@ Saaphariy: Danke Dir sehr!
Hallo Trixi Maus,
meine Eltern sind beide als Kinder im Nationalsozialismus aufgewachsen und diese von dir beschriebene bis zum Erbrechen aufopfernde, bevormundene Rolle einer Übermutter wurde mir ebenfalls zu Teil.
Wir sind ein Dreimädelhaus, ich die mittlere von uns dreien. Und da wir, Wortlaut meine Mutter "scheiß Weiber" sind und sie nie den Tod ihres einzigen Sohnes wirklich überwunden hat, setzte sie in mich all ihre Hoffnungen. Die ich weder erfüllen konnte, noch wollte. Es ist schmerzhaft, wenn dir deine Mutter mitteilt, das du nur auf der Welt bist, weil sie zu blöd war zu verhüten und wie sehr sie von dir enttäuscht ist, bis zu ihrem Tode.
Es war ganz egal, wie sehr ich mich bemühte, wie gründlich ich vor ihrem Besuch die Wohnung putzte, es war nie gut genug. Irgendwann habe ich dann ihren negativen Erwartungen mit Freude entsprochen. Sie hat mich, das muss ich der Fairness halber sagen, allerdngs auch nie hängen lassen. Aber sie hat es mich auch immer wissen lassen.
Die Rolle meines Vaters ist so eine eigene. Er war halt der Ernährer der Familie und hatte wenig zu sagen. Wenn wir etwas haben wollten, wie z.B. ein Haustier, musste die Mutter überzeugt werden. Der Aufstand unseres Vaters war dann halt sein Problem.
Tja so war das.
Mein Vater lässt meine Geschwister wenig darüber in Unkenntnis, so wie meine Mutter bei mir, das ich sein absoluter Liebling bin. Irgendwie verrückt, gell.
Als unsere Mutter starb, wurde mir die Rolle meiner Mutter von der Familie angedacht. Ich konnte und wollte diese aber nie ausfüllen und wohne auch ne ziemlich weite Strecke von ihnen entfernt.
Ist nicht so ganz einfach in unserer Familie.
Da ich selber Ahnenverehrung betreibe, konnte ich mit dem Rest meiner Verwandtschaft durchaus Frieden schließen. Bei meiner Mutter gestaltet sich das halt schwieriger. Es heißt wohl auch nicht umsonst, das gerade die jüngsten Ahnen diejenigen sind, mit denen es oftmals Probleme gibt. Kann ich demnach bestätigen. Es bringt mir bei der Beschäftigung mit selbigen, ähnlich wie dir, aber auch ne Menge Frieden und so verrückt wie es sich auch anhören mag, eine sehr innige Beziehung bzw. Bindung. Wenn auch nicht zu allen Altvorderen. Was ja auch nicht sein muss.
Schönen abend
Palo
Liebe Palo,
da können wir froh sein, daß wir dieses nationalsozialistische Frauenbild, das sich in unseren Müttern und auch heute noch in vielen Frauen zeigt, erkannt haben und daß wir es ablehnen.
Ich will die Rolle, welche der Frau und insbesondere ihren Gefühlen zugedacht worden ist, nochmal für uns alle umreissen. Vielleicht verstehen wir dann auch den Konflikt, den wir hier erleben, besser.
Die wesentliche Eigenschaft, die der Frau im Nationalsozialismus in Deutschland und auch in Österreich zugedacht wurde, war die Einfühlsamkeit, heute neumodisch "Empathie" genannt.
Der nationalsozialistischen Frau wurde dabei eine ähnliche Rolle zugedacht, die von den Theoretikern der Eugenik dem arischen Volk zugedacht worden war. Die Eugenik ist die (verworfene) Wissenschaft von der Volkshygiene gewesen, die sich im 19.Jahrhundert v.a. in England und in Deutschland entwickelt hatte. Das arische Volk wurde im Nationalsozialismus unserer Länder als "Mutterkultur" der Erde betrachtet. Sie rechtfertigte den Krieg und die Vernichtung der Juden und allen sogenannten "unwerten Lebens". Nur das arische Volk hatte eine Daseinsberechtigung.
