Einhörner fliegen nicht

Serenade

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18. März 2007
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Ich hab ihnen Flügel aufgeklebt. Ich hab aus ihren langen Schweifen Propeller geflochten. Sie flogen einfach nicht. Oftmals zeigte ich auf die Drachen, wenn sie sich erhoben und trotz ihrer Größe und Schwere wie Pfeile in den Himmel schossen. Die Einhörner blieben auf dem Boden und grasten wie Kühe auf ihrer Weide.

Von wegen edle, mystische und kluge Tiere! Begriffsstutzig und verfressen sind sie. Den ganzen langen Tag grasen sie und das Horn auf ihrer Stirn stört sie dabei keineswegs. Ich dachte immer, wenn sie ihren Kopf zum Boden beugen, würde das Horn Gras fressen nicht erlauben, weil für sie Besseres bestimmt sei. Aber sie fressen Gras. Nichts als Gras den lieben langen Tag. Zu etwas anderem sind sie nicht zu bewegen.

Also habe ich es mir neben der Wiese auf einem Liegestuhl bequem gemacht und lese in einem Buch, während sich die wunderschöne Landschaft ausbreitet – hinter mir das kleine Häuschen mit den kleinen Türmchen und Giebeldächer und Fensterbalken und all das in dezenten Blautönen. Ich liebe blau. Drinnen im Häuschen ist es etwas bunter. Aber dazu komme ich vielleicht noch. Vor mir erblüht ein wahrhaft kitschiges Panorama. Wie gesagt, die Wiese mit meinen sechs Einhörnern. Ein weiteres ist noch im Bauch seiner Mutter. Übrigens kann ich nicht sagen wie viel Stuten und wie viel Hengste darunter sind. Das Geschlecht lässt sich bei Einhörner nicht sichtbar erkennen. Hinter der Wiese erheben sich Berge und ein Gebirge wie der Himalaya.

Ich lese in einem Buch. Es trägt den Titel „Das Herz des Vedanta“ und ist die Zusammenfassung der Kerngedanken sämtlicher Upanischaden. Sri Sankaracarya (788-820 A.D.) selbst hat sie vor langer Zeit aufgeschrieben. Erklärungen dazu gibt es von Emanuel Meyer.

Folgende Erklärung lese ich eben unter Vers 461:


Wenn jemand sagt: „Ich bin ein Mann, eine Frau, ein Kind, so und so alt, mit diesen und jenen Merkmalen, heiße so und so und gehe zur Schule oder bin Ingenieur und arbeite in einer Maschinenfabrik, wo ich dieses und jenes mache“, dann ist das eine Projektion auf das Nicht.Selbst. Das Selbst ist der Inhalt des Wortes 'Ich', Punkt. Darum heißt Es der „ICH BIN“. Wenn man aber feststellt: „Manas, das Gemüt und Buddhi, das bin ich, dieser oder jener bin ich, dieses Haus habe ich gebaut und auch das habe ich gemacht“, dann ist das eine Projektion des Nicht-Selbst auf das Selbst.


Den Vergleich mit der Leinwand und dem Projektor habe ich vor langer Zeit schon einmal in einem Buch gelesen. Die Leinwand bleibt im Grunde genommen immer weiß. Egal, welche Bilder, welcher Film der Projektor auf ihr entstehen lässt, sie nimmt keines seiner Farben und Formen an und bleibt immer weiß. Genauso ist es mit unserem Selbst. Egal, was wir sagen oder tun, es zählt alles nichts. Es ist genauso Vergänglichkeit wie unsere Körper.

Eines der Einhörner hebt den Kopf und wiehert mir zu. Soll das ein Ja oder ein Nein bedeuten?


Eines der Einhörner hebt den Kopf und wiehert mir nicht nur zu, sondern beginnt zu sprechen und ich nehme alles zurück, was ich über Einhörner gesagt habe. Sie sind nicht begriffsstutzig und verfressen. Keineswegs! Einhörner sind edle, mystische und kluge Tiere.

Es ist auch noch nicht der 24. Dezember, denn wenn an diesem Tag Tiere zu einem sprechen, wird man im darauffolgenden Jahr sterben. So sagt es die alte Kultur. Oder war es eine Bauernregel? Egal, denn es ist ohnehin erst der 17. Dezember und auch keine dieser unheimlichen Raunächte. Ich liebe Unheimliches. Es zieht mich förmlich an. Geheimnisvoll alleine genügt mir nicht. Es muss auch unheimlich sein.

Und so spricht das Einhorn und es ist nicht nur ein Ja oder Nein: „Es waren einmal zwei Geschwister, ein Bruder und eine Schwester im selben Alter. Zwillinge sozusagen. Beide wollten ihr Leben in einem Kloster verbringen, aber nur einem von ihnen war es möglich. Da beide mit ihren Eltern abgeschieden in den Bergen lebten, musste einer von ihnen bei den Eltern bleiben und bis zu ihrem Tod für sie da sein. Es war ohnehin noch ziemlich unüblich, dass Frauen in einem Kloster aufgenommen wurden, um dort ihre Meisterschaft zu erlangen.

Also durfte der Bruder gehen und kam schließlich zu hohen Ehren. Innerhalb weniger Jahre studierte er alle heiligen Schriften mit Auszeichnung und wurde Meister. Er leitete schließlich das Kloster und hatte viele Schüler. Es kamen sogar von weit her welche ins Kloster, um von ihm unterrichtet zu werden.

Die Schwester hingegen war aufopfernd für ihre Eltern da und pflegte sie selbstlos bis zu ihrem Tod.

Wer von beiden erlangte wirklich die Meisterschaft?“

Man möchte meinen, es sei der Bruder. Immerhin kannte er alle Schriften, während die Schwester wahrscheinlich nicht einmal lesen oder schreiben konnte, da sie in den abgeschiedenen Bergen lebten.

