Rückblick auf einen Rückblick (März 08), Betrachtung aus der Ferne, ohne Details zu erzählen, was vermutlich pathetisch-romantisch klingt. Es darf.
Ich ging und schleppte mich, und fand doch Halt am inneren Stab. Hatten sie mir nicht einen leuchtenden Goldstab eingeschoben? Entlang meiner Wirbelsäule, mir den Rücken zu stärken, für das, was auf mich zukäme? Nie hätte ich es mir damals annähernd vorstellen können. Keine Ahnung, ob ich den Weg, meine Leidensgeschichte, hätte abkürzen können.
Mein Gehen in diesen Zeiten war unzuverlässig, denn manchmal waren wenige Schritte schon wie der Gang zum Totenbett: Mein Herz schlug schnell und schwer, klopfte wild in den Hals. Ich ging langsam, unendlich langsam, hielt mein Herz geistig, und mit meinem Willen sprach ich ihm zu, für mich und meine Kinder weiterzuschlagen. Und es schlug, war zäh, wollte seinen Rhythmus nicht aufgeben, wenngleich es manchmal aus dem Takt fiel. Ich dankte, viele Male, denn sooft unmittelbare Gefahr drohte, tauchte Hilfe auf, meist anders als ich erhofft hatte, später als ich es mir gewünscht hätte, doch sie kam.
So wuchs dicht neben der Angst mein Vertrauen, nicht in deren Schatten, und dem Verstand fremd, dass auf anderer Ebene, Ahnen, wohlwollende Geister und große Meister, darunter vermutete ich Ärzte, mich wohlwollend umgaben. Vielleicht auch, was man Engel nennt zu diesem Namen hatte ich weniger Zugang, doch ich begann mit ihnen zu sprechen und glaubte, sie zu spüren. Es schien Bewegung in den Gruppen, die mich umgaben, je nach Bedarf und Not, einen jedoch glaubte ich fast immer an meiner Seite, ihn, den großen Bruder, vor dessen Mut, Kraft und Liebe ich Ehrfurcht hatte.
Untrennbar weiß jeder Licht und Schatten, doch im Überregionalen, im Uneinsichtbaren, meiner dumpfen Wahrnehmung Entzogenen wollte ich es lieber nicht annehmen, hätte es gerne in der Theorie der Religionen belassen, den Glauben an finstere Mächte, Energien, Dämonen. Und als Licht und Finsternis in mein Leben brach, war ich gänzlich unvorbereitet, naiv und schutzlos. Jetzt noch wüsste ich nicht, ob ich es glaubte, hätte einiges nicht heftige Spuren hinterlassen.
Ich trieb mich an Grenzen herum, zuerst fast freiwillig, später konnte ich es mir nicht mehr aussuchen. Etwas hatte ich entfacht war es Wut oder bloßes Interesse, wer sich so naiv anmaßte, im Totenreich mitmischen zu wollen, den bittenden Verstorbenen, die gestaltlos, aber sehr nahe schienen, zu helfen versuchte. Und als sich die dunkle Seite meldete, war ich erschüttert, und ging doch weiter, ließ nicht ab vom Kommunizieren, vom Sehen, das in Worten kam, sich als Gefühl in den Körper bohrte, und auch als Schmerzen.
Nach jeder Not, die überstanden war, setzte ich meinen Weg fort. Konnte, was mir geschehen war, kaum glauben. Schüttelte fast ungläubig den Kopf. Schlieren abstreifen, als hafteten an mir Spinnweben von einem lange unbetretenen Raum.
Ein Grenzgang war meine Not, sichtbar ohne Einsicht in mein Leid zu gewähren, nur wenige sahen mehr, aber immer nur Bruchstücke. Wie wenn alter Fluch auf mir lastete, ich kam an Informationen, die mir aber wenig nützten, da sie keinen Glauben fanden.
Verschwommene Grenzen. Höllenvorstufen. Kein klarer Grenzfluss mit Fährmann. Sumpfgebiet, Schwemmland. Ich stolperte durch Treibholz, strauchelte, fiel. Stand verbissen wieder auf. Auch lächelnd, dankbar für die Hilfen.
Momente, in denen ich nicht weitergehen wollte, es schien aussichtslos, irgendwo anzukommen, wo ich hinwollte. Allein die Liebe zu meinen Kinder, meine Ahnung von ihrer Verzweiflung, trieb die Lebenskraft an, mein Wille maß sich mit Uneinsichtbarem, Finsterem, das mich zerstören wollte und suchte den Schutz des Hellen.
Gehen war Stolpern. War Straucheln und Fallen. Und Aufstehen. Weitergehen. Aufwärts fiel ich, abwärts stürzte ich, rutschte und kroch. Kroch auf allen Vieren hinauf, immer wieder Zweifeln ausgesetzt, die mir die Wurzeln festzubinden suchten, im Dunklen, dort, wo ein Schwarzes Loch und nichts mehr Halt bot. Sie verhedderten sich, ein struppiges, dürres Geflecht, verfingen sich im Dickicht, wollten dort fast einwachsen, doch ich riss sie aus. War wurzellos, flog hoch zu den Bäumen und hielt mich an den Wipfeln, sah dem Himmel ins Auge, ins gleißende, blanke, und wusste nicht, wo oben oder unten. Es rief, es saugte, es sprengte und drückte, und ich fasste wieder Boden, nur wenig, und nur den der Erweiterung meiner Sohlen, der Erinnerung meiner Sohlen an Boden, doch auch schon die Erinnerung half den Füßen weiterzugehen. Ich ging und kein Ende war sichtbar. Strauchelte durch Schmerzen Richtung Heilung. Die Richtung war klar, und wenn ich auch nicht wusste, was mich erwartete, ging ich darauf zu. Und der Weg fing mich, streckte mir Hände entgegen, schlimmste Stürze polsterte er ab. Und er warf mich, so war mein Gehen.