Die Rolle der Frau in der Familie am Herd wurde damit begründet, daß sie in der Lage sei, die Gefühle der Kinder wahrzunehmen ebenso wie die ihres Mannes. Ihr wurde also von Hitler die Aufgabe zugedacht, sich einzufühlen in die Bedürfnisse der Kinder und sie erzieherisch dort zu beschneiden, wo sie sich aus arischer Sicht fehlentwickelten.
Die Rolle der Frau bezüglich des Mannes war, sich in ihn einzufühlen und sich Gedanken zu machen, wie sie ihn zufrieden stellen konnte in der Zeit, die er mit der Familie verbringen konnte. Denn der Mann hatte die Aufgabe, dem arischen Volk zu dienen durch Arbeit, die "frei" machte.
Hitler erkannte also den Mann als "unfreier" im Gefühl, dachte ihm weniger Gefühlsfähigkeit zu, und gab die Gefühlsfähigkeit der Frau als Grundlage ihrer persönlichen Macht an - eine fatale Entwicklung für den Verstand, der in den Frauen ebenso steckt.
Mit dieser persönichen Macht, die aus dem Einfühlungsvermögen der Frau entstünde, solle sie der Gesellschaft dienen und ein "Wir-Gefühl" in der arischen Gesellschaft vorantreiben.
Daß diese Gefühlszuschreibungen zur Frau und die Gefühlsabschreibung in Richtung Mann auch heute noch in unseren Familien und in vielen Herzen und Köpfen so vorhanden ist, muß ich wohl nicht betonen.
In der Tat sind es meist die dritten Kinder einer Familie, die diesen Taumel des Wahnsinns aus eigener Kraft durchbrechen können. Die Psychologie sieht im ersten Kind der Familie das "Ei des Kolumbus", also das unentdeckte Land, den noch nicht gegangen Weg der gerade zu Eltern gewordenen Erwachsenen. Dem ersten Kind wird damit meist die grösste Strenge in der Aufmerksamkeit der Eltern zugemutet, denn sie fürchten sich vor Fehlentwicklungen des Kindes aufgrund mangelnder Erfahrung. Sie meinen allzu oft, das Kind sei "leer" und alles und jedes im Kind müsse kontrolliert und ausgerichtet werden.
Das zweite Kind einer Familie ist für das erste Kind über kurz oder lang der Rivale um die elterliche Aufmerksamkeit. Es wird aufgrund der bereits gemachten Erfahrung der Eltern mildere Eltern erwarten können, die ihre nun geteilte Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf das kleinste Kind richten können. Das zweite Kind wird darüber hinaus die Strenge des ersten Kindes erfahren, sobald dieses alt genug ist, um die vermisste elterliche Strenge selber am zweiten Kind auszuagieren.
Das dritte Kind wird bereits Eltern haben, die Erfahrung mit zwei Kindern haben. Darüberhinaus wird das dritte Kind einer Familie im ersten Kind eine "Zweitmutter" erfahren bzw. einen Zweitvater. Diese Zweitmutter rivalisiert dabei mit dem zweiten Kind um die Rolle dieser Zweitmutter, wenn die Mutter die älteren Kinder bittet, auf das dritte Kind aufzupassen. Es wird also ein Ziehen und Zerren erleben in der Rivalität der beiden älteren Geschwister.
Das dritte Kind hat daher mehr Rollenvorbilder für das Erleben, was Mutter und was Vater ist. Es hat daher im späteren Leben mehr Möglichkeiten als das erste oder das zweite Kind, die Bedeutung der eigenen Eltern für das eigene Leben zu entlarven und sich von diesen Einflüssen zu befreien.
Wir Kinder in den Nachkriegsgenerationen haben nun heute die Möglichkeit der Entlarvung auf eine ganz neue Weise.
Die Generation der im Nationalsozialismus geborenen Kinder, welche die Reduzierung der Mutter auf "Gefühligkeit" und "Maßregelung bei Abweichung" erfahren hat, hat aufgrund der Kriegstraumata nicht die Möglichkeit gehabt, die eigenen Gefühle zu heilen und von nationalsozialistischem Gefühls- und Gedankengut zu heilen.