„Stimmt, was die Schwester und ihren Analphabetismus betrifft, aber nicht das, was du meinen möchtest. Der Bruder mag schon die Meisterschaft und bis zu einem gewissen und wohl auch hohen Grad die Erleuchtung erreicht haben, aber das schmälert keineswegs das, was die Schwester geleistet hat. So würde doch die Antwort 'beide!' lauten.

Du hast über Selbst und Nicht-Selbst gelesen. Also stelle ich nochmal eine Frage: Wer von beiden erreichte sein wahres Selbst?“

Hier würde ich die Schwester nennen, da sie, wie du erzählt hast, liebes Einhorn, selbstlos ihre Eltern gepflegt hat. Was mir nicht so gefallen hat, war das Wort 'aufopfernd'. Sobald sich jemand aufopfert, ist er nicht selbstlos.

Dennoch würde ich sagen, es war die Schwester, die ihr wahres Selbst erreicht hat, da der Bruder sicher stolz auf seine Leistung war.

„Und du meist, die Schwester war insgeheim nicht stolz auf ihr Tun?“

Wie könnte man in Menschen reinschauen, um das zu wissen?

„Diese Frage ist nicht zu beantworten.“
 
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Ich hab ihnen Flügel aufgeklebt. Ich hab aus ihren langen Schweifen Propeller geflochten. Sie flogen einfach nicht. Oftmals zeigte ich auf die Drachen, wenn sie sich erhoben und trotz ihrer Größe und Schwere wie Pfeile in den Himmel schossen. Die Einhörner blieben auf dem Boden und grasten wie Kühe auf ihrer Weide.

Von wegen edle, mystische und kluge Tiere! Begriffsstutzig und verfressen sind sie. Den ganzen langen Tag grasen sie und das Horn auf ihrer Stirn stört sie dabei keineswegs. Ich dachte immer, wenn sie ihren Kopf zum Boden beugen, würde das Horn Gras fressen nicht erlauben, weil für sie Besseres bestimmt sei. Aber sie fressen Gras. Nichts als Gras den lieben langen Tag. Zu etwas anderem sind sie nicht zu bewegen.

Also habe ich es mir neben der Wiese auf einem Liegestuhl bequem gemacht und lese in einem Buch, während sich die wunderschöne Landschaft ausbreitet – hinter mir das kleine Häuschen mit den kleinen Türmchen und Giebeldächer und Fensterbalken und all das in dezenten Blautönen. Ich liebe blau. Drinnen im Häuschen ist es etwas bunter. Aber dazu komme ich vielleicht noch. Vor mir erblüht ein wahrhaft kitschiges Panorama. Wie gesagt, die Wiese mit meinen sechs Einhörnern. Ein weiteres ist noch im Bauch seiner Mutter. Übrigens kann ich nicht sagen wie viel Stuten und wie viel Hengste darunter sind. Das Geschlecht lässt sich bei Einhörner nicht sichtbar erkennen. Hinter der Wiese erheben sich Berge und ein Gebirge wie der Himalaya.

Ich lese in einem Buch. Es trägt den Titel „Das Herz des Vedanta“ und ist die Zusammenfassung der Kerngedanken sämtlicher Upanischaden. Sri Sankaracarya (788-820 A.D.) selbst hat sie vor langer Zeit aufgeschrieben. Erklärungen dazu gibt es von Emanuel Meyer.

Folgende Erklärung lese ich eben unter Vers 461:


Wenn jemand sagt: „Ich bin ein Mann, eine Frau, ein Kind, so und so alt, mit diesen und jenen Merkmalen, heiße so und so und gehe zur Schule oder bin Ingenieur und arbeite in einer Maschinenfabrik, wo ich dieses und jenes mache“, dann ist das eine Projektion auf das Nicht.Selbst. Das Selbst ist der Inhalt des Wortes 'Ich', Punkt. Darum heißt Es der „ICH BIN“. Wenn man aber feststellt: „Manas, das Gemüt und Buddhi, das bin ich, dieser oder jener bin ich, dieses Haus habe ich gebaut und auch das habe ich gemacht“, dann ist das eine Projektion des Nicht-Selbst auf das Selbst.


Den Vergleich mit der Leinwand und dem Projektor habe ich vor langer Zeit schon einmal in einem Buch gelesen. Die Leinwand bleibt im Grunde genommen immer weiß. Egal, welche Bilder, welcher Film der Projektor auf ihr entstehen lässt, sie nimmt keines seiner Farben und Formen an und bleibt immer weiß. Genauso ist es mit unserem Selbst. Egal, was wir sagen oder tun, es zählt alles nichts. Es ist genauso Vergänglichkeit wie unsere Körper.

Eines der Einhörner hebt den Kopf und wiehert mir zu. Soll das ein Ja oder ein Nein bedeuten?


Eines der Einhörner hebt den Kopf und wiehert mir nicht nur zu, sondern beginnt zu sprechen und ich nehme alles zurück, was ich über Einhörner gesagt habe. Sie sind nicht begriffsstutzig und verfressen. Keineswegs! Einhörner sind edle, mystische und kluge Tiere.

Es ist auch noch nicht der 24. Dezember, denn wenn an diesem Tag Tiere zu einem sprechen, wird man im darauffolgenden Jahr sterben. So sagt es die alte Kultur. Oder war es eine Bauernregel? Egal, denn es ist ohnehin erst der 17. Dezember und auch keine dieser unheimlichen Raunächte. Ich liebe Unheimliches. Es zieht mich förmlich an. Geheimnisvoll alleine genügt mir nicht. Es muss auch unheimlich sein.

