Die Zweite Kindheit.

Danke Trixi, für diesen thread.

Wer's nicht selbst erlebt hat, kann sich nicht vorstellen, was da gefühlsmäßig zuweilen abgeht, sowohl beim Kranken als auch beim Pflegenden.
Ich habe mehrere solche Geschichten auf Lager. Von schon Verstorbenen als auch von noch Lebenden...

Dann gibt es im Alltag Code-Wörter, die mir solche Menschen dann vor Augen führen.

z.B. Georg, 87 Jahre alt, der neuerdings pausenlos "Mutter, Mutter!" ruft...
Er schleicht in winzigen Schritten am Rollator zum WC, ruft laut und fordernd: "Mutter!"
Ich gehe hin, weil ich weiß, dass er allein seine Hosen nicht runter und auch nicht wieder hochbekommt.
Die anderen Heimbewohner sagten mir neulich, dass der doch bekloppt sei und wieso ich eigentlich immer hingehen würde - ich sei doch schließlich nicht seine Mutter. Mach mal anderen Dementen, auch wenn sie noch ein paar mehr Lichtblicke haben, klar, was Validation ist... :clown:

Oh doch, ich bin jetzt Georgs Mama.
Und dafür liebt er mich.
Er kann sich meinen Namen nicht merken.
Und das ist auch egal.

Georg wird den Februar nicht mehr überleben.
Er schlief letzte Nacht auf der verkehrten Seite - auf seiner kranken, stark schmerzenden Schulter, auf der er sonst NIE liegt...
Für mich ist das ein deutlicher Hinweis auf seinen Zustand.
Ich bin froh, dass ich das erkennen kann und somit ahne, wie lange es noch dauert...
Meine Kollegin war wieder erstaunt, was ich alles so beobachte.
Hmmmmmm.
 
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Ode an Lisa, verstorben 2004

Lisa, Ende 80, stark dement.
Sie liegt im Bett, auf ihrem Nachtschrank eine Frauenzeitschrift namens "Lisa".
"Schwester, wie heißen Sie eigentlich?" (die tägliche Frage...)
"Rita".
"Haben Sie auch eine Zeitschrift?"
"Nein, leider nicht."
Lisa: "Das tut mir aber leid!"

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"Schwester, ich habe einen großen Garten mit Apfelbäumen. Da können Sie mal hinkommen und sich ganz viele mitnehmen zum Kuchenbacken."
(Lisas Haus ist verkauft samt Garten, sie vergaß es nur immer wieder.)

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Lisa fragte mich immer mal wieder:
"Sagen Sie mal, haben Sie eigentlich Ihre Steuererklärung schon gemacht?"
Ich: "Nein, warum?"
"Bringen Sie mal alles mit, ich mache Ihnen das fertig. Ich bin Steuerberaterin. Ich mache Ihnen auch einen guten Preis!"

Lisa konnte zu dem Zeitpunkt nicht mehr schreiben. Lisa war früher als Steuerberaterin selbständig und war gedanklich oft im Büro.
Morgens meinte sie oft, ich sollte ihr ganz schnell helfen, damit sie noch pünktlich zum Dienst käme.

Wenn sie meine Mama gewesen wäre, hätte ich ihr ein Formular einer Steuererklärung mit ins Grab gegeben, damit sie auch drüben was zu tun hat und sich nicht so fremd fühlen muss... :)
 
Waltraud war Tänzerin.
Sie hat ein Foto auf dem Nachtschrank, auf dem sie als junge Frau wunderschön grazil in einem bezaubernden Petticoat-Kleid vor der Kamera posiert und keinen Zweifel daran lässt, dass sie eine große Tänzerin in einem Variete' war. Eine Zeit, in der sie vom Leben ALLES ausgekostet hat.

Wenn sie den Speisesaal ausfegt, ist der Besen ihr Tanzpartner.
Trotzdem der Alkoholmissbrauch seine Spuren hinterlassen hat,
sind die Charaktereigenschaften ihres wichtigsten Lebensabschnittes absolut deutlich erkennbar.

Sie summt ständig vor sich hin.
Ihre Lippen sind immer geschminkt - auch die Zähne bekommen von der Farbe etwas ab. Jedes Trinkgefäß bekommt täglich seinen roten Kuss aufgedrückt.
Sie lebt in ihrer Künstlerwelt und ist zufrieden mit den gehäkelten Paradekissen auf dem Bett in ihrem kleinen Zimmerchen.
Nagellack legt sie auch immer auf. Leider ist ihr Nagellackentferner verboten, weil der Alkohol enthält und sie als trockene Alkoholikerin diesen nicht darf. So malt sie immer ganz eifrig über die abgesplitterten Farbstellen drüber, um wieder schön zu sein.
Und sie legt absoluten Wert auf ihre Wäsche. Bei Hausarbeiten kommt eine Schürze drüber.
Nur ihre Inkontinenz bemerkt sie nicht. Und sprechen kann sie auch nicht.
 
