absoluten in dir. Deine Werke haben keine derartige Macht. Aber manchmal kam es schon vor, dass Menschen etwas erschaffen haben, das so etwas wie Leben in sich birgt. Man nennt diese erschaffenen Wesenheiten 'Tulpa' und sie kommen meist in Gebieten vor, wo Menschen viel meditieren.“

In Alexandra David-Neel's Buch „Heilige und Hexer“ habe ich von einem Tulpa gelesen, den sie selbst erschaffen haben soll.

Du willst also sagen, dass das Absolute uns verarschen will, indem es seine Macht auf uns überträgt und so mit uns Theater spielt. Anders kann ich mir diese Philosophie nicht erklären. Es geht mir mit dem Kurs in Wundern genauso. Ich versteh dieses Prinzip nicht. Schon gar nicht das im Kurs, da es Vater und Sohn und keine Einheit beinhaltet. Im Vedanta ist es einfacher, da gibt es nur das Absolute.

„Und das Selbst, das in jedem Lebewesen vorhanden ist.“

Das Selbst ist dann wohl die Macht des Absoluten.

Das schwarze Einhorn dreht seine dunklen Augen über. Das Weiße in seinen Augen blendet mich wie ein grelles Licht.

„Es besteht kein Unterschied zwischen dem Absoluten und dem Selbst. Beim Vater und Sohn im Kurs in Wundern wird es wohl ebenso sein. Aber ich verstehe dich. Der Kurs würde mir auch zu religiös sein. Da bleibe ich lieber beim Unpersönlichen, das durchaus auch persönlich verstanden werden kann.“

Wie ist es mit Tieren und Pflanzen und allen Elementen?

„Alles Projektionen. Es ist auch klar, dass alles für dich unverständlich ist, was schon das Wort ausdrückt, da es mit dem Verstand nicht vollkommen verstanden werden kann. Aber das wird hier ja nicht das erste Mal erwähnt.“

Wir gehen schweigend weiter. Das Einhorn voraus. Von irgendwoher ertönen Geräusche. Es ist wie ein Hämmern. Stahl auf Stahl. Der Sand wird härter, wird felsig und der Weg führt mehr und mehr bergab. Es ist als würde sich ein Bild über ein anderes Bild legen, als wir uns plötzlich in einer wortwörtlichen Unterwelt befinden. Es ist heiß, dunstig und das Licht ist trüb rötlich. Überall ragen Rohre aus seltsam aussehenden Maschinen hoch. Über uns Rohre, an denen eifrig geklopft wird. Überall hasten hässliche Wesen herum, denen Körperteile fehlen. Andere haben wieder einige Körperteile zu viel.

Hier hat das Absolute wohl noch geübt, was den menschlichen Körper betrifft, wage ich zu denken und ernte vom Einhorn einen sehr giftigen Blick. Ich verstehe nicht, dass es keinen Unterschied zwischen dieser Welt und einer paradiesischen Welt erkennen kann. Hier möchte ich keine Sekunde länger verweilen.

„Und doch ist ein Teil deiner Ganzheit des Selbst genauso hier wie auch in allen anderen Welten und ebenso eins im Absoluten.“

Ha! Er wagt es doch bis hierher. Kim hat keine Angst vor irgendwas oder irgendwem, hat er doch mit Luzifer persönlich im Endkampf gerungen. Und seine Aussage ist mir durchaus bekannt. Er bezieht sich stets auf die Gleichzeitigkeit. Und die ist noch schwerer, eigentlich gar nicht zu verstehen. Ausblenden! Wie war das mit dem Wunsch, nicht mehr zu denken?


„Ich bin nicht“, sagt das kleine Einhorn als Welle. „Ich bin“, sagt das kleine Einhorn als das Meer aus glatter Fläche. <--- So steht es weiter oben geschrieben und wäre so einfach zu glauben. Egal, welche Welle, ob klein oder groß, hoch (hohe Wellen können einen gewaltigen Schaden anrichten, man denke nur an Tsunamis) oder weniger hoch, hell oder dunkel – Wellen werden immer nur Wellen sein. Erst die glatte Fläche ist das Wahre, das Stille, das Friedliche, das Reine, das Unverwundbare, denn wer sticht schon in See bei einer derartigen Flaute.

Es wird immer heißer in der Unterwelt und die Wesen, die dort herum kriechen und herum humpeln, machen Angst und lösen Ekel aus. Quasimodo oder der Elefantenmensch sind Schönheiten gegen diesen Kreaturen, die sich an den Maschinen und Rohren zu schaffen machen.

„Erinnerst du dich an Sien, dieses insektenartigen Wesen, vor dem sich Maria und Melanie ekelten?“

Ja, Kim. Und als du zu einem von denen wurdest, waren sie verwirrt. Es waren erstaunliche Lebewesen. Sie erinnerten sich bewusst an ihre vergangenen Leben. Sie haben sich 'Golinen' genannt und sie liebten ihren Planeten. Sie formten ihre Bauten so, dass sich der Planet mit ihnen wohl fühlt. Aber die Golinen sind doch ganz etwas anderes als diese Monster hier.

„Und was, wenn dies die Zukunft der Menschen, die Zukunft der Erde ist?“

Es würde mich nicht wundern. Und ich verstehe auch die Lektion. Alles geht vom Selbst, vom Absoluten aus. In allem steckt etwas Göttliches, das von allem Äußeren und Wahrnehmbaren unberührt bleibt. Oder wie der kleine Prinz es ausdrückt: Man sieht nur mit dem Herzen gut.

Mit einem Schlag (es war ein riesiges Wesen mit Armen wie Baumstämme, das mit seinem Hammer eben auf eines der Rohre schlug) befinden wir uns wieder in der Ansichtskartenlandschaft. Zwei Liegestühle, in denen Kim und ich es uns bequem gemacht haben und die Aussicht auf meine kleine Einhornherde, mit dem schwarzen Jungen, das bereits größer ist als die restliche Herde, die Berge, die Wiesen, den kleinen See und den wundervoll blauen Himmel. Was will man mehr? Und ich habe auch eingesehen, dass Einhörner nicht fliegen. Es war ein Fehler meinerseits, denn nur Pagassuse können fliegen, aber die sind so schwer zu zähmen.

Kim berührt sanft meinen Unterarm und deutet mit dem Kopf auf seinen schwarzen Hengst, der plötzlich breite schwarze Flügel ausbreitet, sich erhebt und direkt in die Sonne fliegt. Aber wie gesagt:

Einhörner fliegen nicht.
 
Vielleicht fliegen sie bald wieder. Im Moment ist eine andere Geschichte dran... und das da auch:
ah11.gif

Frage: Sagt mal,- seid ihr auch auf Facebook vertreten?
 
Werbung:
Zurück
Oben