Und so spricht das Einhorn und es ist nicht nur ein Ja oder Nein: „Es waren einmal zwei Geschwister, ein Bruder und eine Schwester im selben Alter. Zwillinge sozusagen. Beide wollten ihr Leben in einem Kloster verbringen, aber nur einem von ihnen war es möglich. Da beide mit ihren Eltern abgeschieden in den Bergen lebten, musste einer von ihnen bei den Eltern bleiben und bis zu ihrem Tod für sie da sein. Es war ohnehin noch ziemlich unüblich, dass Frauen in einem Kloster aufgenommen wurden, um dort ihre Meisterschaft zu erlangen.

Also durfte der Bruder gehen und kam schließlich zu hohen Ehren. Innerhalb weniger Jahre studierte er alle heiligen Schriften mit Auszeichnung und wurde Meister. Er leitete schließlich das Kloster und hatte viele Schüler. Es kamen sogar von weit her welche ins Kloster, um von ihm unterrichtet zu werden.

Die Schwester hingegen war aufopfernd für ihre Eltern da und pflegte sie selbstlos bis zu ihrem Tod.

Wer von beiden erlangte wirklich die Meisterschaft?“

Man möchte meinen, es sei der Bruder. Immerhin kannte er alle Schriften, während die Schwester wahrscheinlich nicht einmal lesen oder schreiben konnte, da sie in den abgeschiedenen Bergen lebten.

„Stimmt, was die Schwester und ihren Analphabetismus betrifft, aber nicht das, was du meinen möchtest. Der Bruder mag schon die Meisterschaft und bis zu einem gewissen und wohl auch hohen Grad die Erleuchtung erreicht haben, aber das schmälert keineswegs das, was die Schwester geleistet hat. So würde doch die Antwort 'beide!' lauten.

Du hast über Selbst und Nicht-Selbst gelesen. Also stelle ich nochmal eine Frage: Wer von beiden erreichte sein wahres Selbst?“

Hier würde ich die Schwester nennen, da sie, wie du erzählt hast, liebes Einhorn, selbstlos ihre Eltern gepflegt hat. Was mir nicht so gefallen hat, war das Wort 'aufopfernd'. Sobald sich jemand aufopfert, ist er nicht selbstlos.

Dennoch würde ich sagen, es war die Schwester, die ihr wahres Selbst erreicht hat, da der Bruder sicher stolz auf seine Leistung war.

„Und du meist, die Schwester war insgeheim nicht stolz auf ihr Tun?“

Wie könnte man in Menschen reinschauen, um das zu wissen?

„Diese Frage ist nicht zu beantworten.“

Liebe Serenade,

ein sehr schöner Text, wie ich finde!(y):)

Das besondere Tüpfelchen auf dem "i" ist für mich immer, wenn man bei einer ansprechenden Geschichte auch noch einen Satz oder eine Passage liest, die einen selbst ganz besonders anspricht. Das war heute zusätzlich auch noch der Fall.

Ich habe beim Schreiben den Eindruck, das wir manchmal etwas für uns schreiben und manchmal eben für andere.....

Ich freue mich jedenfalls, hier immer etwas von Serenade lesen zu können...:)

Liebe Grüße
Tolkien
 
Das Selbst wäre nicht zu sehen, wenn wir in Menschen reinschauen könnten. Man könnte auch sagen: Zeig mir dein Zen. Wenn du es mir aber zeigen könntest, wäre es nicht dein Zen.

Zen, die gottlose Religionsphilosophie, - schon immer hat sie mich begeistert. Wie klingt das Klatschen einer Hand? Ich würde sagen: wenn du es hörst, ist es nicht das Klatschen einer Hand. Die Antwort wäre trotzdem falsch, denn sobald ein Koan logisch beantwortet wird, ist die Antwort nicht mal einen Furz wert.

Koans sind Rätsel, die einem das Hirn rauchen lassen. Aber man sollte das Hirn nicht zum Rauchen bringen. Koans sind eher dazu da, um die Dualität zu überwinden und vor allem, um erleuchtet zu werden. Das Hirn zum Rauchen bringen. So was schaffe ich leicht. Ich zerpflücke nämlich jeden einzelnen Gedanken wie ein Molekularbiologe oder was es noch besser trifft – wie ein Quantenphysiker, der um das allerkleinste Materieteilchen kämpft. Hat man mir vorgeworfen. Na ja, nicht direkt vorgeworfen. Eher verwundert registriert. Nicht immer so ins kleinste Detail gehen. Von weit weg betrachtet ist alles viel kleiner. Auch die Probleme schrumpfen aus der Distanz. Wenn es welche gibt. Vor allem, wenn man sich welche macht, denn Probleme gibt es nicht. Man macht sie sich selbst.

Wirklich so einfach? Fragen wir mal einen Obdachlosen, der sich im Winter den Arsch abfriert. Oder die dreifach alleinerziehende Mutter, die die Miete nicht bezahlen kann. Sagen die auch, dass man sich Probleme selbst schafft?

Ich mag derartige überkluge Sprüche nicht. Oder – hülle dich in weißes Licht und alles ist gut. So was sagen nur Leute, die noch nie wirkliche Probleme gehabt haben.

Und was sagte Buddha? Was sagte der einstige Prinz Siddhartha Gautama? Loslösen! Weder Freude noch Leid. Die goldene Mitte bringt's! Tatsächlich? Oder wäre es nicht besser, wenn jeder seine ganz eigene Lösung finden würde?

Und am besten wäre ohnehin ständige Freude! Mirabai, die kleine indische Heilige schwebte ständig in Glückseligkeit, da immer ihr Geliebter bei ihr war. Der Geliebte war kein Geringerer als sweet little Krishna. Es gibt übrigens ein empfehlenswertes Buch darüber, - nennt sich „Krishnas Schatten“ und ist von Kiran Nagarkar. Nein, nicht empfehlenswert, da es mir gefallen hat, was ja nicht heißt, dass es anderen auch zusagt. Ich erwähne es nur, weil in diesem Buch Mirabai die Ehefrau des Protagonisten ist. Eine äußerst interessante Konstellation. Oder?

