ich erinnere mich noch gut an die zeiten, in denen ich - es war 1968 plus/minus - mit der "enteignet springer!"-plakette rumgelaufen bin, von wasserwerfern durchnässt wurde, stolz darauf war, wenn mich auf offener straße jemand wegen meiner nach heutigen maßstäben geradezu lächerlich längeren haare anpöbelte ... damals hätte mir nur eines passieren können, was wirklich schlimm gewesen wäre: dass mir ein erwachsener zugestimmt hätte.
du fragst, christoph, was dich dabei unterstützen könnte, leute wie den goldfisch oder jori ins herz zu nehmen ... also ich halt mich an die sympathie, die ich für das engagement der typen aufbringe. mag vieles blindwütig sein, auch engstirnig und uneinsichtig, strategisch deckungsgleich mit den propagandawalzen in aller welt - es hat power. und wenn ich für die eine seite in anspruch nehme, dass sie "im dienst stehen", dann auch für die andere. offenbar braucht die geschichte immer wieder ihre nützlichen idioten, auf allen seiten. ich denke auch, dass die historisch-politische komponente ja nur das vehikel ist, mit dem persönliche umstände ausagiert werden ... was nix außergewöhnliches ist, sondern eh uns alle betrifft. warum wohl verplempern wir denn so viel zeit und schreiben in einem webforum? warum wohl werden menschen politiker? warum freiwillige helfer beim RK? wann geht es wirklich um "die sache", wann um das, was einem hilft, sich besser zu fühlen?
und mit jori, goldfisch & co können wir hier wenigstens streiten, mag es noch so unfruchtbar sein. mit denen, die sich in wehrsportgruppen zusammenrotten oder die asylantenbuden abfackeln, könnten wir uns höchstens schlagen. so wie der sohn einer freundin, der sein engagement gegen eine rotte skinheads mit dem verlust einer niere bezahlte. nein, da unterscheide ich noch ... und in respekt vor dem geschehenen möchte ich auch wirklich abstand halten von vergleichen zu reichskristallnacht etc. - es gibt ja sogar tierfreunde, die die massentierhaltung mit einem KZ vergleichen, und da hört sich für mein empfinden der spaß auf. ich möchte bei dieser eskalation der anschuldigungen nicht mitmachen und den überdruck lieber rausnehmen aus dem diskurs - so ca. nach dem motto "stellt euch vor, es wäre krieg, und keiner geht hin".
ich finde es gut, dass leute wach sind gegenüber faschistoiden tendenzen. ich finde es weniger gut, dass sie die nur im "feind" sehen und dazu tendieren, den teufel mit beelzebub auszutreiben. was die anti-hellinger-kampagne betrifft, so arbeite ich lange genug im bereich der zielgruppenkommunikation und werbung, um das gesetz der solidarisierung mit den angegriffenen zu kennen. der alte fuchs hellinger weiß ganz gut, dass er am besten fährt, wenn er seine gegner all die propagandaarbeit tun lässt. sie funktionieren eh so berechenbar, dass man meinen könnte, sie würden von ihm bezahlt. wir kennen es ja auch aus den familiensystemen, dass kinder sich gerade mit dem elternteil gern solidarisieren, der vom andren elternteil schlecht gemacht oder missachtet wird. das funktioniert offensichtlich auch in größeren agglomeraten perfekt.
in der sache selbst bin ich, wie leute bemerkt haben, die sich mit der materie auskennen und ihr "wissen" nicht bloß aus den im kreis laufenden ping-pong-stafetten des anti-hellinger-agitprop beziehen, durchaus differenziert zu hellinger positioniert, sowohl methodisch wie auch erkenntnistheoretisch. ich lasse mich auch nicht durch all die niveaulosigkeiten in irgendein handgeschnitztes freund-feind-lager drängen ... drum kann ich auch ohne bauchweh sagen, dass mir zum beispiel die äußerungen hellingers über die scholl-geschwister durchaus entbehrlich erscheinen. die hitler-passagen allerdings in "gottesgedanken" zum beispiel halte ich für eine äußerst bedeutsame akzentuierung in der dringend notwenigen vielgestaltigkeit der auseinandersetzung mit dem thema "hitler", das durch eine verkürzung auf ein bild vom monströsen ver-führer katastrophal verzerrt erschiene.
so drückt auch joris zitat einer hellinger-aussage ... "aus einem vortrag" schriebt rossbach, und ich vermag nicht zu verifizieren, wie authentisch es wirklich ist ... eine unbequeme wahrheit aus:
Wenn ich mich daher vor dem Negativen oder dem Sündigen oder dem Kämpferischen drücke, verliere ich vielleicht gerade das, was ich behalten will, nämlich mein Leben, meine Freiheit, meine Größe, meine Würde. Nur wer sich auch mit den dunklen Kräften verbündet und sich ihnen stellt und ihnen zustimmt, der ist verbunden mit den Wurzeln und den Quellen seiner Kraft. Solche Menschen sind mehr als gut oder böse. Sie sind im Einklang mit dem Kosmos und dem Ganzen. Sie wissen, dass das Schlimme mehr ist als nur zum Licht der Schatten. Es ist der Grund, aus dem das Große wächst. Das Gute ist erst seine Frucht.
das ist ja keine hellinger-erfindung, sondern eine einsicht, die quer durch die philosophien der welt und die weltliteratur vertreten ist. es braucht schon besonders ausgeprägte scheuklappen oder eine besonders engstirnig ausgeprägte moralisierende selbstberechtigung, das zu übersehen ... oder eine große angst, ins eigene dunkel zu schauen. oder einfach die weigerung, sich um ein tieferes verständnis menschlicher urgründe zu bemühen und den leichten weg der oberfläche zu gehen - aber den kennen zu lernen ist wohl auch notwendig, um irgendwann mal zu den wurzeln vorzudringen. dran zu ziehen reicht nicht, jori...
aber jori und goldfisch und wer sich noch angesprochen fühlt in dieser fraktion - ihr drückt auch ja eh nicht "vor dem Negativen oder dem Sündigen oder dem Kämpferischen", ihr seid ja mittendrin. ein teil des ganzen.
ja, eins noch und immer wieder: die geschwister scholl sind namentlich in erinnerung geblieben. bert hellinger kann man einfach an seine adresse schreiben oder ihm irgendwo begegnen. christoph ist ebenso mit voller identität präsent wie ich, wo jori ja sogar meine nachdenklichkeit hervorhebt und zu wissen meint, wie ich aussehe. wie kommt es, dass nach wie vor die protagonisten dieser anti-kampagne sich hinter ihrer anonymität verschanzen wie die feigen heckenschützen? was habt ihr zu verlieren, freunde? wovor fürchtet ihr euch? ich hätte wirklich gern eine antwort auf diese frage... was führt leute dazu, die sosehr engagement und moralität auf ihre fahnen geschrieben haben, im hinterhalt zu bleiben? lasst es uns bitte wissen...
jake