Laute drangen zu mir durch das Dunkel: das Heulen des Windes, das Flüstern der Bäume, die Stimmen der Natur, Tierlaute, das Schreien einer Eule. Plötzlich fühlte ich die Gegenwart von etwas Übermächtigem. Dort unten mit mir in meinem engen Loch war ein großer Vogel. Die Grube war gerade breit genug für mich, und ich war ein schmales Bürschen, aber der riesige Vogel flog um mich herum, als ob er den ganzen Himmel für sich hätte. Ich konnte seine Schreie hören, manchmal aus der Nähe und manchmal aus weiter, weiter Ferne. ich fühlte, wie Federn oder ein Flügel meinen Rücken und meinen Kopf berührten. Dieses Gefühl war so überwältigend, dass es einfach zu viel für mich war. Ich zitterte und meine Knochen erstarrten zu Eis. Ich griff nach der Rassel mit den vierzig Fleischstückchen meiner Großmutter. Es waren auch viele kleine Steine darin, winzige Fossilien, die man von einem Ameisenhaufen gelesen hatte. Die Ameisen sammeln sie. Kein Mensch weiß warum. Diesen kleinen Steinen sagt man nach, sie hätten Kraft in sich. Ich schüttelte die Rassel, und sie machte ein beruhigendes Geräusch, als ob Regen auf einen Felsen prasselt. Sie sprach zu mir, aber das konnte meine Ängste nicht vertreiben. Ich nahm die heilige Pfeife in meine andere Hand und fing zu singen an und zu beten: "Tunkashila, Großvater Geist, steh mir bei." Aber auch das half nichts. Ich weiß nicht, was in mich gefahren war, aber ich war nicht länger ich selbst. Ich fing an zu weinen. Im Weinen war selbst meine Stimme eine andere. Sie hörte sich an, wie die eines älteren Mannes, ich konnte diese fremde Stimme nicht einmal erkennen. ich gebrauchte lang verschollene Worte in meinem Gebet, Worte, die heutzutage keiner mehr gebraucht. Ich versuchte, meine Tränen abzuwischen, aber sie wollten nicht abreißen. Zu guter Letzt zog ich einfach die Steppdecke über mich, rollte mich darin ein. Und immer noch fühlte ich, wie mich die Vogelschwingen berührten.
Langsam wurde mir klar, daß eine Stimme mit etwas zu sagen versuchte. Es war ein Vogelschrei, aber ich sage dir, ich fing an einiges zu verstehen. Das kommt manchmal vor. Ich kenne eine Frau, die einen Schmetterling auf ihrer Schulter sitzen hatte. Der Schmetterling sprach zu ihr. So wurde sie zu einer großen Medizinfrau.
Ich hörte auch eine menschliche Stimme, fremdartig und mit hohem Tonfall, eine Stimme, die nicht von einem gewöhnlichen Lebewesen stammen konnte. Urplötzlich war ich hoch droben bei den Vögeln. Der Hügel mit der Visionsgrube lag hoch über allem anderen. Selbst auf die Sterne konnte ich hinuntersehen, und der Mond lag dicht zu meiner linken. Es sah so aus, als ob die Erde und die Sterne unter mir ihren Bahnen zogen. Eine Stimme sagte: "Du bringst dich hier selbst zum Opfer, um ein Medizinmann zu werden. Zur rechten Zeit wirst du einer sein. Du wirst andere Medizinmänner lehren. Wir sind das Vogelvolk, die Geflügelten, die Adler und die Eulen. Wir sind eine Nation, und du sollst unser Bruder sein. Nie wirst du einen von uns töten oder verletzen. Du wirst uns verstehen, jedesmal, wenn du kommst, um hier auf diesem Hügel eine Vision zu suchen. Du wirst Kräuter und Wurzeln lernen, und du wirst Menschen heilen. Du wirst nichts dafür verlangen. Des Menschen Leben ist kurz. Mach deines wert."
Ich fühlte, daß diese Stimmen gut waren und langsam wich meine Furcht. Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren. Ich wußte nicht, ob es Tag oder Nacht war. Ich schlief und war doch hellwach. Dann sah ich eine Gestalt vor mir. Sie kam aus dem Dunkel und dem wirbelnden Nebel hervor, der mein Erdloch durchwallte. Ich sah, daß dies mein Urgroßvater war, Tahca Ushte, Lame Deer, der alte Häuptling der Minneconjou. Ich konnte das Blut an der Brust meines Urgroßvaters herabtropfen sehen, dort, wo die Kugel eines weißen Soldaten getroffen hatte. Ich verstand, dass mein Urgroßvater wünschte, ich möge seinen Namen annehmen. Das machte mich unsagbar glücklich.
Wir Sioux glauben, daß etwas in uns ist, das uns kontrolliert, beinah etwas wie ein zweites Ich. Wir nennen es Nagi, andere nennen es vielleicht Seele, Geist oder Wesen. Man kann es nicht sehen, fühlen oder schmecken, aber jenes eine Mal auf dem Hügel - und nur das eine Mal - da wußte ich, daß es in meinem Inneren ist. Ich fühlte die Kraft durch mich branden wie eine Flut. Ich kann sie nicht beschreiben, aber sie erfüllte mich ganz und gar. Jetzt wußte ich mit Gewissheit, daß ich ein Wichasha Wakan werden würde, ein Medizinmann. Wieder weinte ich, doch diesmal vor Freude.