Es soll einst einen Indianerstamm gegeben haben, bei dem es streng verboten war über Spirituelles zu sprechen. Was hat das jetzt mit allem anderen zu tun? Na ja, weil ich vorhin schrieb, es wäre besser, wenn jeder seine ganz eigene Lösung findet, was ja auch unter 'Spirituelles' fällt. Man denkt sich halt so sein eigenes Himmelreich zusammen und erzählt anderen davon. Und was passiert? Schon streiten sich die Geister, was denn nun wahr und was nicht wahr ist. Die Geister? Ja klar, was denn sonst? Dem Menschen selbst ist es doch egal, der denkt eh nur ans fressen und saufen und... Na, na, nur nicht vulgär werden. Aber es ist doch so. Welcher Mensch in unseren Breiten denkt über Spirituelles nach oder beschäftigt sich sogar damit?

Was geht es mich an? Nichts! Betrifft es mich? Nein! Dann halt's Maul und kümmere dich um deinen eigenen Kram.

Genauso soll es sein. Und das sprechende Einhorn nickt.

Aber ja, die kleine Heilige macht mich nachdenklich. Wäre es nicht herrlich, aus tiefstem Herzen ständig mit einem seligen Lächeln auf den Lippen durchs Leben zu gehen? Auch wenn von links und rechts Kommentare wie – schauts, do kummt die Deppate – oder – die hat sie ja nicht mehr alle – kommen. Es würde noch andere Kommentare regnen und vielleicht würde man sogar entmündigt werden. Egal! Man legt eh keinen Wert mehr auf Materielles. Selbst wenn man auf der Straße lebt, kümmert einem das nicht mehr. Krishna ist ja da und wärmt uns mit seinem lieblichen blauen Körper. Ach, du neckischer kleiner Gott!

Es ist ja auch herrlich, dass man so mit ihm reden kann. Er verlangt keine Hofknickse oder Anbetungen, obwohl er sicher nicht abgeneigt wäre, wenn wir uns vor ihm niederknien, vor dem Allerschönsten.

Das sprechende Einhorn schüttelt den Kopf. Ach, lass mich doch schwärmen, liebes Einhorn. Wir beide wissen ja, wer der Allerschönste ist. Aber noch wollen wir es nicht verraten. Pscht!
 
Vers 499 aus oben genannten Buch:

„Seelenwanderung existiert nur durch Projektion. Wenn die Projektion aufhört, gibt es keine Seelenwanderung mehr. Erkenne dies klar als den Unterschied zwischen dem Nicht-Erlösten und dem Erlösten.“


In meiner Geschichte „Irrlichter am Ende des Tunnels“ gab es doch diese verlorenen Geistwesen. Was geschah mit ihnen? Sie wurde wiedergeboren. Immer wieder. So lange, bis das Paradies geschaffen war. Anfangs, als alle Menschen ausgelöscht waren, dürfte es gar nicht so einfach gewesen sein, da es noch nicht so viele Menschen auf der Erde gab und es auch nicht so viele geboren wurden. Ich glaube, falls es so was wie Wiedergeburt gibt, leben wir alle möglichen Lebewesen durch – angefangen von der Amöbe bis zum riesigsten Wal. Und das immer und immer wieder.

Wir glauben in allen Belangen das Höchste der Schöpfung zu sein. Kein anderes Lebewesen auf Erden wäre fähig, Erleuchtung oder wie oben aus weiter oben genannten Buch zitiert Erlösung zu erlangen. Was aber, wenn die meisten Tierarten es eher schaffen? Was aber, wenn uns sogar Pflanzen überlegen sind? Jetzt kommt es wieder. Ich kann es bereits sehr leise hören: 'Die hat sie ja nicht mehr alle.'

Klar denke ich das auch von mir selber und kann meine eigenen Gedanken kaum nachvollziehen. Aber die Möglichkeit wäre doch da. Wir, besonders ich, denken einfach zu viel und nehmen das Leben schwerer als es ist. Zumindest jene, die eh keine echten Probleme haben, was ich schon erwähnt habe. Tiere sind da anders. Wir sagen ihnen nach, kein Selbstmitleid zu haben. Ein Vogel erfriert ohne Bedauern und fällt einfach vom Baum. Wir würden ein Drama draus machen und tun es ja auch.

Es gibt eine Geschichte (ich habe schon viele Geschichten geschrieben, da ein Tag ohne zu schreiben oder zu malen, fast ein verlorener Tag für mich ist) von mir, die ich mit „Mein wunderbarer Glaube“ betitelt habe. Hier die letzten beiden Textabschnitte:


„Irgendwann werden dann alle wissen, dass es so etwas wie einen endgültigen Abschied gar nicht gibt, sondern wir uns immer wieder treffen, um aus allen Universen, die es gibt, Paradiese zu machen.

Ich glaube, die anderen Lebewesen auf der Erde und vielleicht im ganzen Universum wissen das bereits. Vor allem die Tiere auf der Erde wissen es, die uns ja auch immer wieder begegnen und bei uns sind. Ich weiß, dass meine Katze auf mich in der nächsten Welt wartet. Ich weiß zwar nicht, ob sie dann noch eine Katze ist. Es wäre auch möglich, dass sie ein Mensch werden könnte.