Waltraud war Tänzerin.
Sie hat ein Foto auf dem Nachtschrank, auf dem sie als junge Frau wunderschön grazil in einem bezaubernden Petticoat-Kleid vor der Kamera posiert und keinen Zweifel daran lässt, dass sie eine große Tänzerin in einem Variete' war. Eine Zeit, in der sie vom Leben ALLES ausgekostet hat.

Wenn sie den Speisesaal ausfegt, ist der Besen ihr Tanzpartner.
Trotzdem der Alkoholmissbrauch seine Spuren hinterlassen hat,
sind die Charaktereigenschaften ihres wichtigsten Lebensabschnittes absolut deutlich erkennbar.

Sie summt ständig vor sich hin.
Ihre Lippen sind immer geschminkt - auch die Zähne bekommen von der Farbe etwas ab. Jedes Trinkgefäß bekommt täglich seinen roten Kuss aufgedrückt.
Sie lebt in ihrer Künstlerwelt und ist zufrieden mit den gehäkelten Paradekissen auf dem Bett in ihrem kleinen Zimmerchen.
Nagellack legt sie auch immer auf. Leider ist ihr Nagellackentferner verboten, weil der Alkohol enthält und sie als trockene Alkoholikerin diesen nicht darf. So malt sie immer ganz eifrig über die abgesplitterten Farbstellen drüber, um wieder schön zu sein.
Und sie legt absoluten Wert auf ihre Wäsche. Bei Hausarbeiten kommt eine Schürze drüber.
Nur ihre Inkontinenz bemerkt sie nicht. Und sprechen kann sie auch nicht.
Hi Romschka, schön dass Du hergefunden hast.

Warum spricht die Dame denn nicht? Der letzte Satz macht mich jetzt platt. Ist die quasi nur für die Bühne unterwegs?
 
frau x, über 80, schwer herzkrank, nierenversagen, präfinaler zustand.

frau x spricht: "ich gehe jetzt nach hause".

ihr blick ist nicht mehr in diese welt gerichtet, sie ist ganz ruhig.

dann mahlen die mühlen, schnell, notfall, intensivstation ---

.

die ruhe war dahin.

nach hause gegangen ist sie trotzdem.


krabat.
 
Ich habe keine Geschichten, kann nur sagen was ich grad beim lesen fühle:

Demut und Liebe​

Immortal
 
ein hochhaus siebter stock. dort wohnt eine alte dame allein.
frau kremski 81 jahre jahre klingelt zum 8 mal an diesem tag,
an der tür meiner tochter. mit der bitte schwester kommen sie doch mal bitte
zu mir , ich bin in zimmer eins.
beim nächsten mal, meinte sie einbrecher hätten ihr fernbedienung gestohlen.
sie klingelt überall an den vielen türen im flur.
schwester ist das mittagessen schon fertig.
wo war sie wohl.. als sie die leeren gänge ablief..und nach etwas suchte.
dann wurde der soziale dienst eingeschaltet.
jetzt ist frau kremski in einem heim.
schwester kommen sie mal zu mir , ich bin in zimmer eins.
alice
 
Traurige Geschichten. Wenn ich an Walter denk, der sich im Wald zur Ruhe begeben hat, bereits am 4. Tag im Altenheim. Darf ich auch was herschreiben? Ich weiß ja nicht ob das wirklich passt aber zumindest ist es so gewesen.

Vorgestern, bei Mutter im Spital. 3 Bettenzimmer. Am Bett nächst dem Fenster sitzt Frau XY. Ich glaub, 83 ist sie. Die Frau im Mittelbett hat gesagt, XY hätte Alzheimer. Ich kenn das nur vom Namen her, weiß nicht was Alzheimer ist. Will es auch gar nicht wissen. Frau XY ist noch recht gut zu Fuß, läuft oft über den Gang, meist hat sie nur einen Hausschuh an, besucht gern andere Patienten und ist recht gesprächig. Ihr Gesichtsausdruck schwankt zwischen heller Freude und tränennaher Traurigkeit.

Heute sitzt sie auf ihrem Bett, dreht uns den Rücken zu und blickt in die rechte obere Ecke des Zimmers.

