Bielefeld/Düsseldorf. Es ist womöglich der frechste PR-Coup der jüngsten Zeit: Die Vorbereitung des Markts für die Wundersalbe Regividerm zur Bekämpfung von Neurodermitis und Schuppenflechte. Mit kräftiger Hilfe des WDR wurde um das Vitamin-B-12-Medizinprodukt eine Legende gestrickt, die Patienten scharenweise in die Apotheken trieb. Seit gestern ist es vorerst ungenehmigt auf dem Markt.
Die Geschichte: Ein Medizinstudent erfindet Ende der achtziger Jahre ein angeblich einfaches, preisgünstiges Mittel gegen Neurodermitis, eine hartnäckige und nur schwer zu behandelnde Hautkrankheit. Er probiert es an seiner Freundin aus. Es soll gut helfen und keine Nebenwirkungen haben. Er bietet es verschiedenen Pharmafirmen an. Die winken ab.
Unter anderem auch die Bielefelder Dr. August ***** GmbH, ein auf Salben und Hautkosmetik spezialisierter Pharmahersteller. Christoph Abels, habilitierter Hautarzt und medizinischer Direktor bei *****, erinnert sich, dass er die Creme nicht für erfolgversprechend gehalten habe.
Das Molekulargewicht sei zu groß
Abels: "Erstens, weil die Qualität der vorgelegten Wirksamkeitsstudien zu wünschen übrig ließ." Und, was für den Forschungsleiter viel wichtiger ist: Schon die physiochemischen Eigenschaften des Hauptwirkstoffs Vitamin B 12 sprächen gegen eine Wirksamkeit. Das Vitamin, Name Cobalamin, könne nämlich überhaupt nicht in die Haut eindringen, zu groß sei sein Molekulargewicht. Dieser Frage sei in den Studien überhaupt nicht nachgegangen worden. "Wir würden bei einem neuen Wirkstoff aber als Erstes sehen wollen", erklärt Abels, "dass er durch die Haut durchgeht." Entsprechende experimentelle Versuche seien nicht teuer, ein Ergebnis bekomme man für 25.000 Euro.
Ein am 19. Oktober 2009 ausgestrahlter WDR-Film mit dem Titel "Heilung unerwünscht" macht aus der einfachen Misserfolgsgeschichte eine Legende. Pharmahersteller wie die Firma ***** hätten die Produktion der Salbe abgelehnt, um nicht den Verkauf eigener teurerer Präparate zu kannibalisieren. Der Filmautor Klaus Martens hatte die These in einem Buch untermauert, das heute erscheinen soll. Titel: "Heilung unerwünscht. Die dramatische Geschichte eines Medikaments". Martens durfte es in der ARD-Sendung "Hart aber fair" am 21. Oktober ausgiebig bewerben, Nachfragen von Moderator Frank Plasberg erreichten längst nicht ihr gewohnt kritisches Niveau. Abels macht es "fassungslos, dass die ARD so was zur besten Sendezeit präsentiert", der Inhalt sei einfach "indiskutabel".
Der Deutsche Psoriasis Bund, eine Selbsthilfevereinigung für Schuppenflechte-Kranke, sprach von "blankem Unsinn". Das sahen viele der rund acht Millionen unter Neurodermitis oder Schuppenflechte leidende Patienten anders. Die Apotheken berichteten von einem wahren Ansturm auf die etwa 30 Euro teure Salbe.
Auslieferung der ersten 25.000 Tuben hat begonnen
Dabei muss man nicht in die Apotheke gehen, um sie zu kaufen. Als Medizinprodukt der Klasse IIa darf sie auch in jedem Supermarkt angeboten werden. Ein "Medizinprodukt" zeichnet sich dadurch aus, dass seine Wirksamkeit völlig ungeprüft ist. Seit gestern ist es auf dem Markt. Die Auslieferung der ersten 25.000 Tuben habe begonnen, sagte ein Sprecher der Vertriebsfirma Mavena Health auch ohne die noch anstehende Prüfung durch die Bezirksregierung Düsseldorf. Deren Sprecher bestätigte gestern dieser Zeitung, dass das Prüfergebnis noch offen sei.
Dabei geht es aber nur darum, ob Vitamin B 12 nicht doch ein medizinischer Wirkstoff ist. Wenn Regividerm unwirksam ist oder nur die darin enthaltene Avocadocreme die Haut vorübergehend beruhigt, darf es getrost als Medizinprodukt verkauft werden. Das "unternehmerische Risiko", das der Firmensprecher sieht, dürfte sich also in dieser Hinsicht in Grenzen halten. Größer ist wohl das Risiko, dass die Patienten auf den PR-Trick nicht hereinfallen.
http://www.nw-news.de/owl/3223267_Werbe-Trick_fuer_eine_Wundersalbe.html