Es heißt ja, dass sich alles immer weiter entwickelt. Aber das wäre mir auch egal. Ich wäre auch gerne eine Katze oder ein Hund. Ja, ein Hund, wie ihn damals die Nachbarn meiner Tante hatten. Er hat meine Katze immer geärgert und sie gejagt. Aber ich weiß, dass er ihr nichts getan hätte. Jedes Mal, wenn sie auf einen Baum kletterte, stand er darunter, bellte und wedelte mit seinem Schwanz, als ob er nur mit ihr spielen wollte. Aber meine Katze wollte mit ihm nicht spielen. Irgendwie dürfte sie auf ihn böse gewesen sein. Vielleicht hat er sie in der letzten Welt einmal furchtbar beleidigt? Na ja, irgendwann werden sie sich schon wieder verstehen, - in irgendeiner anderen Welt, wo auch wir uns alle gut verstehen werden und es keine Kriege und keinen Streit mehr geben wird.“


Es wäre auch mein wunderbarer Glaube. Aber was ist nun mit der Projektion? Wir haben noch alle eine ziemlich verfälschte Optik, möchte man meinen. Ich weiß schon, dass es im oberen Text anders gemeint ist. Alles loslassen, keine Wahrnehmung mehr, kein Bewusstsein mehr – oder doch all dies, aber in einer anderen Form. Wer sagt uns, dass es keine andere Wahrnehmung gibt, kein anderes Bewusstsein? Wir nehmen nur die Spitze des Eisberges wahr, der andere, viel größere Rest liegt noch im Verborgenen.

Und ja, mein alles geliebter Freund Carlos schrieb doch auch über andere Wahrnehmungen. Was, fragte er einst Don Juan, passiert, wenn ich die grüne Wand überwinde und in eine andere Welt gehe? Wo ist Los Angeles dann? Wo bin ich? Du, antwortete Don Juan, wirst bleiben und Los Angeles wird verschwinden. Oder als Eligio gefragt wurde, wo Don Juan und Don Genaro jetzt sind und einer der jungen Lehrlinge meinte, die beiden sind in der überdimensional großen Kuppel. Carlos meinte, die überdimensional große Kuppel sei doch eine Vision. Dann sind sie eben in einer Vision, sagte der Lehrling und erntete von mir Hochachtung während des Lesens. Egal, wo sie sind, es gibt anscheinend kein für immer bleibendes Wo. Aber der Mensch bleibt immer.

So ähnlich zumindest steht es in meinen Lieblingsbüchern geschrieben. Es ist also immer der Mensch, der bleibt – oder der Menschengeist, der sich nicht in Nichts auflösen kann. Kann der Körper auch nicht. Der verändert sich nur, wird zu Staub, zu Asche oder zum Kot eines Geiers. Das wäre eine Bestattung für mich! Zerstückeln und den Geiern zum Fraß vorwerfen, wie es in weltlichen Regionen üblich ist, die keine Baumbestände haben. Ich würde als Geist laut lachen, wenn die Geier dann auf ganz bestimmte Menschen ihren Kot ablassen. Ein schöneres Karma kann es gar nicht geben.

Ja, manchmal bin ich auch etwas boshaft. Und das sprechende Einhorn nickt.
 
Das Haus am See. Ich vergaß zu erwähnen, dass die blaue Hütte am Seeufer gebaut ist. Ein See mit klarem, reinem Wasser. Trinkwasser! Die Wiese ist weich zu den nackten Fußsohlen und gutes Futter für die sechs Einhörner. Eines von ihnen wird bald das siebente Einhorn zur Welt bringen. Zur Welt? Dies hier ist ein erträumtes Paradies. Eine Vision. Keineswegs eine oder gar die Welt. Was ist die Welt überhaupt? Tatsächlich Illusion? Vortäuschung falscher Tatsachen? Gar nicht existent. Nicht mal ein Gedanke. Nie geschehen.

Erlösung gibt es nur im Einen. Ein Paradies wäre erst die Vorstufe dazu. Und falls es so was wie Erlösung gibt, bin ich noch tausende von Wiedergeburten davon entfernt.

Reich geboren zu werden. In einer Villa mit Park aufzuwachsen. Liebende Eltern und vielleicht viele Geschwister. Wäre doch eine gute Option. Aber wie sagen die heiligen Bücher? Materieller Reichtum schmälert den Geist.

Dann doch lieber irgendwo in Tibet, wo es üblich ist, die Kinder einmal in ihrer Kindheit eine gewisse Zeit lang in ein Kloster zu schicken. Es muss gar nicht in Tibet sein. Erlösung in nicht mehr so weit entfernten Leben wäre in jeder religiösen oder spirituellen Einrichtung möglich. Man muss nur glauben.

„Und das kannst du einfach nicht. Du kannst nicht glauben und weißt, dass man sich zum Glauben niemals zwingen kann.“

Na, wer kommt denn da angerauscht? Reitet auf einem schwarzen Wildpferd daher und man kann gar nicht sagen, wessen Mähne einem mehr bezaubert, die des Hengstes oder die des Jünglings, der sich eben vom sattellosen Rücken seines Reittiers schwingt. Fast gleich lang dürfte sie sein, die Mähne, denn dem Jüngling, dem Allerschönsten der Schönen, reicht das blauschwarz glänzende Haar bis zu den schmalen Hüften. Er ist barfuß, trägt fast weiß gewaschene, mit einigen Löchern versehene Jeans und ein weißes Trägerleibchen, das sich so wundervoll von seiner wie sonnengebräunten Haut abhebt. Wie sonnengebräunt, denn er, der Bezauberndste aller Bezaubernden ist von Natur aus mit samtweicher, bronzefarbenen Haut gesegnet. Nicht blau! Obwohl er mir manchmal so erscheint. Farbmäßig, niemals sei Zustand. Er ist der Nüchternste unter den Nüchternen.

Stimmt. Ich möchte glauben. Nur weiß ich nicht genau, woran ich glauben möchte. Weißt du, dass ich mich an den Namen 'Arima' kaum gewöhnen kann. Okay, jetzt, wo du mir in dieser Form gegenüber stehst. Ja, setz dich nur zu mir. Der Liegestuhl ist breit genug für uns beide. Nun, wo du mir in dieser Form, sozusagen als Jüngling gegenüber sitzt (!), ist 'Kim' ohnehin passender. Glaub aber nicht, dass wir jetzt wieder mit den Gesprächen beginnen. Es ist alles schon gesagt, mein Freund.