"Karli .... Christl ..... geh, kommts her da zu mir!"

"Christl ..... geh kumm. Kumm her."

So geht das eine zeit lang dahin und Frau XY wendet den Blick nicht von dieser Ecke und ich frage mich, ob sie da jetzt wirklich für sie reale Personen sieht. Dann wendet sie sich plötzlich zu uns um und fixiert mich mit ihrem Blick.

"Walter ..... jö .... du bist a da!" Ruft sie und strahlt mich mit einem breiten Lächeln an. Ich hab bereits in den letzten Tagen kurz Kontakt gehabt mit der Frau, aber ich kenn sie zu wenig. Ich weiß nicht recht wie ich ihr begegnen soll und lächle zurück.

"Walter .... kumm her zu mir ...." und im selben Moment ist sie schon auf den Beinen und kommt mit schnellen kurzen Schritten auf mich zu, legt ihre Hand auf meine rechte Schulter und drückt mich an sich. Jetzt mischt sich auch noch Mutter ein in das Geschehen:

"Gfallt a da, mei Bua, gell ....?" Und ich werd Orange im Gesicht.

"Jo, liab issa, da Walter. I hab na gern. Geh, gib ma a Bussi, Walter ..... a Bussi." Jetzt werd ich Rot. Hilfesuchend blicke ich um mich aber ich bin allein im Zimmer mit den drei kichernden Damen und alle drei blicken mich erwartungsvoll an.

Auweh .... denkt es in meinem Kopf. Wie verhält man sich richtig in so einem Fall? Ich bin unerfahren im Umgang mit Alzheimerpatienten. Mutters Vergesslichkeit und zeitweises Durcheinander ist altersbedingt normal. Das hat nix mit Alzheimer zu tun. Nein. Ich will gar nicht wissen, was Alzheimer ist. Was soll ich jetzt machen. Was wird die Schwester denken, wenn sie reinkommt und ich bussle hier .... nein .... das geht doch nicht. Soll ich ihr erklären, dass ich nicht Walter bin? Das Lachen wird aus ihrem Gesicht weichen und Traurigkeit an seine Stelle treten und 10 Minuten später wird sie es ohnehin wieder vergessen haben. Ich bin so schüchtern irgendwie. Verlegen tätschle ich die Hand von Frau XY und überlege, was ich machen soll. Soll ich oder soll ich nicht? Sie nimmt mir die Entscheidung schnell ab, drückt mich fester an sich und haucht mir einen kurzen, trockenen Kuss auf die Stirn. Kurz und Schmerzlos. Im Gegenteil. Sogar irgendwie angenehm spürt sich das an. Und sie freut sich offensichtlich, scheint zufrieden zu sein. Ihr Lächeln wird noch breiter und auch Mutter lacht. Und auch die Frau im mittleren Bett, die sonst die meiste Zeit an die Decke blickt und wenig spricht. Kurze Freude.
 
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hallo ihr,
ich möchte euch etwas über meine grossmutter erzählen, die vor gar nicht so langer zeit verstorben ist.

sie ist zu hause gestorben, meine mutter hat sie gepflegt, mit hilfe eines ambulanten pflegedienstes. sie hatte senile demenz, zum ende hin war zu ihr kein durchkommen mehr, bettlägerig war sie schon lange. wenn man an ihrem bett sass, konnte man ihre worte kaum verstehen, so leise und undeutlich hat sie gesprochen. sie hat uns am bett wahrgenommen, jedoch waren wir für sie ganz andere menschen. ihre welt und unsere welt liefen gar nicht mehr zusammen, weit fort war sie, dabei immer ein kleines lächeln auf den lippen. dann kam der tag, an dem ich gar keinen zugang mehr verspürte. das war sehr schwer für mich.
meine liebe oma lag vor mir, atmete, doch war nicht mehr da.
ich habe mich dann, später, als ich wieder bei mir zu hause war, mit meiner trommel hingesetzt, um sie zu besuchen.

da war eine grüne wiese. meine oma kam lachend auf mich zu, sie sah so jung aus, wie ein kleines mädchen. sie lachte, als sie sprach:
"ich habe hier noch ein paar dinge zu erledigen, sorge dich nicht, mir geht es gut. ich werde nicht mehr lange hier bleiben".es waren noch andere personen dort, die ich jedoch nicht kannte. ich bin noch ein wenig bei ihr geblieben, dann haben wir uns verabschiedet.
sie ist kurze zeit später gestorben.

lg : krabat.
 
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