Diese Generation hat in den Jahren etwa von 1955 bis 1980 selber Kinder gezeugt und hat diese nationalsozialistische Vorstellung von Frau und Mann ihren Kindern vorgelebt und in die Gedanken- und Gefühlswelt der Kinder eingegeben. Wir Nachkriegskinder haben aber keine Angsttraumata in der Kindheit erlebt, die so stark sind, wie es Kriegserlebnisse verursachen. Daher haben wir die Möglichkeit, unsere Gedanken und Gefühle neu zu verstehen. Der Weg dahin führt ohne Zweifel über eine ganzheitliche Wandlung, die auch die Spiritualität umfassen muß, denn sowohl Gedanke als auch Gefühl sind an die Spiritualität des Menschen ja gebunden. So ist es z.B. zunächst ein Gedanke, und dann ein Glaube, man sei empathisch, oder man erkenne klar.
(aus diesem Dilemma entsteht m.E. der Konflikt, den Saaphariy bereinigt hat.)
Nun, liebe Palo, zum Kern des Threads und wohl auch Deiner und meiner Beiträge: der Bedeutung der Spiritualität bei der Be- und Verarbeitung von Gefühlen.
Egal ob wir Männer oder Frauen sind: wir Menschen gehen in Kontakt mit anderen Menschen, um zu erfahren, wer wir sind und was unsere Aufgabe im Moment oder allgemein ist. Diese Frage stellt sich dann, wenn unser Bewusstsein nicht ein konstante Führung erhält, die uns zu uns selber und unserer Bedeutung orientiert und uns erklärt, warum wir denken, was wir denken, und warum wir fühlen, was wir fühlen, und warum wir wahrnehmen, was wir wahrnehmen.
Wir greifen dabei aber nicht nur auf persönliche Kontakterfahrungen und auf persönlichen Austausch zurück. Sondern wir blicken auch um die Welt, lesen, wie in unterschiedlichen Kulturen sich Wissen ansammelte zur Bedeutung des Menschen und seinen Bewusstseins. Insgesamt sind wir also auf der Suche nach "Sinn". Die Sinnfindung wird allgemein als das Ziel des Individuums sowie auch der Menschheit angesehen.
Nun haben wir Lebensereignisse, in denen unser Sein, also die Wahrnehmung unserer Existenz, erschüttert wird.
In diesen Momenten müssen wir auf dasjenige zurückgreifen, was wir wissen. Können wir nicht wissen, so entwickelt das menschliche Bewusstsein kollektiv und auch im Individuum Glauben. Dieser führt zur Erweiterung des Bewusstseins, so daß das Unfassbare erfasst werden kann und die Fassung, also die Orientierung, zurückgewonnen werden kann.
Sind wir derart erschüttert, daß unser Bewusstsein in's Wanken gerät und orientierungslos ist, so entwickelt unser Bewusstsein also Strategien, um wieder "in's Lot" zu geraten. Dies symbolisiert das Bild von der Aufrichtung der Seele ebenso wie die Aufrichtung des Körpers und die Ausrichtung des Geistes nach oben, zum Himmel. Wir streben also bei Erschütterungen, die uns desorientieren, zunächst mal wie automatisch in die Spiritualität hinein. Unser Bewusstsein führt uns diesen spirituellen Räumen und Erfahrungen zu, weil es von alleine nicht zu einer Orientierung finden kann.
Die wohl einschneidenste Orientierungslosigkeit besteht durch das Erleben des Todes und des Lebens, gleichermassen. Während des Lebens halten wir uns fest an dem, was wir gelernt haben zu sein. Sehr tief liegt dabei das Wissen darüber, was Mann ist und was Frau ist. Und so ist denn auch das Ziel vieler Religionen die Reife des Mannes und der Frau als Bewusstsein. Dabei wird in manchen Kulturen - abgesehen von unseren deutschen und österreichischen nationalsozialistischen Wurzeln - die Familie betont und die Fortpflanzung, die in ihr stattfindet.
Findet unser Bewusstsein auf dem Weg zur sogenannten Integrität keinen Anhaltspunkt, um sich aus- oder aufzurichten, so hat unser Bewusstsein die Eigenschaft und Fähigkeit, sich selbst zu heilen.
Dies meint auch, daß wir Ideen kreieren und Visionen und Erscheinungen, die uns ermöglichen, aus vormals sicheren, orientierten Verhältnissen nicht ausbrechen zu müssen und uns ermöglichen, in die Sicherheit des Bekannten wenigstens punktuell zurück zu streben, um nicht das Gefühl des Verrücktwerdens zu erleben.