Und in diesem Moment fällt ein kleines, junges Einhorn aus etwa eineinhalb Metern zu Boden. Die Mutter wiehert vor Freude und leckt das Junge sofort ab. In diesem Moment, wo ich deine Nähe wieder einmal spüren darf. Wenn auch nur gedanklich in dieser wundervoll natürlichen Umgebung.

Worin besteht der Unterschied zwischen gedanklich und wirklich? Man denkt sich nur was aus. Man erfindet. Man phantasiert.

Man hat Visionen. Nein, keine Visionen. In einer Vision stecken Don Juan und Don Genaro. Es war irgendwie traurig, als die beiden weg waren. Ich spürte, dass auch Freund Carlos trauerte, während er darüber schrieb, wie das mit den neuen Zauberern in die Hose ging. Carlos war nur ein dreizackiger Nagual, also musste er sich einen neuen Ring von Zauberern suchen. Ober er sie tatsächlich gefunden hat?

Das Junge steht bereits und trinkt bei seiner Mutter. Es wird nicht lange dauern, bis es wie die anderen sechs Einhörner das saftige Gras fressen wird. Einhörner wachsen schnell.

„Eigentlich werden sie nicht geboren.“

Du hast recht, Kim. Sie sind Wesen der Anderen Seite und nehmen immer nur die Gestalt von jemand oder etwas an. Aber diese Einhörner sind anders. Es sind meine wilden Pferde. Who's gonna ride your wild horses, wie Bono von U2 so schön singt. Oder war das auch deine Stimme, mit der du so wundervoll subtil unsere Erddimension beschützt hast, mein wilder Rockstar? Meine wilden Einhörner. Noch sind sie weiß, aber wenn dein schwarzer Hengst noch länger bei ihnen grast, könnten sie bald dunkler werden.

„Dein Selbst ist dunkel.“

Ich weiß, das hast du mir schon mehrmals gesagt und auch, dass es nicht gut oder böse bedeutet, weil man ja immer glaubt, die Dunkelheit sei das Böse. Irgendwie blöd, was? Wieso soll dunkel böse sein? Weil man sich im Dunkeln schlechter zurecht findet? Weil Kinder manchmal in Dunkeln Angst haben? So muss es wohl sein. Aber ich liebe das Dunkle. Es blendet meine sehr lichtempfindlichen Augen nicht.

Und wieder einmal nickt das sprechende Einhorn, das nun statt Kim neben mir im Liegestuhl lehnt. Geh und sorge dich um dein Junges. Oder soll wieder nur die Mutter alle Arbeit machen? Es dreht die Augen über, erhebt sich und läuft etwas später mit seinem Jungen um die Wette.

Man mag glauben, all dies hier hat eine mehrdeutige Bedeutung. Metaphern! Mag schon sein. Aber wer kann sie enträtseln?
 
Vers 604

Die Tatsache, dass sich alle – Kinder und Erwachsene – beim Aufwachen wieder erkennen, ist für die größten Gelehrten der Beweis, dass das Selbst im Tiefschlaf kontinuierlich, ohne Unterbruch, existiert.


(Quelle siehe oben)


Sofort, ohne darüber nachzudenken, rief ich innerlich „Aha“ aus, und „Jetzt hab ich euch, ihr Scheinheiligen!“ Aber nichts da, nichts von heilig und nicht einmal scheinheilig. Man muss tiefer gehen. Verinnerlichen. Auch wenn die Medizin und Wissenschaft davon ausgeht, dass das Erkennen von den jeweiligen Gehirnregionen, wie alles andere körperliche auch, abhängt, heißt das nicht, dass obere Zeilen nicht stimmen. Ja, man muss tiefer gehen und sich fragen, wer oder was bringt das Gehirn dazu, dies alles zu leisten? Dann braucht man nicht allzu vorschnell ein „Aha“ ausstoßen. Gelle?


Vers 789

Du bist jene reine bewusste Wirklichkeit, frei von jeglicher Vielfalt, innen und außen unendlich wie der Raum, und genießt als das höchste nicht-duale Prinzip die Glückseligkeit des Absoluten.



Tausende Wiedergeburten? Nein, Millionen! Advaita-Vedanta ist nicht nur hohe Philosophie, sondern auch Wissenschaft, die studiert werden will. Und dann immer wieder diese Zweifel. Natürlich suchen sich alle ganz eigene Wege. Das ist unsere Individualität. Selbst dann, wenn tausende Menschen dieser Religion huldigen und andere tausende jener, erkennt jeder die Schriften auf seine ganz eigene Art und Weise. Das sei nur gesagt, weil ich stets gegen vorgeschriebene Wege wettere und sage, es soll sich doch jeder selbst seine innere Welten suchen.

Die Zweifel müssen jedoch erwähnt werden. Was, wenn man sich durch Religionen, vor allem durch Advaita-Vedanta selbst etwas einredet, sozusagen selbst Gehirnwäsche macht? Dann könnte man sich auch die Frage stellen, ob der Mensch nicht von klein auf einer Gehirnwäsche unterzogen wurde. Und wieder Freund Carlos:


„Jeder, der mit einem Kind in Kontakt komme, sei ein Lehrer, der unaufhörlich die Welt erkläre, bis zum dem Augenblick, wo das Kind die Welt so wahrnehmen könne, wie sie ihm erklärt wird. Nach Don Juan haben wir keine Erinnerung an diesen folgenschweren Augenblick, einfach weil wir keinen Bezugsrahmen hatten, in dem wir ihn mit etwas anderem hätten vergleichen können. Doch von diesem Augenblick an ist das Kind ein Mitglied. Es kennt die Beschreibung der Welt; und es erreicht, glaube ich, die volle Mitgliedschaft, wenn es in der Lage ist, alle seine Wahrnehmungen so zu deuten, dass sie mit dieser Beschreibung übereinstimmen und sie dadurch bestätigen.“


Gehirnwäsche pur, wenn man mich fragt. Was uns da alles genommen wurde, wenn sich das, was Don Juan sagt, bewahrheitet. Nicht nur absolute Glückseligkeit und Unendlichkeit würden uns offen stehen, sondern unzählige andere faszinierende Welten. Und nicht zu vergessen, die Vision, in der Don Juan und Don Genaro sich befinden.

Ich will es nicht übertreiben, indem jemand meinen könnte, ich würde mich über all das lustig machen. Natürlich respektiere ich jede Religion, jede Kultur, aber diese Schubladenspiele könnten doch schon lange aufgehört haben. Gerade das habe ich in oben erwähnten Buch mit den Versen heraus gelesen. Ich bin nicht nur Frau, Mutter, Malerin, Schreiberin, Österreicherin usw., sondern eine individuelle Seele, wenn man so will. Ich meine, wenn man das so ausdrücken will – die individuelle Seele. Na ja, wie sonst? Individuum? Das klingt dann wieder zu sehr nach Person. Es geht doch um das Ganze, in dem all diese Vielfalt steckt, die sich einfach nicht in unzählige Schubläden stecken lassen. Wozu unterscheiden, wenn doch alles unterschiedlich ist?

Natürlich geht es nur Schritt für Schritt. Nur wenige hat es gepackt. Was gepackt? Na, die superschnelle Erleuchtung. Zack! Blitz! Und was dann? Vor der Erleuchtung Wasser tragen, nach der Erleuchtung Wasser tragen. Na, bitte!

Wir wollen einfach nur glücklich sein. Unser kleines Leben still und heimlich leben ohne groß aufzutrumpfen, ohne sich in den Mittelpunkt zu stellen. Zufrieden sein, mit dem, was wir haben. Hausfrauenphilosophie. Mehr braucht es nicht. Und es nicht so minder, wie manche glauben.

Dafür all dieser Aufwand? Dafür dieses riesige Universum? Und irgendwo am Rande des Universums ein winzig kleiner blauer Planet, der Menschen hat und deswegen todkrank ist. Menschen als Krankheit. Zu minder? Keine Menschen mehr – keine Worte mehr. Dann gibt es auch keine Krankheiten und keinen Tod.

Wahre Erkenntnis ist wie die Erklärung Wittgensteins mit der Leiter. Man braucht sie, um zum Verstehen hoch zu klettern. Hat man das Ziel erreicht, wirft man die Leiter um und bleibt schließlich oben.

Religionen und Philosophien sind Brücken oder Leitern. Es sind Schriften von Menschen, die einen Draht nach Innen (oder nach Oben?) hatten und haben, nach denen wir uns richten können, wenn es zu dunkel um uns wird. Oder zu hell.


Das kleine Einhorn ist grau und sein kleines Horn schwarz wie Ebenholz. Noch immer rennt es mit seinem Vater um die Wette. Und jedes Mal gewinnt es. Und dieses Mal rennt es davon. Da es keinen Zaun hier gibt, sprintet es über die weite Wiese, weg von den Bergen, ins unendliche Grün hinaus. Es hat erkannt, dass es anders ist. Es hat auch erkannt, dass es viel lernen muss, um zu verstehen, warum es geboren wurde. Zufall? Wahrscheinlich. Und wenn schon. Jetzt ist es da. Und mit diesem Dasein muss doch etwas anzufangen sein.

„Folge ihm“, sagt das sprechende Einhorn.

Das Dunkle hat mich schon immer fasziniert. Das so genannte Böse. Diese tragische Rolle des Bösewichts, der gar nicht böse sein will. Aber ihm bleibt nichts anderes übrig. Es ist sein/ihr Schicksal. Also doch kein Zufall? Wie auch immer. Ich folge ihm, denn von schwarzen (das Grau wird immer dunkler, bis es zum tiefsten Schwarz mutiert) Einhörnern kann man viel mehr lernen als von weißen.
 
Vers 841

Ich bin nicht an den Körper, nicht an die Sinne und nicht an die geistig-seelischen Kräfte gebunden. Ich habe keinen Hauch von Tugend und Laster und bin weit entfernt von den sechs Leiden (Alter und Tod, Hunger und Durst, Kummer und Enttäuschungen). Ich bin ewig erlöst, reines Bewusstsein.


Schritt für Schritt. Wo früher Vielfalt im Einen vermutet wurde, ist nur mehr das Eine ohne ein Zweites. Nicht mal eine Idee von der Vielfalt im Absoluten ist mehr vorhanden. Welch Fortschritt der nächste Schritt!

Schritt für Schritt folge ich dem kleinen Einhorn, dessen Grau von Schritt zu Schritt dunkler wird. Es wendet mir seinen kleinen Kopf zu und spricht wie sein Vater.

„Die Seele macht den Körper. Nicht umgekehrt.“

Wie bist du entstanden, kleines Einhorn?

„Wie eine Welle des Meeres, wobei alle Wellen Illusionen sind, da das Meer – das Eine ohne ein Zweites – von nichts bewegt werden kann.“

„Ich bin nicht“, sagt das kleine Einhorn als Welle. „Ich bin“, sagt das kleine Einhorn als das Meer aus glatter Fläche.

Als Ich-bin-nicht tut es alles Mögliche. Es stiehlt in der nächsten Stadt Futter ohne zu bezahlen. Es wirft eine alte Frau mit seinen Hinterhufen um. Es tut Böses.

„Wer erfährt das Böse, wenn nicht du?“ fragt das kleine Einhorn. „Wo ist das Böse, wenn nicht in dir?“ fragt das kleine Einhorn und wandert in die nächste Stadt, um abermals Böses zu tun. Das tut es so lange, bis es nichts Böses mehr zu tun gibt und das Böse nicht einmal mehr das Gute hervorhebt.