Wir in unserer Generation haben nun nicht mehr das Problem, das Zurückstreben nur in der Wiederbelebung der Vergangenheit und ihrer Wurzeln zu suchen. Sondern wir können aufbrechen in eine Zukunft, die frei ist von der Idee des Leids, sogar über die Grenzen des Todes hinaus. (Die ältere Generation, unsere Mütter und Väter, die ihr Herz auf ihr Mitgefühl für uns Kinder oder auf ihre berufliche Aufgabe gelenkt haben, kann diese unsere gewonnene Freiheit natürlich nur schwer verstehen.)
Nun haben wir alle die Tendenz zur Vergebung, denn wir sind Menschen. Wir wollen Frieden schliessen und ihn erhalten, ihn vielleicht auch zum ersten Mal oder endlich wieder in uns erleben.
Daher muß unser Bewusstsein für sich selber entscheiden, wie wir denjenigen Frieden erreichen, den wir individuell im Moment erreichen können.
Ganz allgemein wird jedoch der Prozeß, den unser Bewusstsein erleben soll, wenn wir zum Frieden in uns und mit unserem Leben/Schicksal und unserer Umgebung finden wollen, egal um welchen einzelnen Prozeß es geht, ähnlich beschrieben. Es ist eine Art Reifung, die während des Menschseins geschieht, und der in jedem Lebensweg durch andere Lebensereignisse angestossen wird.
Unterteilt man diesen Prozeß in Schritte, so erkennen die Menschen allgemein zunächst die Ablehnung des Neuen, des Unbekannten. Auch unser Gehirn ist nicht dazu gemacht, neue Informationen, die durch Lebensereignisse entstehen, sofort zu verstehen, denn es müssen sich durch das wiederholte Erleben ein und desselben Ereignisses erst ausreichende neuronale Verknüpfungen bilden, die uns ein Verständnis für dasjenige geben, das wir erleben.
Das wiederholte Erfahren führt dann gemeinsam mit dem Verstreichen von Zeit dazu, daß wir einen individuellen Sinnzusammenhang verstehen, der uns reorientiert. Dann finden wir zu einer neuen Präsenz, zu einem neuen Einverstandensein mit unseren Erfahrungen, die sich auch im Trauerprozeß äussern. In diesem Zusammenhang erfahren wir dann auch unsere Vergebungsfähigkeit und die Liebesfähigkeit, die wir als Menschen haben.
Um diesen Gang oder Weg zu gehen, muß man, wie man sagt, "wandeln". Man nennt es auch die "Transformation" von Lebensereignissen und den Erfahrungen, die sie hervorrufen. Sie führen letztlich zur Klarheit über uns selber und dazu, daß wir unser Leben und unseren Tod als positiv erfahren, ebenso wie wir dann allgemein den tieferen Sinn unserer menschlichen Existenz erkennen.
Betrachtet man nun den Sinn dieser Existenz von Leben und Tod, so erkennt man zunächst, daß das Eine ohne das Andere nicht sein kann. Diesseits und Jenseits lägen zusammen wie ein Spiegel, auf dessen einer Seite man sich selbst betrachten kann, während die andere Seite blind ist, so daß wir unsichtbar erscheinen.
Sucht unser Bewusstsein nun Zugang zur anderen Seite dieses Spiegels, so kreiert (schöpft) es seiner göttlichen Natur entsprechend ein Abbild unserer eigenen Wirklichkeit. Was wir vom Tod oder vom Jenseits sehen, ist also zunächst das Abbild unserer Selbst. Wir Menschen haben getrennte Bewusstseinsformen, sind Individuen. Wir sehen und erkennen, sagt man auch, immer nur uns selbst. Das ist damit gemeint.
Erkennen wir dies, so verstehen wir auch mit einiger Schwierigkeit, daß unsere eigene Vorstellung von Wirklichkeit uns immer nur begrenzen kann. Unser Bewusstsein sucht Lücken, in denen wir diese Begrenzung durchdringen können, um Kontakt zur anderen Seite zu erhalten.
Und damit will ich schliessen, denn meine Aufgabe ist erfüllt. Ich danke für das Lesen.
lg,
Trixi Maus