Vielleicht fragt es dann: „Wer erfährt das Gute, wenn nicht du? Wo ist das Gute, wenn nicht in dir?“

Und schließlich: „Worin besteht der Unterschied zwischen Gut und Böse, wenn die Meeresfläche spiegelglatt ist?“
 
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Vers 994

Wessen Bewusstsein leer ist vom Inhalt der vedischen Aussage „Die Einzelseele ist Gott“, leer von den Aussagen der vedischen Schriften „Ich bin dieses Bewusstsein“ oder „Ich bin Bewusstsein“, ist ein Erlöster ohne Körper.


Freund Carlos schrieb über 'die menschliche Form verlieren'. In seinem letzten veröffentlichten Buch „Das Wirken der Unendlichkeit“ kam er, nachdem er seine menschliche Form verloren hatte, in ein Restaurant und traf dort auf einen Mann, den er früher oft in diesem Lokal gesehen hatte. Als sich nun die Blicke der beiden trafen, schrie der Mann laut auf und rannte aus dem Restaurant. Carlos folgte ihm, fragte, warum er denn vor ihm wegläuft. Der Mann schrie noch lauter und Carlos ging zurück ins Lokal. Dort fragte ihn die Kellnerin was denn los war. Carlos antwortete, er wollte nur einen Freund treffen. Die Kellnerin fragte, ob der Mann, der vorhin schreiend das Lokal verlassen hatte, sein Freund sei. „Er ist der einzige Freund, den ich auf der Welt habe“, antwortete Carlos.

Ich liebe diese Textstelle, die ich etwas stümperhaft (bis auf Carlos' Antwort) zitiert habe. Es zeigt für mich die äußere Einsamkeit und zugleich die innere Fülle auf. Aber der Grund, warum mir diese Textstelle und vor allem das Verlieren der menschlichen Form zu dem Vers 994 einfiel, ist, dass ich einige Parallelen von Advaita-Vedanta und den Lehren des Don Carlos erkenne.

Der Erlöste ohne Körper ist ein Krieger, der die menschliche Form verloren hat. Das Nicht-Selbst vergleichbar mit dem Tonal, das erklärt werden kann, während das Selbst, vergleichbar mit dem Nagual, vielleicht nur intuitiv erahnt werden, aber nur mit reinem Herzen erfahren werden kann. Auch die Aussage, dass sich nur durch Meditation alle inneren Knoten lösen, zeigt mir eine Parallele zur Rekapitulation, wodurch man all den inneren Mist los wird, um der wahren Kraft Platz zu machen.

Vielleicht sind diese beiden Leeren (meiner Ansicht nach!) so komplex, und sich deshalb einander so ähnlich. Der Gedanke, Carlos könnte etwas von den Veden und teilweise auch vom Zen abgekupfert haben, kam mir eigentlich nie wirklich. Es dürfte (wegen meiner gefühlten Komplexität) eher so sein, dass alle Philosophien und religiöse, wie auch esoterische Lehren an einen Punkt stoßen, an dem es mit Erklärungen nicht mehr weiter geht. Und eben dieser Punkt dürfte sich in all diesen Lehren ziemlich ähnlich sein. Da zeigt sich also schon wieder, wie begrenzt das kleine menschliche Bewusstsein sich zeigen kann.


Das kleine, bereits fast schwarze Einhorn, mit dem elfenbeinschwarz schimmernden Horn, bepackt mit kleinen Säckchen voller Münzen und Scheinen, stolziert in der nächsten Stadt, in der wir eben vorbei kommen, an einer Reihe Bettler und Obdachlosen vorbei, ohne sich um ihre Bitten und nach ihm streckenden Hände zu kümmern. Hartherzig und stolz mit hoch erhobenem Haupt stapft es an ihnen vorüber, sieht nicht die Tränen, hört nicht das Jammern, als wäre es blind und taub gegenüber Leid und Kummer.

In diesem Moment erinnere ich mich wieder an Freund Carlos und die Episode, als er und Don Juan in einem Lokal essen und Carlos sieht, wie eine Bande Jugendlicher die Essensreste aus den Tellern nehmen, welche Gäste übrig gelassen haben. Dies war so eine Art Abkommen zwischen dem Restaurantbesitzer und den Kids, solange sie die Gäste nicht belästigen, dürfen sie die Essensreste an sich nehmen. Carlos taten diese Jugendlichen leid und Don Juan fragte ihn, weshalb. Carlos zählte alles mögliche auf, Hunger, keine Unterkunft, keine berufliche Zukunft, usw. Don Juan fragte, was denn für Carlos am Erstrebenswertesten sei. Natürlich ein Zauberer, ein Krieger wie Don Juan zu sein! Nun, meinte Don Juan schließlich, dies stünde diesen Jugendlichen auch offen, also müsste er kein Mitleid mit ihnen haben.

Weiter oben schrieb ich, dass sich wahre Probleme mit klugen Sprüchen nicht so einfach wegmachen lassen. Natürlich klingt es wie Hohn, zu sagen, die Bettler und Obdachlosen, an denen das kleine Einhorn mit seinem materiellen Reichtum auf dem Rücken vorbei geht, ohne ihnen einen einzigen Cent zu zu werfen, können sofort erleuchtet werden, wenn sie lernen und erkennen, was in ihrem Inneren steckt. Genauso dachte ich, als ich die Textstelle bei Carlos über die Jugendlichen las, deren Überleben davon abhing, wie viel die Gäste in diesem Lokal an Essen auf ihren Tellern übrig lassen. Aber laut geistigen Lehren ist die Schulung des Geistes das Um und Auf, während der Körper, der ohnehin einmal abgestreift wird, Nebensache ist.

„Schult euren Geist!“ ruft das kleine Einhorn. „Er ist das einzig Wahre, das ihr besitzt, das ihr selbst seid!“

Welch Geschenk, wenn sie verstehen, es anzunehmen!
 
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